von THILO SCHNEIDER
BERLIN – Damit wir uns nicht missverstehen: Dieser Artikel soll keine Kritik an der Tätigkeit der Außenministerin Annalena Baerbock sein. Ich möchte nur verstehen, was diese Frau so tut und wie sie ihre „feministische Außenpolitik“ so umsetzt und was sie damit meint.
Die Außenministerin möchte nämlich mit Kenia ein „Fachkräfteabkommen“ abschließen und somit kenianischen Fachkräften eine leichtere legale Migration nach Deutschland ermöglichen. Wie die Rheinische Post berichtet, sieht Baerbock dies als „win-win-Situation“, denn „in Kenia gibt es eine hohe Jugendarbeitslosigkeit und für uns stärken wir so die legale Migration nach Europa und Deutschland.“ So gewinne man „Fachkräfte, um die wir uns weltweit so intensiv bemühen, auch für die deutsche Wirtschaft.“ Offen gestanden sehe ich hier einen kleinen Widerspruch: Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt in Kenia rund 40 Prozent. Dies bedeutet, 40 Prozent aller kenianischen Jugendlichen haben überhaupt keine Ausbildung, nichts, nada, nothing. Die können vielleicht ein bisschen Mopeds frisieren und auf dem Markt Hühnereier zum Kauf anbieten, aber diese Jugendlichen sind alles – nur keine Fachkräfte.
Die nächste Überlegung wäre nun, dass Analena Baerbock diese 40 Prozent Jugendarbeitslose nach Deutschland bringt, um sie dort zu Facharbeitern auszubilden.
Kenia hat derzeit 54 Millionen Einwohner, davon sind wiederum 40 Prozent jünger als 15 Jahre. Gehen wir davon aus, dass es etwa weitere 20 Prozent Jugendliche zwischen 15 und 25 gibt, dann reden wir hier über einen „Facharbeiterpool“ von 10,8 Millionen Jugendlichen. Die Jugendarbeitslosenquote liegt laut dem Entwicklungshilfeverein „Commundo“ bei satten 40 Prozent. Oder, in Zahlen, bei 4,32 Millionen Köpfen. Wie viele Millionen noch-nicht-Facharbeiter will Annalena Baerbock nach Deutschland holen und wie gedenkt sie, diese zu Facharbeitern zu machen? Hinzu kommt, dass die Neu-Hinzu-Kommenden bestenfalls rudimentäres Englisch sprechen werden, denn insgesamt tummeln sich in Kenia mehr als 40 verschiedene Volksgruppen, die über 50 verschiedene Sprachen und Dialekte sprechen. Was bedeutet „Benzineinspritzpumpe“ auf Suaheli? Ich verrate es Ihnen: „Pampu ya sindano ya mguu“. Sehen wir demnächst deutsche KFZ-Ausbilder mit dem Google-Translator, die „Bremsbelagabrieb“ nach Suaheli übersetzen?
Und warum ausgerechnet Kenia?
Gab es da keine anderen Länder in greifbarer Nähe? Wie wäre es beispielsweise mit Spanien? Dort beträgt die Jugendarbeitslosigkeit immerhin knapp 30 Prozent und da sind bestimmt ebenfalls sehr viele in Spanien Neu-Hinzugekommene dabei, wäre das nicht kürzer und eleganter gewesen? Was hat Frau Baerbock gegen Spanien?
Sicher, gleichzeitig hat sie ja sozusagen ein „Remigrationabkommen“ geschlossen, das bedeutet, Kenia nimmt seine nicht facharbeitenden Schäfchen zurück, wenn die hier etwas über die Stränge schlagen, aber es gibt in Deutschland (noch) so gut wie keine Kenianer, in der Zuwanderungsstatistik haben die armen künftigen Facharbeitenden nicht einmal einen eigenen Balken. Dies bedeutet, es sind weniger als 20.000. Weil die Iraner den letzten Balken haben und die sind auch keine 20.000. Wäre es, mal so rein statistisch gesehen, da nicht klüger, Frau Baerbock würde Facharbeiterabkommen mit Rumänen, Polen, der Türkei oder Bulgarien schließen? Oder zeichnen sich Kenianer durch überbordende Intelligenz und schnelle Auffassungsgabe vor den anderen Genannten aus? Wo aber sind dann die kenianischen High-Tech-Städte, in denen, man mag es kaum glauben, „Fernseher Strom erzeugen“, frisch aus Simbabwe importiert?
Außerdem haben wir hier doch auch einen Pool von „lern- und leistungswilligen Syrern und Afghanen“. Was ist mit denen? Werden die nicht furchtbar neidisch auf die Kenianer schauen, wenn die hier zu Mega-Facharbeitern ausgebildet werden, während sie immer noch in den Aufnahmeeinrichtungen oder Sozialwohnungen hocken? Apropos: Wo bringen wir unsere kenianischen Baerbock-Gäste unter? Haben wir einen Überschuss an Wohnungen, oder wie sieht das aus?
Ich sage es gerne noch einmal: Das soll keine Kritik an Baerbocks „feministischer Außenpolitik“ sein, ich würde sie nur gerne verstehen und nachvollziehen können. Mir scheint das sehr sinnlos und, um es freundlich auszudrücken, nicht sehr klug zu sein. Was hat sie vor? Oder vermisst sie in Deutschland Kenianer, die ja keinen Fluchtgrund haben – wenigstens noch nicht, das kann in Afrika schnell kippen – und sie will so für mehr bunte Tupfer und Einsprengsel sorgen?
Wie kommt sie überhaupt auf Kenia und nicht auf Spanien?
Da muss doch jemand gesagt haben, „Frau Außenministerin, uns fehlen Facharbeiter, viele Facharbeiter, fünf Millionen mindestens“, und sie muss geantwortet haben: „Ja, woher sollen wir die nehmen?“, um dann ein achselzuckendes „Ja, was weiß ich? Meinetwegen Kenia!“ zu ernten. Und über welche Zahlen reden wir überhaupt?
Im Worst-Case laden wir, siehe oben, über vier Millionen noch auszubildende Facharbeiter ein (nein, fragen Sie jetzt nicht nach „Familiennachzug“. Eine keniansche Frau hat im Schnitt 3,3 Kinder, was möglicherweise am schlechten Fernsehprogramm liegt. Und da haben wir Onkel und Tanten und Oma und Opa noch nicht mitgezählt). Realistisch, weil ja nicht jeder nach Ujerumani (Suaehli für Deutschland), dürften zwischen zwei und drei Millionen demnächst zu Facharbeitern Auszubildende sein. Zusätzlich zu den noch immer nicht ausgebildeten auszubildenden Facharbeitern, die schon da sind.
Noch einmal: Ich will Frau Baerbock nicht kritisieren: Aber was hat sie genau vor? Ist das durchdacht?
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Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.
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