von KLAUS KELLE
BRÜSSEL – Es ist selten, als Journalist zu einer Veranstaltung zu gehen, über die man berichten will, und je mehr man zuhört, desto mehr will man etwas ganz anderes schreibt. So ein Fall ist der folgende Text. Es geht um konservatives Denken, um die EU, um Ungarn und den Europa-Gedanken überhaupt.
Am Abend fand in einem schicken Brüsseler Hotel eine Podiumsdiskussion statt.
„The EU-Hungary Gordian Knot: Childhood, the Rule of Law and the Principle ob Subsidiarity“ , so lautete das Thema. 150 Gäste waren dabei, viele Journalisten, Kamera-Teams. „Keynote-Speakerin“ (Hauptrednerin) war die ungarische Justizministerin Judit Varga. Wegen ihres Vortrages war ich gekommen. Doch im Verlauf des Abends wurde mir immer klarer, dass das erwartbare Thema als Gegenstand meiner Berichterstattung zu kurz gesprungen sein würde.
Natürlich haben die EU und Ungarn Stress miteinander, das wissen Sie alle. Weil Ungarn anders ist. Und weil Ungarn nicht mittanzt im Gegenzug für Milliarden aus Brüssel. Weil Ungarn in der Europäischen Union das gallische Dorf ist. Und anders als in den berühmten Asterix-Comics von René Goscinny (Text) und Zeichner Albert Uderzo gibt es in der EU noch ein zweites gallisches Widerstandsnest- und das ist Polen.
Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal in Ungarn warenn
Falls nicht, fahren Sie hin! Schauen Sie sich das an, wie unsere Freunde dort leben, denken und fühlen! Freunde? Ja, Freunde!
Die Ungarn mögen uns, sie haben viel dafür getan, dass wir den Weg zur deutschen Wiedervereinigung erfolgreich gehen konnten. Und Deutschland?
Unser linkswokes politisches Juste Milieu zeigt den Ungarn die kalte Schulter. Die Berichterstattung in deutschen Medien über Präsident Orban und seine Politik ist skandalös einseitig. Orban ist von seinen Leuten inzwischen viermal gewählt worden, zuletzt vergangenes Jahr mit einer deutlichen absoluten Mehrheit. Und niemand zweifelt an, dass diese Wahlen absolut korrekt verlaufen sind. Ergo. Ungarn macht genau die Politik, die die übergroße Mehrheit der Ungarn will. Und das ist ihr gutes Recht – auch innerhalb dieser EU.
Eingeladen zu der Veranstaltung in Brüssel hatten drei Think Tanks: das Mathias Corvinus Collegium (MCC), die „Stiftung für ein bürgerliches Ungarn“ und das Deutsch-Ungarische Institut. Hier wird gedacht und geforscht, hier werden kluge Köpfe ohne Scheuklappen zusammengebracht, um die Zukunft Ungarns aber auch die Zukunft Europas zu denken.
„Wir sind stolz auf unsere Werte“, bekräftige Varga, und beschrieb, wie in Ungarn eine moderne Demokratie entwickelt wurde. Und dann meine beiden Lieblingssätze von Ihr:
„Wir mischen uns nicht in die Angelegenheiten anderer Länder ein. Aber wir wollen unsere Dinge so regeln, wie wir es als freies Land wollen.“
Bääähm!
Das ist mein Europa, das ist, warum ich auch ein absoluter Befürworter der EU bin. Nicht DIESER EU, aber eines Staatenbundes freier souveräner europäischer Länder mit einem christlichen Wertefundament, mit Demokratie, Meinungsfreiheit, Gewaltenteilung. Ein Europa, das freier Teil der westlichen Welt ist. Dass sich durchsetzen kann gegenüber anderen bedeutenden Machtzentren wie den Vereinigten Staaten, China oder Indien.
Manche Konservative in Deutschland sehen das anders. Sie wollen, dass Deutschland nach dem Vorbild des Brexit aus der EU aussteigt. Aber das ist naiv, ja, sogar dumm. Denn verändern kann man nur etwas, wenn man dazugehört, wenn man mit am Tisch sitzt.
Das ist Realpolitik. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, die Bundesrepublik Deutschland aufzulösen, weil uns der Kurs der Ampel nicht passt. Und der passt uns nicht. Die ganze Richtung, die Merkels Regierungen eingeschlagen haben, passt mir und Millionen Deutschen nicht. Scholzo macht einfach weiter. Aber dann müssen wir eben versuchen, andere Mehrheiten zu finden, eine andere Politik durchzusetzen. So wie in Europa auch.
Am Tag hörte ich, dass die konservativen und rechten Fraktionen im EU-Parlament nur 308 Abgeordnete auf die Beine bringen können – das ist zu wenig für eine andere Politik. Also müssen die sich, müssen wir uns mehr anstrengen, müssen den Europa-Gedanken ernster nehmen. Denn zurückzudrehen ist die Entwicklung nicht.
„Ich hätte in meinem Alter nie für möglich gehalten, dass wir uns nochmal neu entscheiden müssen, wie wir unsere eigenen Kinder erziehen sollen“, meldete sich Frank Furedi nach Vargas Rede zu Wort. Furedi ist „Executive Direktor“ des MCC in Brüssel. Und Leute wie er machen mir Mut, nicht aufzugeben, auch die Europäische Gemeinschaft nicht aufzugeben. Es ist noch nicht verloren, dieses Europa, dass uns einst Staatsmänner wie Adenauer, Monnet, Gaspari und später Kohl verheißen haben. Die hätten sich sicher nicht Frau von der Leyen an der Spitze der EU-Kommission vorgestellt.
Judit Varga beendete ihren fulminanten Auftritt – was für ein Unterschied im Auftreten zu deutschen Spitzenpolitikerinnen übrigens – mit einem Wunsch für die Zukunft, in dem wieder alle wissen, dass „eine Mutter eine Frau und ein Vater ein Mann“ ist. Und zwar ausschließlich…
Bildquelle:
- MCC_Veranstaltung_Brüssel_24.04.2023: thegermanz