«Zeugnis der Freundschaft» – Großer Bahnhof für Selenskyj in Großbritannien

Präsident Wolodymyr Selenskyj (r) und Premier Rishi Sunak vor dem Amtssitz der britiscen Regierungschefs in der Downing Street Nummer 10 in London. Foto: Jonathan Brady/PA Wire/dpa

von LARISSA SCHWEDES & CHRISTOPH MEYER

LONDON – Arm in Arm, wie vertraute Freunde, stehen sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und der britische Premier Rishi Sunak auf dem Rollfeld gegenüber. Sunak fuhr am Mittwochmorgen den weiten Weg zum Flughafen Stansted im Norden Londons, um den Besuch persönlich zu empfangen. «Willkommen im Vereinigten Königreich, Präsident Selenskyj», schrieb er auf Twitter und teilte ein Foto der Szene.

Nach einer Reise in die USA mit Zwischenstopp in Polen ist der Überraschungsbesuch des ukrainischen Präsidenten in Großbritannien erst dessen zweite öffentlich bekannte Auslandsreise seit Beginn des russischen Angriffskrieges vor knapp einem Jahr. «Ich bin heute in London, um dem britischen Volk persönlich für seine Unterstützung und Premierminister Rishi Sunak für seine Führungsrolle zu danken», schrieb Selenskyj auf Instagram. In der Downing Street, wo der Präsident von Mitarbeitern mit Applaus begrüßt wurde, pries er die Beziehung seines Landes zu Großbritannien und hob die «große Unterstützung seit den ersten Tagen der Invasion» hervor.

Selenskyj spricht im Parlament

Bei einer Rede im britischen Parlament bedankte sich Selenskyj später für die Unterstützung Großbritanniens im Krieg. «London stand an der Seite Kiews vom ersten Tag an», sagte Selenskyj. Er fügte hinzu, das Land habe alle Verbündeten vereint, als dies absolut unmöglich erschien. Explizit bedankte sich der Präsident dabei auch bei Ex-Premier Boris Johnson, der mehrfach in die Ukraine gereist und zu einem engen Partner Selenskyjs geworden war.

Der Präsident dankte mit Nachdruck für die britischen Waffenlieferungen und zeigte sich zuversichtlich mit Blick auf den Ausgang des Krieges: «Wir wissen: Die Freiheit wird gewinnen! Und wir wissen, dass dieser Sieg die Welt verändern wird. Es wird ein Sieg sein, den die Welt lange gebraucht hat.»

In der Hoffnung auf westliche Kampfjets bedankte sich Selenskyj noch vor einer Zusage bei Großbritannien für die Lieferung solcher Maschinen. «Danke im Voraus – für leistungsfähige englische Flugzeuge», so Selenskyj. Dem Sprecher des britischen Unterhauses, Sir Lindsay Hoyle, überreichte Selenskyj den Helm eines ukrainischen Kampfpiloten mit der Aufschrift: «Wir haben die Freiheit. Gebt uns Flügel, sie zu beschützen.» Er bitte daher um «Kampfflugzeuge für die Ukraine – Flügel für die Freiheit», so der ukrainische Präsident.

Später wird Selenskyj zur Audienz mit König Charles III. im Buckingham-Palast und zu einem Besuch ukrainischer Rekruten, die in Großbritannien ausgebildet werden, erwartet.

«Zeugnis der unerschütterlichen Freundschaft»

Sunak bezeichnete den Besuch als «Zeugnis für den Mut, die Entschlossenheit und den Kampfgeist seines Landes und Zeugnis der unerschütterlichen Freundschaft unserer beiden Länder». Großbritannien hatte sich seit Kriegsbeginn stets schnell und entschlossen hinter die Ukraine gestellt und steht nach Angaben des Kieler Instituts für Weltwirtschaft auf Platz zwei der wichtigsten Waffenlieferanten für die Ukraine nach den USA.

Nach seinem Stopp in London wird Selenskyj am Donnerstag in Brüssel erwartet. Am selben Tag treffen sich auch die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten in Brüssel zu einem Gipfel.

Die enge Beziehung Großbritanniens stammt aus den Zeiten von Sunaks Vorvorgänger Johnson, der sich in der Ukraine zeitweise zu einer Art Kultfigur entwickelte. Kiew ernannte ihn zum Ehrenbürger, ein Café in der Hauptstadt benannte eine Süßspeise nach Johnson, ein Hotel in Lwiw verziert seine Räume mit verschiedenen Bildern des Ex-Premiers auf dem Fahrrad.

Auch Sunak, der seit Oktober an der Spitze der britischen Regierung steht, ist bereits nach Kiew gereist, hat der Ukraine Kampfpanzer zugesagt und kontinuierliche militärische Unterstützung versprochen.
Besuch zu willkommenem Zeitpunkt

Für den Briten kommt der hohe Besuch in London zu einem glücklichen Zeitpunkt: Zuletzt bestimmten Skandale in seinem eigenen Kabinett die Schlagzeilen, neben Selenskyj hingegen kann sich Sunak als Staatsmann präsentieren. Auch Johnson half die entschlossene Unterstützung der Ukraine immer wieder durch politisch heikle Phasen.

Der britische Politikwissenschaftlers Anand Menon vom King’s College in London rechnet jedoch nicht damit, dass Sunak lange davon zehren kann – zumal sein innerparteilicher Rivale Johnson sich bereits für die Lieferung von Kampfflugzeugen an die Ukraine ausgesprochen habe. Sunak selbst hielt sich in dieser Frage noch zurück.

London kündigte im Zuge des Besuchs zunächst an, sein Ausbildungsprogramm für ukrainische Soldaten zu erweitern. Sunak zufolge werden künftig auch Kampfpiloten und Marinesoldaten ausgebildet. Damit sollen ukrainischen Piloten auch dazu befähigt werden, in Zukunft Nato-Kampfjets zu fliegen – was die aktuelle Debatte über Kampfjet-Lieferung aus westlichen Ländern an die Ukraine weiter befeuern dürfte.

Frankreich hatte sich dafür bislang offener gezeigt als Deutschland und andere Länder. Ein britisches Vorpreschen könnte – wie bereits bei vorherigen Waffenlieferungen – den Druck auf die anderen Verbündeten erhöhen und das Ansehen Sunaks in der Ukraine weiter steigern.

Bildquelle:

  • Selenskyj in London: dpa

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