von JAN PETERMANN & CHRISTIAN BRAHMANN
BRAUNSCHWEIG – Eine Verantwortung wie ein Top-Manager, aber eine Bezahlung wie früher am Band.
Genau das wäre laut einem der Angeklagten die Folge gewesen, wenn der langjährige Betriebsratschef Bernd Osterloh schon vor dem jüngsten Wechsel zur VW-Lkw-Sparte Traton nicht mehr für sein Amt kandidiert hätte – und die Leitung dazu übergegangen wäre, ihn auf das Gehalt bei Karrierebeginn zurückzustufen. Wie viel Belegschaftsvertreter auf Basis welcher Regeln verdienen dürfen, beschäftigt seit Dienstag das Landgericht Braunschweig. In dem Strafprozess geht es um den Vorwurf der Untreue.
Überzogene Vergütungen und Boni seien jahrelang an Osterloh und vier weitere hohe Betriebsräte geflossen, so die Überzeugung der Staatsanwaltschaft. Das sei eine bewusste Entscheidung des Managements gewesen. Es ist ein kniffliges Thema. Denn neben angeblich allzu üppigen Bezügen für Mitglieder der Arbeitnehmerbank in Deutschlands größtem Unternehmen birgt auch der mitschwingende Verdacht Aufregerpotenzial, man habe sich die Gewogenheit der Gegenseite quasi erkaufen wollen. Obendrein ist die Rechtslage wegen des veralteten Betriebsverfassungsgesetzes alles andere als klar.
Zu den Angeklagten zählen unter anderem die früheren VW-Konzernpersonalvorstände Horst Neumann und Karlheinz Blessing. Außerdem richten sich die Vorwürfe gegen zwei andere Manager, von denen einer noch an einer höheren Stelle im Konzern im Einsatz ist.
Staatsanwältin Sonja Walther sagte, die Führungskräfte hätten die Kriterien zur Gehaltsbestimmung «bewusst so gewählt, dass scheinbar ein erhöhtes Gehalt gerechtfertigt war, obwohl dies nicht korrekt war» und nur durch die Position der Männer im Betriebsrat zustande gekommen sei. Um eigene Vorteile für Osterloh, der am 20. September als Zeuge auftreten soll, sowie für dessen Kollegen geht es nicht.
Zentraler Streitpunkt ist die Frage, wie Bezüge hoher Betriebsräte ermittelt werden sollen. Es gibt Vergleichsgruppen von Beschäftigten mit ähnlicher Qualifikation. Aber wie kann man wissen, auf welcher Management-Ebene mit welchem Gehalt jemand heute vermutlich wäre, wenn er oder sie sich nicht fürs «Ehrenamt» Betriebsrat entschieden hätte – das nicht zuletzt auf Konzernebene de facto ein Hauptamt mit viel Arbeit und Druck ist? Was bedeutet da angemessene Vergütung?
Die juristischen Grundregeln sind im Betriebsverfassungsgesetz, das schon sehr lange nicht umfassend reformiert wurde, relativ unscharf definiert. Sicher ist bisher nur: «Betriebsratsmitglieder dürfen von Gesetzes wegen weder begünstigt noch benachteiligt werden aufgrund ihrer Stellung», erklärte ein Sprecher des Landgerichts. Präzise Gehaltskorridore in Relation zu Nicht-Betriebsräten gibt es nicht.
Für die Staatsanwaltschaft liegt jedoch auf der Hand, dass die Personalmanager von 2011 bis 2016 die Bezahlung gezielt unangemessen hoch ansetzten – was Gewinn und Ertragssteuern von VW geschmälert habe. Die Angeklagten hätten in 26 Einzeltaten «ihre Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, missbraucht», so Walther. Es gehe um eine «arbeitsrechtswidrige tarifliche Einstufung», die schließlich einen Gesamtschaden von rund fünf Millionen Euro verursacht habe.
Die Verteidigung sieht das ganz anders – zudem sei ein Strafprozess gar nicht das passende Format zur Diskussion arbeitsrechtlicher Kontroversen. Blessing, der Anfang 2016 die Personalverantwortung beim größten europäischen Autobauer übernommen hatte, ist sich keiner Schuld bewusst: «Ich bin nicht im Ansatz davon ausgegangen, ich könnte Herrn Osterloh und andere unrechtmäßig begünstigen.»
Es sei darüber hinaus klar gewesen, dass Osterloh und andere höhere Betriebsräte – Management-Positionen vergleichbar – viel Erfahrung sowie eine «beachtliche und strategische Qualifikation» erworben hätten. Daher seien die genehmigten Gehälter auch in Ordnung, sagte Blessing. In guten Jahren verdiente Osterloh bis zu 750 000 Euro.
Neumann, VW-Konzernpersonalchef von 2005 bis 2015, erklärte, man habe sich stets an Gesetzesvorgaben gehalten. Es könne auch keine Lösung sein, leitende Betriebsräte weiter auf dem Niveau ihres Einstiegsgehalts zu bezahlen. Das habe im Besonderen für Osterloh gegolten: «Wir hätten ihn sicher nicht als Pförtner eingesetzt.» Ein anderer Angeklagter meinte, ihn gemäß seiner Anfangsqualifikationen vor der Betriebsratskarriere zu bezahlen, wäre keine Option gewesen: «Das ist in meinen Augen absurd.»
Im Fall einer Verurteilung ist Untreue im besonders schweren Fall mit sechs Monaten bis zehn Jahren Freiheitsstrafe bedroht. Blessings Verteidiger Hanns Feigen ging die Strategie der Anklage frontal an. Ein solches Verfahren gehöre am Ende «letztlich vor das Bundesarbeitsgericht, das ja hierzu schon mehrfach Statements abgegeben hat, die deutlich machen, dass die Position der Staatsanwaltschaft absolut überholt ist».
VW selbst ist nicht beteiligt, bekräftigte aber seine Auffassung, «dass im Zusammenhang mit der Festlegung der Vergütung einzelner Betriebsratsmitglieder kein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten festgestellt werden kann». Im Übrigen glauben die Konzernjuristen ebenfalls: «Das Betriebsverfassungsgesetz und die bisher dazu vorliegende Rechtsprechung lassen wichtige Fragen unbeantwortet. Es ist bedauerlich, dass die Politik die ursprüngliche Absicht, eine rechtliche Klarstellung vorzunehmen, nicht umgesetzt hat.» Am Mittwoch soll die Hauptverhandlung fortgesetzt werden.
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