von PROF. DR. PATRICK PETERS
BERLIN – Mit dem Beginn der Corona-Krise im März 2020 ist das Homeoffice schlagartig ins Rampenlicht gerückt. Heimarbeit sollte und soll das Infektionsrisiko senken. Etwa 30 Prozent der Berschäftigten arbeiteten laut einer Umfrage im Februar wenigstens teilweise im Homeoffice. Zugleich wollen Arbeitnehmer damit Unabhängigkeit und Freiheit bei ihrer Arbeitseinteilung erhalten. Das soll mit Blick auf agiles Arbeiten, New Work-Konzepte und Co. ein zukunftsfähiges Modell sein und den Wünschen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern entsprechen. Der Hintergrund: Etwa 56 Prozent der Jobs in Deutschland könnten auch von zuhause erledigt werden, schätzt das Ifo-Institut.
Und natürlich, das Homeoffice hat Vorteile. Die Menschen stehen weniger im Stau oder stecken in überfüllten Bussen und Bahnen fest, sie haben – in Zeiten der Pandemie – weniger ansteckungsanfälligen Kontakt mit anderen und können sich auch noch selbst um ihren Nachwuchs kümmern, für den es auch nach fast 16 Monaten noch immer keine wirklich festen Schul- und Kindergartenstrukturen gibt. Und da tatsächlich manche Tätigkeiten vom Homeoffice aus ohne oder zumindest ohne spürbaren Effizienzverlust ausgeübt werden können, ist es sicherlich auch nach der Pandemie vorstellbar, dass so mancher zumindest tageweise zuhause arbeiten wird.
Das beweist auch eine Rundfrage unter Unternehmen in einem Artikel im „Manager Magazin“. So will die Deutsche Bank zwischen Flexibilität 40 und 60 Prozent ermöglichen, und bei der Porsche AG könne jeder an bis zu zwölf Tagen im Monaten arbeiten, wann, wo und wie er wolle, solange das Arbeitsergebnis stimme. Beim Musik-Streaming-Dienst sollen laut des Artikels die Angestellten gemeinsam mit ihren Vorgesetzten flexibel über die passende Mischung aus Heim- und Büroarbeit entscheiden.
Das große Aber: Viele Unternehmen wollen das alles wiederum gar nicht und sind vor allem genervt, dass die Regierung Homeoffice derzeit de facto verordnet. Seit Ende April ist im Infektionsschutzgesetz verankert, dass Firmen den Beschäftigten im Fall von Büroarbeit anbieten müssen, diese in der eigenen Wohnung auszuführen, wenn dem nichts Zwingendes entgegensteht. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fordert deshalb einen Stufenplan, der festlegt, wie die auferlegten Corona-Schutzmaßnahmen in den Betrieben verringert und abgeschafft werden können. „Die Impffortschritte in Gesellschaft und Unternehmen müssen mit einer parallelen Rückkehr in einen normalen Geschäftsbetrieb verbunden sein“, heißt es in dem Papier.
Wer mit mittelständischen Unternehmern spricht, hört immer wieder, dass diese heilfroh sind, wenn die Pflichten und Empfehlungen entfallen und die Arbeit wie in der Vergangenheit ausgeübt werden kann. Zersplitterung von Teams und Abteilungen, technische Schwierigkeiten, fehlende Austauschmöglichkeiten: Die Liste der Probleme und (nachvollziehbaren) Vorbehalten ist lang. Und das hat nichts mit Misstrauen gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu tun! Es zeigt sich eben nur in der Praxis, dass Homeoffice nicht praktikabel ist oder andere Nachteile für die Unternehmen mit sich bringt. Ob die Zahl des Ifo-Instituts, dass weit mehr als die Hälfte der Jobs von zuhause erledigt werden könnten, ist mit Blick in die Unternehmenslandschaft durchaus fraglich. Und leere Büros will auch niemand haben. Die Geschichte, dass Unternehmen sich ja einfach räumlich verkleinern könnten, ist nett, aber eben nur eine Geschichte. Welche Firma gibt denn ernstlich ihren Sitz auf, weil die Mitarbeiter auch im Homeoffice arbeiten könnten?
Auch international haben viele Konzerne laut „Manager Magazin“ keine Lust auf Homeoffice und hybrides Arbeiten. Ob die Großbank Goldman Sachs, der Streaming-Anbieter Netflix oder der Online-Gigant Amazon: Sie wollen eine bürozentrierte Arbeitskultur. Und selbst ein IT-Unternehmen wie Microsoft, das alle technischen Möglichkeiten für Homeoffice-Lösungen hätte, wolle weniger als 50 Prozent Homeoffice-Quote.
Die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC) hat übrigens berechnet, dass der Homeoffice-Effekt das deutsche Bruttoinlandsprodukt dieses Jahr um 15 Milliarden Euro senken könnte. „Dieser berechnete Effekt hat nichts mit der Frage zu tun, ob Menschen im Homeoffice produktiver sind oder nicht. Vielmehr hängt vom Bürojob eine große Wertschöpfungskette ab“, meldet tagesschau.de. Dieser Rückgang liegt laut PwC an Einbußen jener Branchen, die sonst mit ihren Leistungen die Arbeit im Büro ermöglichen. Dazu zählen IT-Dienstleister und Reinigungsdienste, aber beispielsweise auch die Gastronomie, die viel Laufkundschaft zu Bürozeiten verlieren.
Das heißt: Mit Blick auf die Gesamtwirtschaft und die Befindlichkeit vieler Unternehmen ist eine allgemeine Homeoffice-Empfehlung oder schlimmer noch: -Verordnung wohl nicht zielführend. Die Masse der kleinen und mittelständischen Unternehmen – und das sind insgesamt 99,5 Prozent der deutschen Unternehmen mit 58 Prozent sämtlicher sozialversicherungspflichtiger Beschäftigten – kann nicht mir nichts, dir nichts die betrieblichen Strukturen umstellen und jedem, der möchte, den Homeoffice-Wunsch erfüllen.
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- Heimarbeit: pixabay