Zum Tode von Hans-Christian Ströbele

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Liebe Leserinnen und Leser,

kommt es nur mir so vor, oder sterben gerade ungewöhnlich viele Persönlichkeiten, deren Namen uns seit vielen Jahren begleiten. Mickail Gorbatschow ist so einer, der sogar die ganze Welt vorübergehend zum Besseren veränderte. Oder jetzt der Grüne Hans-Christian Ströbele. Außer Kommunisten und Nazis gibt es wohl keinen Politiker in Deutschland, der so weit weg von meinen eigenen Überzeugungen gewesen ist, wie dieser Mann, der das erste Direktmandat für die Grünen bei einer Bundestagswahl errang und dann immer wieder verteidigte (in Kreuzberg natürlich) wie dieser Mann.

Und doch würde ich ihm nicht absprechen, aus seiner Sicht auch Gutes für unser Land oder was auch immer ihm wichtig war, gewollt zu haben. Die meisten, die in die Politik gehen, sind zu Beginn beseelt von irgendeiner Überzeugung, wie es mit unserer Gesellschaft weitergehen soll. Und – so das Lehrbuch – die Politiker und Parteien mit verschiedenen Überzeugungen streiten dann um den richtigen Weg, und die Mehrheit entscheidet dann, wohin die Reise gehen soll.

Wir alle wissen aber, dass die Realität leider anders aussieht. Da gibt es die Ehrgeizlinge, die durch Macht und Dienstwagen korrumpiert werden und sich für wichtig halten. Da gibt es anderswo die Beutegemeinschaft, die sich freuen, vom verhassten Staat Kohle abgreifen zu können, die sie ohne Politik niemals in einem Beruf verdient hätten. Und das Schöne: sie können auch noch Familienangehörige und alte politische Kampfgefährten mit hochdotierten Posten versorgen. Und ganz besonders ekelhaft sind die, die neben ihrem fürstlichen Salär und allen möglichen Vergünstigen noch Geschäfte machen, indem sie sich an Lobbygruppen, Konzernen oder – am widerwärtigsten – andere Staaten verkaufen und für deren Interessen arbeiten statt für unsere.

Ich denke, dass Hans-Christian Ströbele nicht so ein Typ war. Vielleicht war seine öffentlichkeitswirksame Radfahrerei für die Fotografen eine Masche, aber ich glaube, der war wirklich so drauf, dass man in Berlin auch ohne Fahrbereitschaft oder Autos klarkommt. Es gibt so Politiker, die nicht korrumpierbar sind. Angela Merkel sagt man das auch nach, aber ich glaube wirklich, diese Einschätzung ist falsch. Aber Helmut Kohl oder Helmut Schmidt – hätten die die Hand für ihr eigenes Wohlergehen aufgehalten? Nie im Leben.

Und solche Politiker brauchen wir für unser Land, und es gibt solche auch in allen Parteien. Und das sollte man auch mal erwähnen an einem Tag, wo ein streitbares politisches Urgestein vor seinen Schöpfer tritt. Und wenn der so ist, wie die Bibel das andeutet und was ich glaube, dann wird er sich Einiges anhören müssen als deutscher Grüner. Die grüne Agenda ist für Menschen wie mich und die meisten, wenn nicht alle, von Ihnen die Pest. Ein systematisches Vorgehen gegen die Existenzgrundlagen unseres Staates, das dürfen wir nicht hinnehmen.

Aber Hans-Christian Ströbele war in den vergangenen 20 Jahren einer der einprägsamsten und manchmal auch prägendsten politischen Figuren unseres Landes. Er war unbequem, manchmal eklig gegenüber unsereins. Immer wieder stimmte er im Bundestag anders ab als seine eigene Grüne Partei. Er scheute sich nicht, auch alleine gegen alle aufzustehen, etwa beim Kosovokrieg, wo er leidenschaftlich gegen einen Einsatz der Bundeswehr stritt.

„Wir hatten in der APO die Grundregel, alle Autoritäten in Frage zu stellen. Das muss sein“, sagte Ströbele einst, der übrigens zu den Mitbegründern der linksalternativen Tageszeitung taz gehörte. Und auch das gehört zur Wahrheit, wenn man Ströbeles gedenkt: Niemals hat er sich in maoistischen Zirkeln rumgetrieben, niemals dem SED-Staat gehuldigt. Sein großes Thema war die Friedensbewegung und zuletzt die nach seiner Meinung fehlende Transparenz bei den deutschen Geheimdiensten. Unvergessen, als er sich in Moskau mit dem (für die einen) Whistleblower und (für die anderen) Landesverräter Edward Snowden traf.

Viele Leser der Meldungen vom Tode Ströbeles überall werden heute verächtlich auf den politischen Nachlass des Grünen zurückblicken. Aber warum eigentlich? Beschränkung der Geheimdienste, keine schweren Waffen an die Ukraine liefern, keine Bundeswehr-Einsatze außer des NATO-Gebietes, unbedingt immer verhandeln statt bombardieren, weder den Mächtigen noch den Medien einfach vertrauen, Autoritäten grundsätzlich infrage stellen. Wenn Ströbele nicht bei den Grünen wäre, dann müssten viele in der AfD von ihm geradezu begeistert sein.

Sind sie natürlich nicht, und deshalb plädiere ich dafür, die Leute auch mal abseits ihrer Ideologien oder Überzeugungen zu betrachten. „Natürlich habe ich meine Auffassung in einer ganzen Reihe von Punkten verändert. Aber im Grunde bin ich den politischen grundsätzlichen Veränderungsüberlegungen treu geblieben, die wir 1967, 68, 69, 70 hier in Berlin entwickelt haben“. So wie ich zur gleichen Zeit in Bad Salzuflen. Nur, dass es andere Überzeugungen waren und sind.

Ruhe in Frieden, Hans-Christian Ströbele!

Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.