Von der Kommerzialisierung der Gesundheitsbranche

Patienten im Wartezimmer der Arztpräxis.

von KLAUS KELLE

BERLIN/POTSDAM – Ich habe heute Vormittag zweieinhalb Stunden in zwei Arztpraxen verbracht. Fachärzte, feste Termine. Beim einen (8.30 Uhr) bin ich nach 90 Minuten gegangen, als mit die junge Dame am Empfang auf Nachfrage sagte, ich müsse „noch ein bisschen warten“. Nee, muss ich gar nicht. Meine zu Beginn geforderte Urinprobe können sie behalten.

In der anderen Praxis (11.30 Uhr) musste ich auch eine Stunde warten, aber – wie sich später herausstellte – das war es wert. Freundliche und kompetente Ärztin, gleich Lösung angeboten, neuer Termin – fertig!

Bitte, vorab: ich gehöre nicht zu den Leuten, die immer an allem herummäkeln. Auch nicht an unserem Gesundheitssystem, das zwar immens teuer ist und wo die Gewinnmaximierung – subjektiver Eindruck – inzwischen oft über dem Wohl des Patienten steht.

Ich habe mich mit dem Thema schon am 2. November 2013 beschäftigt, damals als regelmäßiger Kolumnist der Rheinischen Post. „Auf dem Fließband zum Herrn Doktor“ hieß an dem Tag die Überschrift meines Beitrages, der einer der meistgelesenen überhaupt damals war. Nachzulesen hier

Ich erzählte in dem Artikel von einem Besuch mit meiner in die Jahre gekommenen Mutter beim Augenarzt in Kempen am Niederrhein.

Von dem damals vereinbarten Termin um 9.30 Uhr, wir waren pünktlich da. Von der Frau im Wartezimmer, die uns lakonisch begrüßte mit dem Satz „Sie haben sich hoffentlich ein Butterbrot mitgebracht. Das dauert hier immer lange“. Und von den – kein Witz – 35 Patienten, die vor meiner Mutter dran waren. Ich schrieb:

„Nach einer Stunde und 15 Minuten wurde meine Mutter vorgelassen. Untersuchung und Gespräch beim Arzt dauerten rund vier Minuten.“

Und weiter:

„Warum ist es nicht möglich, einen Termin zu erhalten, der dann auch gilt — plus minus zehn Minuten, meinetwegen? Viele vermuten Raffgier der Ärzte, die Porsche-Cabrios und exotische Reisen zu den Golfplätzen der Welt finanzieren müssen. Die Wahrheit sieht leider oft ganz anders aus. Sie liegt in einem immensen Kostendruck für die Praxen und einem fragwürdigen Abrechnungssystem der Kassen. „Ich muss pro Stunde 250 Euro abrechnen, um Praxis und Mitarbeiter bezahlen zu können“, erzählte mir jüngst ein niedergelassener Chirurg aus einer nordrhein-westfälischen Kleinstadt.“

Nochmal: es geht hier nicht gegen Ärzte. Es geht um unser Gesundheitssystem. Ich bin, wie Sie wissen, im Frühjahr ins wirklich schöne Land Brandenburg gezogen. Und ich habe mir eine Hausärztin in meinem Ort und eine Zahnärztin auf Empfehlung in Potsdam gesucht. Beide sind richtig klasse, zweimal noch zur Behandlung da, und ich bin wie neu.

Aber bei Fachärzten ist das Problem offenbar deutlich größer

Weil sie nebenbei möglichst viel Geschäft generieren müssen, um ihre Leute und die Praxis finanzieren zu können. Der Orthopäde, der mir zehn Behandlungen auf dem Massagestuhl besorgt, die – leider, leider – nicht von der Kasse übernommen werden. Oder heute Morgen der Hautarzt. Als ich vor drei Monaten das erste Mal dort war, wurde ich mit einem Faltblatt verabschiedet, wie das so sei mit Vorsorgeuntersuchungen, so Männerzeugs, Prostata und Kram. Eigentlich ging es aber um eine vergleichsweise unspektakuläre Hautgeschichte.

Als ich heute pünktlich um 8.30 Uhr die Praxis betrat und der jungen Sprechstundenhilfe (sagt man das heute noch so?) meinen Namen nannte, fragte sie sofort, ob ich damals das Faltblatt wegen Vorsorgeuntersuchung gelesen und schon entschieden habe. Die hatte offenbar eine Notiz bei jedem im Kalender, dem sie damals das Infoblatt aufgedrängt hatte. Ich antwortete, ob der Doktor vielleicht zunächst einmal die Sache anschauen könne, wegen der ich da sei…

Das hatte sich dann – wie Sie inzwischen wissen – 90 Minuten später erledigt. Vorsorgeuntersuchung sollten Männer in meinem Alter machen und werde ich auch. Aber sicher nicht in dieser Praxis.

Wenn Sie in Deutschland ernstlich krank sind oder gar ein akuter Notfall vorliegt, dann werden sie behandelt. Wenn es nicht eilig ist, kann es Wochen oder gar Monate dauern. Wenn es akut ist, funktioniert es. Das ist meine Erfahrung.

Aber die durch Staat und Kassen erzwungene Kommerzialisierung des deutschen Gesundheitssystems ist aus meiner Sicht viel ärgerlicher als die Kommerzialisierung des Profifußballs, wegen der am Wochenende überall demonstriert wurde.

Bildquelle:

  • different people sitting in a waiting room of a hospital: depositphotos

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.