Zahltag ist nicht nur am Wahltag: Wie sich Deutschlands Parteien ungeniert an Ihrem Steuergeld bedienen

von DIETRICH KANTEL

BERLIN – Wahltag ist Zahltag? Die politischen Parteien in Deutschland erhalten dann Wahlkampfkosten erstattet? Könnte man meinen. Zwei Landtagswahlen liegen gerade hinter uns. Vier weitere und die Bundestagswahl folgen noch in diesem Jahr.Tatsächlich ist aber für die politischen Parteien Deutschlands immer Zahltag. Auch ohne Wahltag. Dank dem Parteiengesetz. Wahlkampfkostenerstattung war früher. Vor über 50 Jahren nahm die staatliche Dauerfinanzierung der Parteien ihren Anfang. Tendenz: aufwärts immer.

Ein Blick zurück

Am 24.Juli 1967 trat unser Parteiengesetz (PartG) in Kraft. 17 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes bequemten die im Bundestag vertretenen Parteien sich, der staatlichen Parteienfinanzierung endlich eine verfassungsgemäße Grundlage zu geben. Bis dahin verschleierten sie redlich unter Verstoß gegen das Grundgesetz ihre Finanzierung. So blieb lange Jahre unklar, welche Personen oder Unternehmen durch Spenden politischen Einfluss nahmen. Zusätzlich genehmigten sich die Parteien ohne formale Rechtsgrundlage immer mehr öffentliche Mittel, versteckt in den jährlichen Haushaltsgesetzen. Das Bundesverfassungsgericht zog 1966 schließlich die Notbremse. Es deckelte zunächst das Ausmaß der Staatsfinanzierung. Und es zwang den Gesetzgeber, also die Bundestagsparteien, endlich ein Gesetz zu beschließen, damit die vom Grundgesetz gebotene Transparenz der Parteienfinanzierung geschaffen werde.

Selbstbegünstigung

Mit dem Inkrafttreten des PartG war dem Verfassungsgebot nun zwar formal Genüge getan. Doch wirkliche Transparenz wurde bis heute nicht geschaffen. Die Parteien hatten ein Gesetz zu ihrer Finanzierung, also ein Gesetz in eigener Sache geschaffen. Entsprechend ausufernd selbstbegünstigend war es von Anfang an ausgelegt.

Die ständig steigenden Staatsgelder rechtfertigend fassten die Parteien ihre politische Rolle weit über das hinaus, was das Grundgesetz vorgesehen hatte. Dort heißt es in Artikel 21 Absatz 1, Satz 1 lediglich: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Via PartG sieht die bundesrepublikanische Wirklichkeit sehr anders aus: Die Parteien durchdringen das gesamte politisch-gesellschaftliche Leben der Bundesrepublik. Von den Rundfunkräten über die Landesrundfunkanstalten, die Landeslottogesellschaften bis hin zur Besetzung der höchsten Gerichte oder oberster Bundes- bzw. Länderbehörden. Denn da gibt es überall Posten und somit Einfluss und Pfründen für Parteisoldaten zu verteilen.

Verdeckte Staatsfinanzierung

Trotz PartG ist die Parteienfinanzierung letztlich intransparenter denn je. Zwar müssen die Parteien finanzielle Unterstützer ab einem Betrag von mehr als 10.000 Euro in ihren Rechenschaftsberichten mit Namen und Anschrift publizieren. Aber wen interessiert das noch, wenn so ein Bericht oft erst Jahre später präsentiert wird. Ganz davon abgesehen, dass kein Verbot für Großspenden existiert wie in anderen Demokratien. Auch teure Wahlkampagnen, die unbekannte oder bekannte dritte Personen erkennbar für eine Partei lancieren, sind im PartG wohlweislich nicht verboten.

Zusätzlich genehmigen die Parteien sich fortwährend Geld auf Umwegen. Parteistiftungen – angeblich nur „parteinah“ – in der öffentlichen Wahrnehmung unzweideutig der jeweiligen Mutterpartei zuzuordnen, erhalten derzeit über 600 Millionen Euro, jährlich. Hinzu kommen Zuwendungen an die Fraktionen im Bundestag und in den Landtagen. Natürlich ordnet der Bürger auch die Fraktionen in ihrem politischen Wirken den jeweiligen Parteien zu. Schließlich sind da noch die ebenfalls ständig wachsenden Zuwendungen für Fraktions- und Abgeordnetenmitarbeiter.

Mal eben 21 Prozent mehr

Betragsmäßig wird die Parteienfinanzierung in § 18 des PartG geregelt. Danach ist in Deutschland eine Wählerstimme aktuell 0,83 Euro wert. Allerdings werden für die ersten vier Millionen Stimmen sogar je 1,00 Euro fällig. Nicht etwa zur Erstattung für die betreffende Wahl. Diesen Betrag erhalten die Parteien jährlich ausgezahlt, obwohl Wahlen ja nur alle vier respektive fünf Jahre stattfinden. Es handelt sich also um eine Art Grundausstattung. Derweil galoppieren die Wahlkampfkosten munter voran und die nächste Erhöhung der Grundpauschale ist immer nur eine Frage der Zeit. Die erfolgt – ein Schelm, der Böses dabei denkt – vorzugsweise erst nach Bundestagswahlen. Beispiel: Bis vor den Bundestagswahlen 2017 betrug die unter den Parteien anteilsmäßig aufzuteilende Obergrenze der Zuwendungen 157 Millionen Euro pro Jahr. 2018 wurde dann in einem Hau-Ruck-Verfahren, vorangetrieben von Andrea Nahlen (SPD) binnen 14 Tagen ein Gesetz zur Erhöhung der Pauschale durch Bundestag und Bundesrat gepeitscht. Ergebnis: Aktuell dürfen 190 Millionen Euro an die Parteien ausgeschüttet werden. Eine Steigerung von 21 Prozent. Bescheidenheit und Selbstbeschränkung aus Achtung vor dem Steuerzahler sieht anders aus.

Bürgerparteien oder Staatsparteien?

Dieses neofeudalistische Parteienkartell aufzubrechen dürfte eine Wunschvorstellung bleiben. Kompetenten Schätzungen zufolge beläuft sich die staatliche Finanzierung des deutschen Parteiapparates nebst Stiftungen, Fraktionen und Mitarbeiterstäben auf rund eine Milliarde Euro. Jedes Jahr. Soweit die Zustandsbeschreibung.

In den Medien findet man Kritik an dieser Entwicklung erstaunlich. Deswegen hier zwei substantiell eindrücklich formulierte Bedenken aus berufenen Mündern:

„Ursprünglich war die Staatsfinanzierung damit gerechtfertigt worden, dass die Parteien unabhängig von Spenden sein sollten. Jetzt haben wir beide Probleme: Hohe private Zuwendungen werden nicht unterbunden und das viele Staatsgeld verdirbt. Parteien, die am Tropf des Staates hängen, nehmen ihre Funktion Bürgernähe herzustellen nur noch eingeschränkt wahr. Aus dem Ideal der Bürgerpartei entstehen Staatsparteien, was die Kluft zwischen Politik und Parteien noch vergrößert. Und die mangelnde Verankerung in der Bevölkerung treibt die Parteien erst recht in die Arme der Großwirtschaft“.
(Der Verfassungsrechtler und Parteienkritiker Professor Hans Herbert von Arnim)

Oder, auch zum Thema, jedoch kürzer:

„Vergleicht man die tatsächliche Entwicklung mit dem Grundgesetz, dann kommen dem einen die Tränen der Rührung, und bei anderen schwellen die Zornesadern“. (Der verstorbene Altbundespräsident Richard Karl Freiherr von Weizsäcker)

Bildquelle:

  • Euro_500er: pixabay

Unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende

Jetzt spenden (per PayPal)

Jetzt abonnieren