NEW YORK – Nach detaillierten Vorwürfen der sexuellen Belästigung mehrerer Frauen hat US-Präsident Joe Biden den Gouverneur des Bundesstaats New York, Andrew Cuomo, zum Rücktritt aufgefordert. «Ich denke, er sollte zurücktreten», sagte der Demokrat Biden im Weißen Haus über seinen Parteifreund.
Es gilt als sehr ungewöhnlich, dass der US-Präsident einen rechtmäßig gewählten Gouverneur zum Rücktritt auffordert – noch dazu, wenn dieser zur gleichen Partei gehört. Biden hatte sich aber bereits im März in einem Interview sehr kritisch zu den Vorwürfen gegen Cuomo geäußert. Auf die Frage, ob Cuomo zurücktreten solle, falls die Untersuchung die Vorwürfe bestätigen sollte, sagte Biden damals: «Ja.» Frauen bräuchten «viel Mut», um solche Vorwürfe öffentlich zu machen, sagte Biden. Sie sollten daher sehr ernst genommen und die Vorwürfe genau untersucht werden, sagte Biden damals.
Zuvor war eine von New Yorks Generalstaatsanwältin Letitia James durchgeführte Untersuchung zu dem Ergebnis gekommen, dass Cuomo mehrere Frauen sexuell belästigt haben soll.
«Verstörendes, aber klares Bild»
Für die Untersuchung sei mit 179 Zeugen gesprochen und rund 7400 Beweismaterialien seien gesichtet worden, sagte James bei einer Pressekonferenz. Daraus sei «ein sehr verstörendes, aber klares Bild» von einem «verstörenden Verhaltensmuster» des Gouverneurs entstanden. Unter anderem habe es ungewollte Berührungen, Küsse, Umarmungen und unangebrachte Kommentare gegeben. Außerdem habe Cuomo eine für Frauen «feindliche Arbeitsatmosphäre» und ein «Klima der Angst» geschaffen. Die Anschuldigungen kommen vor allem von elf Frauen. «Ich glaube diesen Frauen und ich danke ihnen für ihren Mut», sagte James.
Ihre Arbeit sei damit abgeschlossen, sagte die Generalstaatsanwältin weiter. «Der Bericht spricht für sich selbst.» Es habe sich um eine zivile Untersuchung gehandelt, die nicht automatisch strafrechtliche Konsequenzen nach sich zöge – auch wenn sich diese auf Basis des veröffentlichten Beweismaterials separat ergeben könnten. «Die nächsten Schritte liegen beim Gouverneur, beim Parlament und bei der Öffentlichkeit.»
Cuomo meldet sich zu Wort
Cuomo wies die Vorwürfe kurz nach der Pressekonferenz per Videobotschaft erneut zurück. «Die Fakten sind ganz anders als sie hier dargestellt werden», sagte der Gouverneur. «Ich will, dass Sie direkt von mir hören, dass ich niemals jemanden unangemessen berührt oder mich jemandem unangemessen genähert habe. Ich bin 63 Jahre alt. Ich habe mein gesamtes Erwachsenenleben im Auge der Öffentlichkeit verbracht. Das entspricht einfach nicht dem, der ich bin, oder der ich jemals war.»
Cuomo entschuldigte sich erneut bei einigen der Frauen. Er habe nur helfen und Dankbarkeit und Freundschaft ausdrücken wollen. Er übernehme die Verantwortung und wolle Veränderungen herbeiführen. So habe er beispielsweise einen Experten engagiert, der sein komplettes Team fortbilden solle. Einen möglichen Rücktritt, den auch Parteigenossen immer wieder gefordert hatten, thematisierte Cuomo in der Videobotschaft nicht. Seine Entgegnung auf die Untersuchung legte er auch noch einmal in einem 85-seitigen Bericht seiner Anwältin dar, den er am Dienstag veröffentlichte.
Rücktrittsforderungen auch aus eigener Partei
Die Rücktrittsforderungen von Mitgliedern beider Parteien wurden nach der Veröffentlichung des Berichts allerdings sofort wieder laut – unter anderem vom Mehrheitsführer der Demokraten im US-Senat, Chuck Schumer. «Die Menschen in New York verdienen eine bessere Führung», erklärte Schumer gemeinsam mit Senatorin Kirsten Gillibrand. Beide vertreten den Bundesstaat New York im US-Senat. Die Untersuchung gegen Cuomo sei «gründlich und professionell» gewesen und habe die Vorwürfe belegt. «Kein Politiker steht über dem Gesetz».
«Das Verhalten des Gouverneurs, wie es in diesem Bericht dargestellt wird, würde bedeuten, dass er nicht in der Lage ist, sein Amt auszuführen», sagte Carl Heastie, demokratischer Mehrheitsführer des New Yorker Repräsentantenhauses, das ein Amtsenthebungsverfahren gegen Cuomo einleiten könnte. Der Bericht solle nun genau untersucht werden, dann wolle man sich dazu erneut äußern.
Die Belästigungsvorwürfe mehrerer Frauen gegen Cuomo waren Anfang des Jahres öffentlich geworden. Der 63-Jährige hatte sich daraufhin für mögliche «Fehlinterpretationen» seines Verhaltens entschuldigt, aber alle Vorwürfe zurückgewiesen und einen Rücktritt mehrfach entschieden abgelehnt. Den hatten auch Mitglieder der eigenen Demokratischen Partei gefordert. Die Vorwürfe erinnern an Fälle sexueller Belästigung im Zuge von #MeToo, einer Bewegung die Cuomo einst öffentlich gepriesen hatte.
Generalstaatsanwältin James hatte daraufhin im März eine Untersuchung eingeleitet. US-Präsident Joe Biden hatte über seine Sprecherin erklären lassen, dass er die Untersuchung unterstütze. Cuomo hatte zugesagt, mit den Ermittlern zusammenzuarbeiten und war Medienberichten zufolge stundenlang von den Ermittlern befragt worden.
Vom Hoffnungsträger zum Problemfall
In der Corona-Pandemie war Cuomo anfangs zum Hoffnungsträger der Demokratischen Partei geworden. Er inszenierte sich als Gegenentwurf zum damaligen republikanischen Präsidenten Donald Trump. Fast täglich informierte er mit klaren Worten und Power-Point-Präsentationen über die Entwicklung des Infektionsgeschehens in seinem Bundesstaat und die Maßnahmen dagegen. Die Pressekonferenzen bekamen Kult-Status, wurden weltweit von Millionen Menschen live verfolgt – und der Gouverneur dafür schließlich sogar mit einem Emmy ausgezeichnet, dem wichtigsten Fernsehpreis der USA. Der geschiedene Vater dreier erwachsener Töchter, dessen Vater Mario bereits zwischen 1983 und 1994 Gouverneur von New York war, ist seit 2011 im Amt – und war 2019 für eine dritte Amtszeit wiedergewählt worden.
Neben den Vorwürfen sexueller Belästigung droht Cuomo noch weiterer Ärger: Wegen nachträglich stark nach oben korrigierter Zahlen zu Todesfällen in Pflegeheimen in Zusammenhang mit der Pandemie geriet der Gouverneur in den Verdacht, das wahre Ausmaß des Dramas verschleiert zu haben. Auch soll er Kritiker aus der Politik aggressiv angegangen sein und versucht haben, sie einzuschüchtern.
Bildquelle:
- Andrew Cuomo: dpa