Wie in einem Hitchcock-Film: Hochspannung am Flughafen in Tokio

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

der große Sport ist politisch. Nicht mehr in dem Sinne wie früher, als die DDR und die Sowjetunion angesichts der fehlenden wirtschaftlichen Attraktivität unbedingt ganz oben dabei sein wollten, wenn die Fernsehbilder von der Medaillenvergabe um die ganze Welt gesendet wurden. Schaut her, wir fahren zwar nur Trabbi und haben keine Orangen im Laden, aber wir rennen und schwimmen schneller als die meisten anderen Sportler der Welt.

So erwirbt ein Staat, ja ein ganzes Gesellschaftssystem internationales Prestige, was wiederrum dazu führt, dass die eigene Bevölkerung, die sonst auch murren mag, das eigene Land doch nicht mehr so schlecht findet, wenn es Gold und Siege gibt. Als im Juni 1974 Jürgen Sparwasser die DDR zum unerwarteten 1:0-Sieg gegen den späteren Weltmeister „BRD“ schoss, waren viele Landsleute im Osten, die eigentlich gehofft hatten, dass „die aus’m Westen“ gewinnen, dann doch auch wieder stolz auf den Jürgen, einen von ihnen. Wollen wir nicht alle auf Seiten der Sieger sein? Und manch einer wird heimlich gedacht haben, man habe vielleicht doch eine Chance, den Westen zu kapern. Und so kam es dann ja auch, allerdings nicht wegen der besonderen Sportlichkeit von Frau Merkel, sondern anderer Wesensmerkmale. Doch das ist eine andere Geschichte.

Aber es gibt halt auch die Kehrseite im Sport, dass nämlich ganze Systeme demaskiert werden, wenn sie beim ihren Profis tricksen wie früher die meisten osteuropäischen Staaten, leider insbesondere die DDR und die Sowjetunion, deren Erbe Russland im Bereich Doping angetreten hat und deren Sportler dafür vom IOC und anderen internationalen Sportverbänden bestraft wurden und werden. Müsste alles nicht sein, ist aber so.

Gestern hat sich in Tokio am Rande der Olympischen Spiele etwas abgespielt, das mich an den Hitchcock-Film „Der zerrissene Vorhang“ von 1966 mit Paul Newmann und Julie Andrews erinnerte. Da die Handlung in der nachgebauten DDR spielt hatte man mit Hansjörg Felmy als Stasi-Chef (Wolf) und Wolfgang Kieling als den fiesen Stasi-Offizier Gromek auch deutsche Schauspieler engagiert. Gab auch noch weitere Deutsche in den Nebenrollen.

Es ging um einen vermeintlichen Überläufer, in diesem Fall ein hochgeschätzter Wissenschaftler, den das sozialistische Regime vor der Welt vorführen wollte, der aber ganz andere Pläne hatte und letztlich rausgeschleust werden musste. Legendär damals die Busfahrt, die niemand vergisst, der den Film gesehen hat.

In Tokio wurde gestern die Leichtathletin Kristina Timanowskaja aus Belarus gegen ihren Willen aus dem Mannschaftsquartier zum Flughafen gebracht, wo man sie zurück nach Hause fliegen wollte, da sie öffentlich Sportfunktionäre des Landes kritisiert hatte. Da jemand geistesgegenwärtig Journalisten verständigt hatte, was dort gerade passiert, und die Kollegen am Flughafen warteten, gelang es der Läuferin (200 m) am Flughafen Polizisten anzusprechen und um Schutz zu bitten. Die Polizei half und hat die Sportlerin jetzt in ihrer Obhut. Bei der Olympiade wird sie nicht mehr antreten können und nach Hause zurückkehren wohl auch nicht mehr. Wir alle haben noch die Bilder vor Augen, wie Diktator Lukaschenko den jungen Blogger Roman Protassewitsch entführen und dann mit lädiertem Gesicht der Weltpresse als Sprechpuppe vorführen ließ. Das sind so Momente, in denen man sich gern daran erinnert, dass wir zumindest jetzt noch in einem Rechtsstaat leben. Und wie wichtig es ist, dass wir diesen Rechtsstaat mit aller Macht verteidigen und erhalten.

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.