Von der Missachtung der Entscheidungsfähigkeit eines Bürgers

von MARTIN D. WIND

Niemand kann und darf einem Buchhändler vorschreiben, welche Bücher er einkauft, auf Lager hält, für Kunden bestellt und verkauft. Das ist eine freie Entscheidung eines freien Bürgers über die Inhalte seiner Berufsausübung. Jeder darf sich Gedanken machen, welche Gesinnung dahinter stehen mag, wenn eine Buchhändler gegenüber einem Verlag zugibt, dass in seinem Geschäft Bücher bestimmter Autoren nicht angeboten werden, nicht im Lager verfügbar und auch nicht für Kunden zu bestellen seien. Erinnern wir uns, was für ein Getobe um Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“, Akif Pirinçcis „Umvolkung“ oder auch um Michel Hollubecqs „Unterwerfung“ herrschte? Talk-shows, Empörungepik oder auch Schnappatmungen in bestimmten Kreisen waren kaum mehr einzufangen. Das Pathos feierte fröhlich Urständ in Deutschland.

Natürlich gibt es an jedem dieser Bücher etwas zu bemängeln. Selbstverständlich muss man mit Sarrazin nicht einer Meinung sein, selbstverständlich bedient sich Pirinçci einer für viele abstoßend vulgären Sprache und ist von einer brutalen Apodiktik in seinen Analysen und selbstverständlich stellt Hollubecq eine Zukunftsvision Mitteleuropas auf, die erschreckend apocalyptisch daher kommt. Hollubecq wagt es gar eine bestimmte Geisteshaltung für diese Apocalypse der europäisch-westlichen Zivilisation verantwortlich zu machen. Das ist zuviel für dieses Milieu, das sich normalerweise in der stürmischen Zuneigung Intellektueller sonnen kann und will, das davon überzeugt ist, dass es der Menschheit die richtige „Einstellung“ vorlebt. Aber reicht das, um Autoren und Bücher vom Publikum, von anderer und ungelegener politischer Meinung bevormundend fernzuhalten?

„Index Librorum Prohibitorum“ – so heißt ein Buch in dem die Kirche Druckwerke zusammentrug und verzeichnete, die ein Christ nicht lesen sollte. Dass dieser Index von der Kirche 1966 nach mehr als 400 Jahren außer Kraft gesetzt wurde, wird nicht nur von den Gläubigen der Kirche begrüßt. Auch Kirchenkritiker sahen darin den logischen Untergang einer unwürdigen Bevormundung des intelligenzbegabten Menschen: Wer lesen konnte, sollte sich selbst mit den Ideen anderer Menschen auseinandersetzen können und dürfen. Und genau vor dieser Auseinandersetzung hatte man in herrschenden Kreisen – sowohl in weltlichen als auch in klerikalen – Angst. Denn selbstverständlich konnten Ideen und Meinungen, die die Herrschaft nicht festigten oder auch die Theologie hinterfragten, eine massive Legitimationskrise auslösen. Vor diesem Legitimationsdruck flüchteten sich die Machthabenden in Zensur und Index. Und zu Recht kann man mit Blick auf diese Reaktion auch davon ausgehen, dass man in kirchlichem und weltlichem Apparat auch die eigene Ideen- und Argumentationslosigkeit fürchtete. Man war dem, was da gedruckt wurde, oft einfach nicht gewachsen.

Und so bewahrte man über Jahrhunderte Untertanen und Gläubigen, davor, sich mit Themen zu befassen, deren geistige Durchsteigung man dem „ungebildetenVolk“ nicht zutraute und vor dessen „schädlichen Folgen“ man sie beschützen wollte. Man gab also vor, im Sinne der Menschen zu handeln. Erinnert diese Rechtfertigung uns heute nicht an etwas?

Heute ist es seltener der Staat, der sich so blamabel unsouverän aufführt, dass er den „Untertanen“ mangelnden Durchblick bei „komplexen politischen Themen“ unterstellt. Wobei durchaus eine Tendenz dazu zu beobachten ist, dass Mitglieder der Bundesregierung sich dahingehend geäußert haben und ähnlich hoheitlich agitieren, wie weiland die Reichsfürsten. Heute sind es Medien, die uns meist fürsorglich ein Bild der Realität und des politischen Diskurses nahe bringen wollen, das in pädagogisch wertvoller Weise die Ruhe in der Volksseele fördert. Gestützt wird diese Haltung von einem linken Milieu, das schon immer meinte, es wisse besser, was für das „tumbe Volk“ gut sei, als dieses das selbst wissen könne. Und so nimmt man sich dann auch als kleiner Buchhändler das Recht, zu entscheiden, was man den Menschen an Ideen zukommen lassen dürfe und was nicht.

Die gängelnde und bevormundende Missachtung des Individuums, seiner Entscheidungsfähigkeit und vor allem auch seines Entscheidungswillens, ist Ausdruck einer zutiefst menschenverachtenden Haltung. Sie zeigt sich im selbstherrlichen Ausschluss bestimmter Autoren und deren Werken aus dem öffentlichen Diskurs. Das kann und darf ein Buchhändler tun, er gewährt uns so Einblicke in seine Gesinnung. Und die wirkt nicht gut, nicht tolerant, nicht progressiv, nicht weltoffen, nicht kritikfähig und vor allem nicht demokratisch.

Bildquelle:

  • Bücher: pixabay

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