von BERTHA STREMIN
BERLIN – In der journalistischen Zunft in Deutschland gibt es eine Unsitte: Wird über ein außenpolitisches Thema berichtet, dann schreibt man statt „Außenminister“ gern auch mal „Chefdiplomat“ – aus stilistischen Gründen, zur Auflockerung der „Schreibe“, um unelegante Wortwiederholungen zu vermeiden. Aber „Chefdiplomat“ ist nach Stil und Inhalt eine Verschlimmbesserung.
Ein Außenminister ist so wenig ein „Chefdiplomat“ wie ein Gesundheitsminister ein „Chefarzt“ ist. Auch ist ein Verteidigungsminister natürlich kein „Chefsoldat“ und ein Landwirtschaftsminister kein „Chefbauer“. Also bitte – hört auf mit dem Unsinn!
Wenn es in Deutschland so etwas wie einen „Chefdiplomaten“ gäbe, dann wäre es vielleicht der beamtete Staatssekretär im Auswärtigen Amt, denn der war – bisher – in der Regel ein Karrierediplomat. Nicht so der/die/das Minister!
Minister sind Politiker, die mal dieses, mal jenes Ressort übernehmen, mit mehr oder weniger Talent und Vorkenntnis.
Sie können und müssen nicht in jedem Fall einschlägige Studien- und Berufserfahrung mitbringen. Als Politiker sind sie hoffentlich Profis, als Leiter einer Behörde verlassen sie sich bitte auf die Fachkenntnis ihres Amtes! Es wäre natürlich ein schönes „Extra“, wenn ein Bundesminister des Auswärtigen, so die korrekte, im Stil spätpreußische Dienstbezeichnung, schon Vorkenntnisse in Diplomatie hätte, wobei ein, zwei Semester „Völkerrecht light“ allerdings nicht zählen. Aber üblich oder nötig ist das nun mal nicht.
Außenpolitik ist nicht genug?
Also: Ein Außenminister ist nicht ein Diplomat, sondern er hat Diplomaten. Das sind die Fachleute, die den Job machen, überwiegend im Ausland, wenn es mit rechten Dingen zugeht. Dass unter Frau Baerbock mittlerweile mehr als die Hälfte des diplomatischen Personals in der Zentrale hocken soll, sehr viele von ihnen durchaus widerwillig, ist jedenfalls sonderbar. Ein Zeichen, dass da die Prioritäten nicht mehr stimmen.
Jedenfalls ist es unsinnig, wenn mehr deutsche Diplomaten in Deutschland arbeiten als an den 228 deutschen Auslandsvertretungen weltweit. Die gängige Ausrede für dieses peinliche Ungleichgewicht lautet, dass mit der Übernahme der Verantwortung für „Klimaaußenpolitik“ im Rahmen der Ampelkoalition eben mehr Arbeitsanfall in der Zentrale einhergeht. Da sieht man mal, was für ein Unsinn es war, das Klima-Thema ins AA zu holen, nur weil die Amtsinhaberin seinerzeit glaubte, Außenpolitik sei nicht genug für sie.
Schade! Sie hätte doch richtig auf Außenpolitik umsatteln können, einfach Außenpolitik, das ist ein Riesenthema.
Aber nein – Ideologie sticht Diplomatie. Und dazu wurde auch gleich noch ein sehr schöner Job für eine alte Freundin geschaffen, die bekannte „Chef-Lobbyistin“ Jennifer Morgan, die nun nicht mehr für Greenpeace trommelt, sondern als Staatssekretärin für Klimaaußenpolitik in edlem Ambiente am Werderschen Markt residiert.
Paradigmenwechsel im AA
Nein, eine Diplomatin ist Frau Baerbock nicht, schon gar nicht, wenn es um ihr zweites Steckenpferd geht. Neben der „Klimaaußenpolitik“ soll ja vor allem „feministische Außenpolitik“ das Alleinstellungsmerkmal ihrer Amtszeit werden. Und mehr als das: Frau Baerbock strebt ganz offensichtlich danach, „feministische Außenpolitik“ weltweit zum neuen Goldstandard der „Diplomatie“ zu machen. Und um das zu erreichen, hat sie erst einmal das eigene Ministerium ideologisch auf Vordermann gebracht.
Im Auswärtigen Amt gibt es mittlerweile politische Schulungen, online und in Präsenz, bei denen den Mitarbeitern der deutschen Auslandsvertretungen die ideologischen Grundlagen des grünen Feminismus und der Genderpolitik vermittelt werden. Eine Riege leicht erregbarer Aufseherinnen, vom Ministerbüro (das eigentlich nur noch „Ministerinnenbüro“ heißen darf) über die Menschenrechtsbeauftragte bis zur Gleichstellungsbeauftragten wachen mit nimmermüdem Blick und immer zürnenden Argusaugen darüber, dass diese Schulungen auch ernstgenommen und die Lernerfolge überprüfbar werden. Durch das Haus am Werderschen Markt weht wieder ein Geist, der dort schon einmal sein Unwesen trieb, als das Hauptgebäude noch das ZK der SED beherbergte.
Ideologisches Sendungsbewusstsein
Übertrieben? Keineswegs! In Gesprächen mit Diplomaten, die niemals das Nennen ihren Namens zugestehen würden, kann man hören, wie sehr die Ideologisierung vielen auf die Nerven geht. Manch eine Karriere erhielt aufgrund mangelnder Haltung den im AA befürchteten „Knick“, wovon man sich im Rennen um Beförderungen so wenig erholen kann, wie ein Formel 1-Fahrer, der eine Strafrunde aufgebrummt bekommt. Entsprechend still sind die meisten geworden. Und mehr und mehr fügt sich die – traditionell besonders loyale – Beamtenschaft des Auswärtigen Amts in ihr Schicksal. Da versuchen inzwischen viele, durch Übereifer zu beweisen, dass sie das Prinzip der feministischen Außenpolitik wirklich verinnerlicht haben.
Hoffnungsvolle Botschafter erklären in vorauseilendem Gehorsam, sie wollten nicht mehr an Veranstaltungen teilnehmen, bei denen auf dem Podium keine angemessene Anzahl von Frauen sitzt. Höchst unprofessionell!
Botschaften und Konsulate nehmen weltweit nicht nur an Christopher Street Day-Paraden amtlich teil, sondern sie organisieren selbst schon ähnliche Events zum höheren Lobe der LGBTQ-Agenda. Und dafür ist immer reichlich Geld vorhanden. Sowas hat es schon unter Baerbocks längst vergessenem Vorgänger gegeben (Heiko Maas hieß der übrigens). Aber jetzt ist es zur Obsession geworden, besonders in Ländern, deren Gesellschaften „noch nicht so weit sind“, wo womöglich Homo-Ehe und Trans-Ideologie noch nicht am Start sind.
Wo bleibt da die „regelbasierte Außenpolitik“?
Zum Mantra von der „regelbasierten Außenpolitik“ passt dieses verbissene Sendungsbewusstsein schlecht. Die klassischen Regeln der Diplomatie spielen anscheinend keine dominierende Rolle mehr, denn die Umerziehung der Gesellschaft des jeweiligen Gastlandes gehört ganz sicher nicht zu den Aufgaben einer deutschen Auslandsvertretung. Im Pflichtenheft der Leiter der Auslandsvertretungen stehen aber immer mehr solche Aufträge, die mehr Ideologie als Professionalität verraten. In den beiden Wiener Übereinkommen über diplomatische bzw. konsularische Beziehungen, die weltweit die akzeptierte Gebrauchsanweisung für Diplomatie sind, sucht man derlei Ideologietransfer vergebens.
Grundgesetz nur für den heimischen Gebrauch
Unter der Überschrift „feministische Außenpolitik“ findet sich in den Handreichungen des AA auch viel Harmloses und Selbstverständliches, was ohnehin immer schon zur Menschenrechtspolitik gehörte, es wurde nur umettiketiert: Vom Schutz vulnerabler Gruppen, insbesondere Frauen und Kinder, über den Kampf gegen Menschenhandel, Genitalverstümmelung und ähnliche Verbrechen, bis hin zur Förderung von Gesundheit und Bildung. Alle diese Themen sind schon jahrzehntelang Bestandteil der Menschenrechtspolitik Deutschlands und seines Auswärtigen Amts. Unter Frau Baerbock steht nun aber ganz oben auf der Agenda die massive Förderung von Abtreibung. Gemeinsam mit der Entwicklungshilfeministerin treibt Baerbock diese Agenda rücksichtslos voran, besonders in Afrika. Nach dem Motto: Entwicklungshilfe gibt es nur, wenn ihr Abtreibung fördert.
Unter Baerbock hat es einen massiven Paradigmenwechsel gegeben.
Was früher noch unter der Bezeichnung „sexuelle und reproduktive Rechte“ bzw. „Gesundheit“ verborgen gehalten wurde, das wird jetzt offen und aggressiv gefordert. Seltsamerweise fällt weder der Entwicklungshilfe- Ministerin Schulze, noch Frau Baerbock, auf, dass damit eine außenpolitische Linie gefahren wird, die dem Grundgesetz diametral widerspricht. Baerbocks Abtreibungspolitik ist mit der Rechtsordnung in Deutschland unvereinbar – aber sie wird vehement in vielen Ländern auf der Welt betrieben, so als gelte das Grundgesetz nicht für das Handeln deutscher Regierungen im Ausland.
Zeit für einen Wechsel
Das wird man am Werderschen Markt ebenso wenig hören wollen wie in der Parteizentrale der Grünen. Nach dem Ampel-Aus plant ja die Chef-Ideologin im Außenamt längst den Sprung in die nächste Koalition. Aber angesichts des Ausgangs der Präsidentschaftswahlen in den USA wäre die nächste Bundesregierung gut beraten, einen Amtsinhaber oder eine Amtsinhaberin zu finden, die nicht mit allem ihrem Tun und Sagen immer hundertprozentig „woke“ ist. Vielleicht muss Deutschland ja auch mit den USA außenpolitisch zusammenarbeiten. Ob dabei Klima und Gender wirklich die richtigen Prioritäten sind, daran darf man zweifeln.
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