von DR. STEFAN GEHROLD (USA)
WASHINGTON – Vor dem Hintergrund der sich häufenden Ausfälle des amtierenden demokratischen US-Präsidenten Joe Biden wird auf den Fluren in Washington immer lauter über Alternativen für die Präsidentschaftswahl 2024 diskutiert. Ein Name wird dabei in den vergangenen Tagen besonders häufig genannt: Michelle Obama.
Auch in Deutschland überschlagen sich die Medien mit Spekulationen über eine mögliche Kandidatur der 59jähren. Da ist von „Wunderwaffe“, von „großen Chancen“ und von „spektakulären Gerüchten“ die Rede. Die Meldung, die in den USA bereits vor einem Monat die Runde machte, verspricht zumindest eines: Spektakel.
Der Ansatz, sich den Namen des prominenten Ehepartners zu Nutze zu machen, um sich ohne Umwege und harte Parteiarbeit zu höchsten Ämtern aufzuschwingen, ist in den USA nicht neu. In Europa, vor allem aber in Deutschland, stieße ein derartiges Ansinnen zumindest auf Unverständnis oder sorgte für Schenkelklopfen. Kann sich jemand vorstellen, Hannelore Kohl oder Loki Schmidt oder gar Prof. Sauer hätten sich nur im Ansatz zu derartigen Überlegungen verstiegen? Der einzige Name, der einem hierzulande einfiele, wäre vielleicht Doris Schröder-Köpf, aber der Gedanke ist nur eine Sekundenidee. Immerhin: Sie wurde im Windschatten Ihres Mannes immerhin Landtagsabgeordnete in Niedersachsen.
Die ehemalige Präsidentengattin Hillary Clinton verlor 2016
Um der Wahrheit die Ehre zu geben, derartige Sperenzchen sind auch in Amerika nicht wirklich populär. Es scheint eher eine Modeerscheinung der vergangenen 20 Jahre bei den Demokraten zu sein. Nancy Reagan, Jackie Kennedy oder Laura Bush hätten vermutlich laut gelacht, wenn ihnen jemand eine Kandidatur um die Präsidentschaft angetragen hätte. Und doch wagte es 2016 Hillary Clinton… und verlor. Nicht nur deshalb, aber zweifellos auch deshalb.
Michelle Obamas Mann, Barack Obama, wurde in Teilen der Welt, auch in Deutschland, nach seiner Wahl 2008 als Heilsbringer gefeiert. Er erhielt, obwohl er noch gar nichts geleistet hatte, vom Nobelpreiskomitee vorauseilend den Friedensnobelpreis. Ob seine Administration nun nachhaltig zum Frieden in der Welt beitrug, ist zumindest fragwürdig. Innenpolitisch gab es in den acht Jahren keine tragenden Veränderungen; abgesehen von einer Krankenversicherungsreform, die keinen durchschlagenden Erfolg brachte. Dafür war sie aber recht teuer und wurde durch Schulden finanziert.
Barack Obama schaffte das Kunststück, die Staatsverschuldung der USA innerhalb von acht Jahren zu verdoppeln. Das war vor ihm noch keinem Präsidenten gelungen. Aber: Die Sippenhaft ist glücklicherweise weltweit weitgehend abgeschafft. Auch in den USA. Und so sollte dann auch eine potentielle Kandidatur von Familienmitgliedern weder positiv noch negativ im Lichte der Arbeitsleistung vergangener Präsidenten betrachtet werden.
Michelle Obama hat keine politische Vergangenheit
Und nun Michelle Obama. Die Anwältin hat keine politische Vergangenheit. Acht Jahre lang war sie „First Lady“, in den USA keine unwichtige, wenn auch keine verfassungsmäßige, Rolle. Immerhin war das in Deutschland kürzlich einem Konferenzveranstalter so wichtig, dass er bereit war, ihr für eine einstündige Rede über 700.000 Euro Honorar zu zahlen. Die meisten Bundesbürger schaffen einen derartigen Erlös in ihrem gesamten Berufsleben nicht.
Einige Medien wollen nun informiert sein, dass sie über eine Kandidatur für die Demokraten nachdenkt. Unglücklich nur, dass der jetzige demokratische Präsident Joe Biden wieder antritt. Im Grunde kommt eine parteiinterne Kandidatur gegen einen amtierenden Präsidenten nicht in Betracht. In den USA nicht, und wohl auch sonst kaum irgendwo auf der Welt. Was könnte also Michelle Obama zu einem derartigen Schritt treiben?
Zweifel hinsichtlich Bidens Befähigung für weitere vier Jahre Präsidentschaft
Joe Biden ist mittlerweile 81 Jahre alt. Wird er wiedergewählt, wäre er 82, am Ende seiner Amtszeit dann 86. Nun: Konrad Adenauer war am Ende seiner Amtszeit 87, Bidens möglicher Rivale von den Republikanern, Ex-Präsident Donald Trump, ist nur zwei Jahre jünger. Was soll also die Aufregung?
Nun, die Auftritte des amtierenden Präsidenten haben mit denen Donald Trumps wenig zu tun. Während Trump dynamisch und kampfeslustig durchs Land reist, wirkt Joe Biden greisenhaft, teils apathisch. Nicht nur unter Republikanern sorgen seine gelegentlichen Anfälle von Vergesslichkeit und sein stolpernder Gang für hochgezogene Augenbrauen. Die Berichte, der Präsident würde bei Sitzungen „wegdämmern“, häufen sich.
Macht das den Demokraten Sorgen?
Natürlich. Wie denn auch nicht? Es sieht danach aus, dass erneut Donald Trump Joe Bidens Gegenspieler bei den Wahlen sein könnte. Das hat viele Gründe und bedarf einer genaueren Analyse. Aber darum geht es hier nicht. Nach einer kürzlich veröffentlichten Umfrage führt Donald Trump vor Joe Biden in 5 von 6 sogenannten „Swing States“, also den Staaten, die voraussichtlich bei der Wahl den Ausschlag geben werden. Denn niemand kommt auf den Gedanken, die Republikaner könnten Kalifornien oder die Demokraten Texas gewinnen. Nun ist das nur eine Umfrage eines Institutes, aber unbedenklich ist das Ergebnis für die Demokraten nicht. Denn dahinter steht die offensichtliche Überzeugung vieler, auch derer, die keine Trumpanhänger sind, dass der jetzige Präsident dem Amt nicht mehr gewachsen ist.
Haben die Demokraten einen Plan B?
In einer derartigen Situation mag es Raum für einen „Plan B“ geben. Und hier kommt Michelle Obama ins Spiel. Wird sie offen gegen Joe Biden antreten? Als Königsmörderin? Vermutlich nicht. Aber der könnte kurz vor der Wahl aus Altersgründen doch noch verzichten. Das wäre die Stunde der Anwältin aus Chicago. Oder: Biden könnte sie als „running mate“, also als Partnerin und potentielle Vizepräsidentin, benennen. Nach kurzer Amtszeit träte er ab, und nach kurzer Übergangszeit würde die Vizepräsidentin zur Präsidentin.
Kann die Frau aus Illinois Präsidentin? Sie hat, im Gegensatz zu einem Teil des Bundeskabinetts, eine ordentliche Ausbildung und den Nachweis juristischer Befähigung erbracht. Der Anwaltsberuf ist ein ehrbarer. Erfahrung als Gesetzgeberin und als Politikerin im engeren Sinn bringt sie nicht mit. Das wäre allerdings nicht das erste Mal in den USA. Es galt für Donald Trump auch, dessen Stil viele irritierte und irritiert, dessen Amtszeit für die USA selbst aber durchaus erfolgreich war. Es mag ihr fast eher im Weg stehen, dass sie eben „die Frau von …“ ist. Das stößt eben doch vielen Amerikanern auf. So begeistert ist der Mann von der Straße dann nicht von politischen Familiendynastien à la Roosevelt, Kennedy, Bush, Clinton … Obama (?).
Sollte die Anwältin tatsächlich ins Feld ziehen, ist es ein Vabanquespiel mit vielen Unbekannten und Unwägbarkeiten; für sie, die Demokratische Partei und die amerikanische Gesellschaft. Eines wäre es gewiss: Ein Spektakel!
Bildquelle:
- Barack und Michelle Obama: dpa