Wie Politiker die Wut der deutschen Landwirte anheizen

von PHILIPP FELS

Wir kennen das: Besorgte Miene, Stimme gesenkt und mit Tremolo die Frage: „Woher kommt die Wut?“ Meistens sitzen da Politiker, „Experten“ oder B-Promis im Stuhlkreis vor einer Kamera und betrachten mit Empörung und Abscheu „den gesellschaftlichen Umgang“. Meistens ist man sich einig, dass bestimmte Gruppen ihren Frust ablassen über gesellschaftliche Veränderungen, die sie nicht „mitgehen können oder wollen“.

Nun wissen wir, dass zum Zwist mindestens zwei gehören. Die mediale Debatte stellt interessanterweise meistens nur eine Seite dieser Medaille dar. Oft zielen Vorwürfe im TV oder Kommentare in den Medien gegen Bürger, die sich widerständig zeigen: Da keimt der Verdacht, ein Establishment wehre sich gegen Ansprüche undankbarer Bürger. Doch wie kommt es zu „Undank“ der Bürger gegen jene, die im Amtseid schwören, „zum Wohle des Volkes“ zu handeln?

Exemplarisch mag das der Umgang mit Landwirten zeigen, die seit Oktober eine Politik fordern, die nicht über ihre Köpfe hinweg entscheidet und sie „par ordre du mufti“ in Haftung nimmt. Sie wollen bei der Gesetzgebung, die sie betrifft, ihre Sach- und Fachqualifikation einbringen. Eigentlich soll das durch Bauernverbände gewährleistet sein. Ein großer Teil der Bauern von der Basis empfindet das jedoch anders. So ist der riesige Erfolg der Bewegung „Land schafft Verbindung“ (LSV) zu erklären. Mit LSV hat Maike Schulz-Broers eine Macht auf die Straße gestellt, die den Gang des Alltags im Berliner Regierungsviertel aufgemischt hat.

Aber schnell hatte sich die Politik gefangen und begann eine klassische Hinhaltetaktik: Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) wies den Dialog rüde zurück. Julia Klöckner, Landwirtschaftsministerin (CDU), stellte sich: Da durften sich einige beim Kaffee mit der Ministerin ablichten lassen, ihnen wurden Anerkennung für „wertvolle Arbeit“ „zum Ausdruck gebracht“. Inhaltlich passierte nichts. Je länger Klöckner den Landwirten „entgegenkam“ um so interessanter wurden ihre Botschaften: Zuerst Verständnis signalisiert, dann das große ABER. Die Bauern „müssten sich an die eigene Nase fassen“, sich „ihrer Verantwortung bewusst sein“, einen „Teil dazu beitragen, Probleme zu lösen“, für die „sie schließlich auch verantwortlich“ seien.

Beobachtern wurde klar: Klöckner solle lediglich die Anwürfe und Bitten elegant aber unnachgiebig abfedern. Quintessenz der vielen Worte: „Wir hören Euch zu, wir zeigen Interesse, wir reden mit Euch Bauern, aber wir werden an unserer Politik gegen Euch nichts ändern.“ Das dämmert dann langsam selbst den Gutgläubigen in der Bewegung. So legte man seitens der Politik noch ein paar Leckerli oben auf: Vertreter der Basisbewegung und Funktionäre der Bauernverbände durften ins Ministerium und Klöckner erneut ihre Anliegen vorbringen.

Gleichzeitig hatte man im Kanzleramt offenbar erkannt, dass weder Aussitzen noch Klöckner die Wucht der Proteste würden mildern können: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kündigte an, „Landwirtschaft zur Chefsache zu machen“. Sie lud, als DAS Sahnehäubchen der Wertschätzung ins Kanzleramt, zum „Agrargipfel“: 80 Vertreter aus 40 Organisationen – von den professionellen Standesvertretern bis hin zu LSV-Vertretern – durften mit Merkel drei Stunden am „Runden Tisch“ sitzen, um das zu hören, was ihnen seit Oktober in werbenden Worten und rhetorisch geschliffenen Phrasen mitgeteilt wurde: Wir achten Eure Arbeit, wir ehren den Beruf, wir befördern die Entwicklung der Landwirtschaft – aber das hat nach unseren politischen und gesetzlichen Vorgaben zu geschehen.

Um nicht gar so schroff zu wirken, erteilte die Kanzlerin dann einen Auftrag. Der gaukelt Beteiligung vor und „signalisiert“ Dialogbereitschaft: Merkel machte den Vorschlag, dass Mitglieder der Bewegung LSV gemeinsam mit Funktionäre des Deutschen Bauernverbandes bis Februar ein Konzept für eine „Zukunftskommission Landwirtschaft“ vorlegen sollten. Eine interessante Kombination. LSV war angetreten, um verbandsunabhängig und politisch neutral die Bedürfnisse der Bauern zu vertreten. Viele Landwirte engagieren sich bei LSV, gerade weil sie sich von den Verbands-Profis nicht vertreten fühlen. Der Erfolg der Bewegung ist eine schallende Ohrfeige für die Verbandsfunktionäre. Politisch gekonnt unterläuft Merkel mit ihrem „Angebot“ dies feine aber immer spürbare Distanz der Basis zu den „Anzugträgern“.

Manchem Emissär dämmert da wohl, dass das eventuell eine Finte sein könnte, die die Sinnlosigkeit des „Gipfels“ übertünchen soll. Dennoch gab es eine Ergebenheitsadresse an Kanzlerin Merkel, die wenige LSV-Vertreter im Schulterschluss mit den Verbänden unterzeichneten. Gipfel dieses Schreibens ist nicht der artige Dank für die Plauderrunde sondern die Akzeptanz von Missständen, die LSV als Basisbewegung seit Gründung kritisiert, so z. B. die Datenlage der Düngeverordnung 2017, die den Bauern bereits viel abverlangt, von der aber bekannt ist, dass sie auf falschen Angaben beruht.

Wer meint, dass diese „Spielchen“ einer herablassend wirkenden Politik gegenüber den Bauern hier bereits ihren Höhepunkt überschritten hätten, täuscht sich. In einer „Befragung der Bundesregierung“ am 18 Dezember wies der FDP-Bundestagsabgeordnete Gero Hocker Frau Merkel darauf hin, dass die erneute Verschärfung der Düngeverodnung die Landwirte als alleinige Verursacher des Nitrateintrags ins Grundwasser anprangert und in Haftung nimmt. Inzwischen gibt es jedoch begründete Zweifel an der Alleinverantwortung der Bauern. Die Kanzlerin antwortete mit dem ihr eigenen Charme: „Ich schiebe keinem Landwirt pauschal den Schwarzen Peter zu. Ich nenne nur den Sachverhalt. Ich finde, Sie würden den Bauern auch einen besseren Dienst erweisen, wenn Sie nicht den Eindruck erwecken würden, als könnten wir jetzt noch monatelange wissenschaftliche Analysen machen.“

Die Kanzlerin aller Deutschen belastet demnach die Bauern mit existenzbedrohenden Auflagen weil die Politik keine Zeit habe, die Begründung wissenschaftlich zu prüfen! Nach dieser Antwort war bei den Landwirten die Faust in der Tasche geballt. Merkel erinnert an Generäle, die Truppen ins Feld schickten und schulterzuckend murmelten: „Schwund ist überall.“ Die Antwort auf diese Chuzpe ließ nicht auf sich warten: Obwohl Merkel wahrscheinlich gehofft hatte, bis Februar Ruhe vor den Bauern zu haben, waren diese bis Weihnachten und zwischen den Jahren bundesweit wieder mit Traktoren auf den Straßen oder entzündeten Mahnfeuer, um die Mitbürger auf ihre Bedrängnis aufmerksam zu machen. Dieses Vorgehen scheint honoriert zu werden. Nur wenige Landwirte berichten von negativen Reaktion oder kleinlichen Aktivitäten der Polizei.

LSV kündigte bundesweit für den 14. Januar erneute Traktorkonvois und zentrale Kundgebungen an, um den Druck gegenüber der halsstarrig wirkenden Politik zu erhöhen. Der Elan wurde kurz gebremst, weil einige meinten, die Düngeverordnung werde derzeit politisch nicht verhandelt. Aber die Regierung hat für die Sitzung des Bundesratsausschusses für Agrarpolitik und Verbraucherschutz am 17. Januar ein Papier der EU-Kommission zum europäischen „Green Deal“ vorgelegt. Und der hat es nach Ansicht von LSV in sich. In einem Demo-Aufruf zum 14 Januar schreiben die Verantwortlichen um die Initiatorin Maike Schulz-Broers:

 „Dieses europäische Klimaschutzgesetz soll den unumkehrbaren Weg zu einer Null-Emissionsgesellschaft frei machen. Einer der ersten Schritte soll die Reduzierung der Düngemittel ab März 2020 sein. Eine juristische Überprüfung hat ergeben, dass schon jetzt, durch Verschärfung der Düngerverordnung, die Weichen gestellt werden sollen.

 Ein europäisches Null-Emissionsgesetz steht, anders als Richtlinien, über nationalem Recht.

 Es ist somit verpflichtend!

 Nationale Düngerverordnungen werden so zu Makulatur.“

 Die Bauern sehen sich hintergangen. Während sie von der Regierung vermittelt bekamen, Einfluss auf eine Düngeverordnung nehmen zu können, wusste die Regierung schon, dass sie für die Tonne sein würde: Das EU-Gesetz hebt jegliche nationale Regelung auf.

 Jetzt versteht man, weshalb durch alle Schichten immer mehr Menschen sich von der Politik weder wahr- noch ernstgenommen fühlen. Die Bürger erkennen Kniffe und Tricks besser, als den Regierenden Recht ist. Und die Menschen geben ihrem Gefühl Ausdruck, dass sie sich nicht länger mit Ignoranten und taktischen Spielchen auf den Arm nehmen lassen. Und jetzt noch einmal die Frage: „Woher kommt bloß die Wut?“

Bildquelle:

  • Landwirtschaft: pixabay

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