Vielleicht hätten wir nicht nach Afghanistan gehen sollen, aber wenn, dann müssen wir den Job zu Ende bringen

Liebe Leserinnen und Leser,

niemand von uns will Krieg führen. Ein Krieg muss immer Ultima Ratio sein, das allerletzte Mittel, wenn die Diplomatie versagt. Aber Krieg darf aber auch nie ausgeschlossen werden. Adolf Hitler und seine Nazi-Brut sind nicht durch Streetworker gestoppt worden, sondern durch Soldaten mit Panzern und Gewehren. Auschwitz wurde nicht von Gleichstellungsbeauftragten befreit, sondern von den Soldaten der Roten Armee. Das ist Fakt. In einer Welt, in der Staaten und sogar Religionsgemeinschaften von Irren angeführt werden, müssen die Guten gerüstet sein, im Ernstfall auch mit Gewalt die Schlachten gegen Reiche des Bösen zu führen. Ein Gedanke, der vielen in unseren Fit-for-Fun-Gesellschaften nicht behagt.

Viele Bürger, die meinen, ein Krieg findet nicht statt, wenn man ihn sich einfach wegdenkt, haben nicht verstanden, warum die Nato, warum auch die Bundeswehr, nach Afghanistan gegangen sind, um der Schreckensherrschaft der Taliban ein Ende zu bereiten. Warum ein massiver Militäreinsatz mit „robustem Mandat“ eingeleitet wurde, um die Ausbildungslager der Al Kaida zu zerstören und Osama bin Laden seiner gerechten Strafe zuzuführen. Ich war nach 9/11 vom ersten Moment an für diesen Einsatz und hab das Argument, Afghanistan gehe uns Deutsche nichts an, nicht eine Sekunde gelten lassen. Der Sinn des westlichen Verteidigungsbündnisses Nato ist es, einem Mitglied mit geballter Macht aller Partner beizustehen, wenn es angegriffen wird. Und ich bin dem früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bis heute dankbar, dass er 2001 nicht gewackelt, sondern klargestellt hat: Wir stehen an der Seite Amerikas, so wie Amerika immer wieder an der Seite Deutschlands gestanden hat. Ohne zu wackeln.

Nur, und diesen Fehler machen die USA leider immer wieder, wenn sie dann militärisch gewonnen haben – es gibt keinen Plan, was danach kommt. Meistens hinterließen sie nach einem Sieg irgendwo in der Welt das reine Chaos, so wie zuletzt nach dem Irakkrieg. Der war zweifellos völkerrechtswidrig wie die Besetzung und Annektion der Krim durch Russland. Aber der Imperator im Kreml hatte wenigstens einen Plan, was er mit der Krim vorhat. Die USA haben nach einem militärischen Sieg anscheinend nie einen Plan, wie es dann weitergeht.

Vor 40 jahren – oh, mein Gott! – habe ich ein Buch mit dem Titel „Ally betrayed“ der konservativen US-Stiftung „Western Goals“ gelesen, in dem der Autor die nachvollziehbare These vertrat, die USA hätten sowohl Korea als auch Vietnam letztlich im Stich gelassen. An dieses Buch musste ich vorhin denken, als die Nachricht vom Fall der afghanischen Stadt Kundus inklusive des Flughafens dort an die Taliban las. 18 Jahre hat der Westen Afghanistan anscheinend halbwegs im Griff gehabt, der Krieg war schnell gewonnen, die überlegene Technologie der westlichen Soldaten, die Kampfflugzeuge, die Spezialeinheiten – all das ist nicht im Kampf zu besiegen von den Taliban. Aber die Taliban wissen, für was sie kämpfen, nämlich für ihr Land und ihre mörderische Religion. Unsere Soldaten kämpfen, weil sie von ihren politischen Führern dorthin geschickt und bezahlt werden, unsere Freiheit am Hindukusch zu verteidigen, wie mal ein deutscher Verteidigugsminister das formulierte. Ich glaube, er hatte damit sogar ein Stück weit recht, denn der internationale islamische Terror ist nicht ein Problem der USA oder der Israelis, es ist auch ein Problem unseres Landes, wie wir jüngst in Würzburg erlebten, es ist ein Problem der freien Gesellschaften, des christlichen Abendlandes, ein Problem, das auch Russland und China haben. Aber eine Strategie, eine gemeinsame globale Strategie gegen die Allahu Akbar-Mörderbanden und ihre Ideologie haben sie alle nicht.

Zehntausende Soldaten der Bundeswehr waren in diesen 18 Jahren in Afghanistan im Einsatz, viele wurden verletzt, viele sind traumatisiert bis heute, 52 verloren ihr Leben. Vielen Kameraden der USA, der Briten, Schweden und Niederlande ging es ebenso. Und nun?

Wir alle, die USA, die Nato, die Bundeswehr – wir haben Afghanistan im Stich gelassen, all diejenigen, die bereit waren, sich zumindest in den Großstädten in der neuen Zeit einzurichten. Aber auf dem Land? Da waren die Taliban und ihre Steinzeitideologie nie verschwunden. Und jetzt überrennen sie alles, was aufgebaut wurde – auch Kundus, wo die Bundeswehr für Ordnung gesorgt und Brunnen gebort und Schulen errichtet haben, in denen auch Mädchen zum Unterricht gehen durften. Das dürfte nun vorbei sein, die Scharia kehrt zurück, es wird wieder gesteinigt und gehenkt. Hätten wir, hätte der Westen, das nicht ahnen können, bevor er das Militär in Marsch setzte? Oder anders gefragt: Hätte der Westen nicht nach Afghanistan mit dem Ziel gehen sollen, wirklich zu gewinnen? Ich trauere um die Soldaten, die in diesem mörderischen Krieg ihre Leben verloren haben. Und ich trauere um Afghanistan und die vielen Menschen dort, die Hoffnungen in den Westen gesetzt haben und nun bitter enttäuscht werden. Wir, der Westen, hätten dort bleiben sollen und den Job zu Ende bringen.

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.