von BJÖRN SCHREIBER
Berlin – Wer sich an der harschen Kritik am aktuellen Vorgehen der Bundesverteidigungsministerin von der Leyen beteiligt, wird schnell kritisiert, man solle nicht nur schimpfen, sondern auch eigen Vorschläge unterbreiten. Das will ich gerne tun: Frau von der Leyen kündigte groß einen Fünf-Punkte-Plan an. Dazu zählt sie auch die Stärkung des Prinzips der Inneren Führung und die Überarbeitung des seit 1982 existierenden Traditionserlasses unserer Streitkräfte. Angesichts von rechtsextremen Attentatsplanern und gefundenen Wehrmachtslandser-Helmen liegen diese beiden Punkte ja auch nahe.
Dazu sage ich: Ja, das ist richtig so! Warum ich dazu komme, muss ich Ihnen sicherlich erklären, weil Sie diese Bewertung wahrscheinlich nicht erwartet hätten. Der Traditionserlass hält fest, dass es drei Traditionslinien gibt, die identitätsstiftend für die Bundeswehr sein sollen:
1. Die preußischen Heeresreformer
2. Der militärische Widerstand im dritten Reich
3. Eine bundeswehreigene Tradition
Während die ersten beiden Punkte klar umrissen sind, ist die Frage: Was ist das, die bundeswehreigene Traditionslinie? Ist das die neue Heeresuniform der Bundeswehr? Die Zeit der „Hairforce“? Da haben Sie keine Antwort drauf? Da sind wir
uns einig, denn: In der Vergangenheit wurden immer wieder aufkeimende bundeswehreigene Traditionen abgelehnt oder gar unterdrückt. Ich erinnere mich noch an eine Initiative zu meiner Studienzeit in Hamburg, als ein Offiziersäbel angedacht
wurde. Oder ein paar Jahre später, als junge Offiziere die Idee zu einer neuen Gardeuniform hatten: Farblich am Freicorps Lützow orientiert und sinnbildlich für die Bundesländer 16 goldene Knöpfe. Doch das sind nur kleinere Symbole, die auch nicht sonderlich helfen würden.
Wo ist aber eine Tradition, die sich auf das bezieht, was die Bundeswehr seit den 1990ern international leistet und auch erleidet, sprich unsere Auslandseinsätze? Die Bundeswehr hat – nicht erst seit Afghanistan –
viele tapfere Kämpfer hervorgebracht. Kennen Sie Jan Berges, Alexander Dietzen, Henry Lukács und Markus Geist? Nein? Da sind Sie leider nicht alleine. Diese vier Soldaten sind die ersten, denen am 6. Juli 2009 das im
Jahr 2008 gestiftete Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit verliehen wurde. Mittlerweile gibt es 29 Träger dieser besonderen Stufe des Ehrenkreuzes, drei davon erhielten es posthum.
Nun denken wir weiter: Diese 29 Kameraden sind Helden. Vorbilder für junge Soldaten, die Halt suchen und sich anlehnen wollen. Diese Haltsuchenden wollen das, was sie erleben, erlebt haben oder erleben werden, in Bilder projizieren. Leben wir also eine aktive Veteranenkultur! Zeigen wir jungen Soldaten diejenigen, die das schon erlebt haben. Seien wir aber auch ehrlich mit der Besonderheit des Soldatenberufes: Töten undgetötet werden gehört dazu. Hier fehlt mir ein zentrales Gedenken für unsere Gefallenen in den Auslandseinsätzen mit großer Beteiligung unserer Abgeordneten.
Lassen Sie uns über ein vernünftiges Veteranenkonzept – neben den versorgungsrechtlichen Aspekten –
den Veteraninnen und Veteranen, wie das ja heute heißt, die Anerkennung zu Teil werden zu lassen, die sie einfach verdient haben. Im gleichen Atemzug ist die Suche nach Halt an Bildern von tapferen Soldaten anderer Epochen überflüssig. Ermutigen wir Künstler, Szenen aus den Auslandseinsätzen zu gestalten und so sinngebend für unsere jungen Soldatinnen und Soldaten zu werden. Wie sonst will ich einen Traditionserlass vernünftig mit Leben erfüllen?
Die jüngste Geschichte der deutschen Streitkräfte, die mittlerweile auch schon 62 Jahre alt ist, hat keine eigene lebendige Tradition hervorgebracht. Hier zeigt sich auch wieder die Führungsschwäche der Ministerin und des Ministeriums
als Organisation. Thomas de Maizière verkündete 2012 vollmundig im Deutschen Bundestag: „Ich stehe hinter den Veteraninnen und Veteranen.“ Im Koalitionsvertrag der 2013 gebildeten Koalition wird explizit eine Verpflichtung für die Verantwortung unseren Veteraninnen und Veteranen gegenüber niedergeschrieben. Und? Geschehen ist nichts! Im Herbst 2015 gab es eine vielversprechende Arbeitsgruppe im Ministerium, in der man sich nicht auf eine Definition einigen konnte.
Bei den unterschiedlichen Interessen der jeweiligen Verbände (Deutscher Bundeswehrverband,
Reservistenverband, Bund Deutscher EinsatzVeteranen e.V., Combat Veteran e.V.) auch nicht verwunderlich. Das Schlimme ist: Diese Verbände sind sich gar nicht so fern. Nun wurde die Arbeitsgruppe seitens des Ministeriums gar nicht mehr einberufen. Zugleich wird aber kolportiert, die Verbände sollten sich doch erst einmal einigen. Dem widerspreche ich: Hier wäre die Führung durch Frau von der Leyen gefragt! Die Verbände werden sich dort zwar kritisch zu äußern, aber auch entsprechend an dieser Definition andocken.
Die Kritik sollte die Ministerin ertragen, wie Sie in der Tat in den vergangenen Wochen zeigte. Im Übrigen hegt eine festgelegte Veteranendefinition mit darauf aufbauendem Anerkennungs-, Fürsorge- und Versorgungskonzept auch die„
Wildwüchse“ ein, die sich mittlerweile über die Jahre des Ignorierens der neuen deutschen Veteranen gebildet haben. So lange aber Frau Ministerin kein Interesse daran hat, ihren Soldatinnen und Soldaten diese ihnen zustehende Anerkennung zukommen zu lassen, wird sich auchnichts tun. Und so lange wird der Kommunikationschef Flosdorff ein Veteranenkonzept als „Maßnahme zur Öffentlichkeitsarbeit für Reservisten“ bezeichnen und daher keine Dringlichkeit erkennen lassen.
Vielleicht ist es ja jetzt die Zeit in der durch die Überarbeitung des Traditionserlasses auch Schwung in die Erstellung des Veteranenkonzeptes kommt. Vor allem um unseren Soldatinnen und Soldaten Halt zu geben, Sicherheit zu bieten und auch die Anerkennung zukommen zu lassen, die sie verdient haben: Der Traditionserlass und einVeteranenkonzept sind zwei Seiten derselben Medaille!
Björn Schreiber ist 35 Jahre alt und Kapitänleutnant der Reserve. In seinen 12 Dienstjahren absolvierte er drei Auslandseinsätze, u.a. zweimal in Afghanistan. Er ist Herausgeber des Buches „Die unsichtbaren Veteranen – Kriegsheimkehrer in der deutschen Gesellschaft“.
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Bildquelle:
- Rekruten der Bundeswehr: dpa