von ULRIKE TREBESIUS
BERLIN – Der Bundestagswahlkampf befindet sich auf den letzten Metern. Nachdem lang und breit diskutiert wurde, ob sich die drei Kanzlerkandidaten überhaupt dazu eignen, dieses Land zukünftig zu führen, geht es jetzt wohl endlich auch um Inhalte.
Beachtenswert ist dabei nicht, was diskutiert, sondern was weggelassen wird. Nicht diskutiert wird beispielsweise, wie Deutschland zukünftig mit Migration umgehen möchte. Die amtierende Kanzlerin Angela Merkel hat kürzlich auf einer Podiumsdiskussion in Düsseldorf noch sagen dürfen, dass ihre Entscheidung aus dem Jahr 2015, Menschen aus aller Herren Länder unkontrolliert und unbegrenzt Zugang zu gewähren, richtig gewesen sei. Natürlich bestreitet sie auch, dass diese ihre Entscheidung zu einer Spaltung der Gesellschaft geführt habe.
Jeder der mit offenen Augen durch dieses Land geht weiß, dass die Spaltung erheblich ist und nicht nur unser Land, sondern die gesamte EU betrifft. Das ist ein bisschen wie der berühmte Elefant, der mitten im Laden steht, und alle tun so, als wäre er gar nicht da. Und dann richtet er aber gewaltigen Schaden an.
Ich war im Jahr 2015 Mitglied des Europäischen Parlamentes und habe erlebt, wie meine Kollegen aus anderen Mitgliedstaaten erst überrascht, dann belustigt und letztendlich entsetzt auf diesen deutschen Alleingang reagiert haben. Die Bundesregierung, die sonst immer alles auf Europäischer Ebene diskutieren möchte, hatte nämlich ohne die anderen Mitgliedsstaaten zu informieren oder zu konsultieren einfach Tatsachen geschaffen. Und dann eingefordert, die Konsequenzen dieses staatlichen Egoismus europäisch mitzutragen.
Den anderen Ländern, insbesondere denen, die ebenfalls Ziel dieser Zuwanderung waren, war durchaus bewusst, dass neben Menschen, die tatsächlich Anspruch auf Asyl oder subsidiärem Schutz haben, auch Menschen kommen werden, die einfach nur ein besseres Leben führen wollen. Nun ist der Wunsch, ein besseres Leben führen zu wollen, nicht per se verwerflich. Im Gegenteil: er ist verständlich. Nur muss ich die aufnehmende Gesellschaft fragen, inwieweit sie in der Lage ist, Menschen aus anderen Regionen und Kulturen in diesem Land zu integrieren, ohne dass es zu schweren Verwerfungen oder eben Spaltungen in der Gesellschaft führt. Es wäre die Aufgabe der Regierung zu prüfen, welche finanziellen Auswirkungen diese Zuwanderung hat und welche Effekte auf Sozialsystem, Gesundheitsversorgung, Stadtentwicklung, Wohnungsmarkt, Bildungseinrichtungen usw. Das alles hat die Bundesregierung bis heute versäumt.
Während Deutschland im Jahre 2015 im Jubelrausch war, besoffen von der eigenen moralischen Überlegenheit und dem eigenen Gut-sein, reagierten die unterschiedlichen EU-Staaten ihren Temperamenten entsprechend. Die Griechen, die Italiener, die Franzosen und die Spanier, sie ließen nach außen hin die Deutschen gewähren, die sie aus finanzpolitischen Erwägungen nicht verprellen wollten, während sie sich entweder für eigene mitunter unorthodoxe Schutzmaßnahmen ihrer Grenzen entschieden oder aber ankommende Migranten einfach nach Deutschland weiterschickten.
Es gab Länder wie Österreich, die bereit waren, strikte Maßnahmen einzuleiten, um der Situation Herr zu werden und den unbegrenzten Zustrom zu unterbinden. Bundeskanzler Sebastian Kurz schloß damals die sogenannte Balkan–Route, wovon auch unser Land partizipierte, ohne sich je dafür zu bedanken.
Und es gab Länder wie Ungarn und Polen, die von vornherein klar und deutlich gemacht haben, dass sie sich an dieser Form des unkontrollierten Zuzugs nicht beteiligen möchten. Nicht zuletzt bis heute eine wesentliche Ursache dafür, warum diese Staaten immer wieder arrogant von Deutschland und der EU gemaßregelt und belehrt werden.
Obwohl von Anbeginn an klar war, dass Deutschland hier nach der ersten humanitären Hilfe einen Sonderweg beschreitet, hat sich in Deutschland jahrelang erfolgreich die Mär gehalten, die Politiker würden nach einer europäischen Lösung suchen. Dem aufmerksamen Beobachter – ich gehe davon aus, dass auch der Bundesregierung dies durchaus bewusst und bekannt war – war von Anfang an klar, dass sich die anderen Länder dieser europäischen Lösung verweigern werden. Beim Brexit–Referendum war die Migration das letzte Zünglein an der Waage, die die Briten aus der EU trieb.
Seit fast sechs Jahren duckt man sich in Deutschland jetzt weg, um die Konsequenzen dieses Politikversagens und damit des Versagens der Bundesregierung Merkel nicht diskutieren zu müssen. Die CDU kann es nicht tun, weil sie einen gigantischen Fehler eingestehen müsste. Die SPD kann es nicht tun, weil sie in der großen Koalition Merkels Kurs immer mitgetragen hat. Die Grünen wollen es nicht tun, weil sie nicht annähernd in der Lage sind, die sich aus der umgesteuerten Migration ergebenden Probleme zu begreifen.
Sozialdemokraten in anderen Ländern scheinen nicht nur wesentlich klüger, sondern auch wesentlich mutiger zu sein. Die junge dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen hat bereits im Wahlkampf zu den letzten Wahlen des europäischen Parlamentes im Jahr 2019 klar gemacht, dass sie in der Migration einen gänzlich anderen Weg einzuschlagen gedenkt. Die offene Debatte in Dänemark gepaart mit den restriktiven Lösungen haben dafür gesorgt, dass die rechtskonservative Dansk Folkeparti nahezu marginalisiert wurde und bei den Wahlergebnissen weit hinter den Erwartungen zurückblieb.
Mette Frederiksen hat sich übrigens nicht für diese Politik entschieden, weil sie herzlos oder rassistisch ist, sondern weil sie realistisch ist und weil sie als Sozialdemokratin für die Menschen Dänemarks Politik machen möchte. Denn es sind die Bürger, die mit den Problemen einer unbegrenzten und unkontrollierten Zuwanderung konfrontiert werden. Ob in ihren Wohnvierteln, den Schulen ihrer Kinder, beim Lohndumping insbesondere für niedrig qualifizierte Arbeiten usw. Nun hat die dänische Regierung, der Frau Frederiksen vorsteht, weitere harte Maßnahmen angekündigt. Einwanderern sollen nur noch dann staatliche Hilfen gezahlt werden, wenn sie arbeiten. Die Regelung ist zunächst für Zuwanderer vorgesehen, die seit mindestens drei Jahren staatliche Leistungen in Dänemark beziehen.
Mit ihrer restriktiven Politik will die Ministerpräsidentin Migranten dazu zwingen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und nicht weiter die Sozialsysteme zu belasten. Sie will damit außerdem erzwingen, dass die Menschen in die dänische Gesellschaft integriert werden, denn Berufstätigkeit bedeutet auch, die Sprache lernen zu müssen, antiquierte Frauenbilder zu hinterfragen und schlicht einen Beitrag für die aufnehmende Gesellschaft zu leisten. Das dänische Modell ist übrigens kein Sondermodell, sondern ist fast auf der gesamten Welt verbreitet. Die einzigen Menschen, die sich hier absolute Naivität leisten und einen Sonderweg beschreiten sind die Deutschen. Und sie diskutieren das nicht einmal zu richtungsweisenden Bundestagswahlen.
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- Flüchtlinge_Boot_2: pixabay