Versemmel‘ unsere letzte Chance bloß nicht, Friedrich!

Die CDU feiert Friedrich Merz im Berliner Gasometer

von KLAUS KELLE

BERLIN – Kennen Sie das Prinzip „Letzte Chance“? Vor einem Richter gibt es das, am Arbeitsplatz oder auch mal in einer Ehe. Und auf jeden Fall in der Politik. Daran musste ich gestern Abend im Berliner Gasometer in Schöneberg denken (gute Location übrigens). Die CDU hatte zur letzten Wahlkundgebung in der Hauptstadt vor der Bundestagswahl geladen, und es war brechend voll, kein Platz im Auditorium blieb frei.

Und Merz lieferte. Der Sauerländer hat seine Rolle als vermutlich nächster Bundeskanzler gefunden, er füllt sie aus. Ein guter Redner war er immer. Heute ist er nicht mehr so angriffslustig, so scharfzüngig wie zu Kohl-Zeiten, heute ist er der Staatsmann. Und er macht das gut.
Auf dem Weg nach Hause dachte ich über unser politisches Angebot für die Zukunft nach. Olaf Scholz – hatten wir gerade. Danke, aber danke nein! Robert Habeck, vielleicht derjenige, mit dem man am ehesten ein Bier trinken möchte abends in der Dorfkneipe. Aber Bundeskanzler? Ich bitte Sie!
Alice Weidel, ich habe das oft geschrieben, ist beeindruckend, sie ist angriffslustig, auch sie persönlich ist der Grund, warum besonders in Westdeutschland viele Bürgerliche, viele frühere CDU- und FDP-Wähler, heute die AfD wählen. Aber Bundeskanzlerin? Diejenige, die das Dickschiff Deutschland mit seinen 84 Millionen Menschen auf einen neuen Kurs lenkt? Wir müssen darüber jetzt nicht mutmaßen, denn nach Lage der Dinge wird auch in den nächsten vier Jahren niemand mit der AfD sprechen. Und in den nächsten 48 Stunden noch die 50,1 Prozent erreichen, das ist eher unwahrscheinlich.

Bleibt Friedrich Merz

Das Angebot der guten alten CDU, der Hoffnung auf einen Kurswechsel zu wecken vermag, ohne aber genau sagen zu können, mit wem eigentlich.
So lange in einer Bundesregierung auch nur ein Grüner mit am Tisch sitzt, wird sich in Deutschland in den wichtigen, ja, Schicksalsfragen für die Zukunft unserer Kinder nichts, aber auch gar nichts verändern. Von einer Partei, deren Spitzenköpfe mit Deutschland nichts anfangen können, es sogar als „ein mieses Stück Scheiße“ empfinden und spontan in den Stimmbruch rutschen, wenn die Nationalhymne zu singen ist, mit diesen Leuten ist keine Verbesserung zu erwarten. Wer in Zeiten, in denen Elon Musk den Mars erobern will, auf Lastenfahrräder und Windkraft als zukunftstechnologien setzt, der hat den Schuss nicht gehört.

Es war ja in der Geschichte der Bundesrepublik immer mal so, dass die Wähler etwas riskiert haben, wenn es ihnen gut ging. Wenn das Bankkonto erfrischend aussieht, das Häuschen fast abbezahlt ist, dann machen wir mal was, oder? Dann leiten wir die neue Ostpolitik oder führen einen Mindestlohn ein und das Bürgergeld, man redet über die Vier-Tage-Woche und diskutiert ein ganzes Jahr lang darüber, welche Heizung wir zukünftig einbauen müssen.

Aber wenn es dann nicht gut läuft, wenn Millionen Migranten unsere Sozialsysteme fluten und viele die Kriminalstatistik, dann besinnt sich der Bürger gern wieder, wie schön es doch in der Zeiten der deutschen Langeweile gewesen ist.

Deutschland ist ein schönes Land, auch heute. Deutschland hat alles, was es braucht, um die größte Volkswirtschaft in Europa wieder auf Kurs zu bringen, und Europa insgesamt gleich mit. Friedrich Merz hat das begriffen, als er gestern Abend versicherte, wenn er Bundeskanzler werden sollte, sieht er unser Land in einer Führungsrolle auf dem Kontinent. Da gibt es lauten Beifall, natürlich.
Und trotzdem ist unvergessen, dass es die CDU unter der schrecklichen Vorsitzenden und Bundeskanzlerin Angela Merkel gewesen ist, die zum Niedergang Deutschlands entscheidend beigetragen hat. Das ist bei vielen einst treuen Wählern nicht vergessen. Allerdings auch nicht, dass es die Union gewesen ist, die jahrzehntelang die Geschicke unseres Landes bestens gelenkt und die richtigen Entscheidungen getroffen hat – für die Soziale Marktwirtschaft, für die Westbindung und die Wiederbewaffnung.

Ich habe in den vergangenen Wochen oft diesen einen Satz gehört…

„Wenn sie es dieses Mal wieder versemmeln, dann ist die CDU bis ans Lebensende durch bei mir.“ Robustere Charaktere formulieren: „Wenn Merz uns jetzt auch wieder verarscht, dann wähle ich nur noch AfD.“

Dem CDU-Spitzenmann ist das bewusst. Er muss liefern, schnell und konsequent. Bei Migration und bei Wirtschaft, oder wie Trump es formulieren würde: bei „Jobs, Jobs, Jobs!“ Aber auch bei Bürokratie und Digitalisierung muss die neue Regierung ran. Konsequent und für jeden Bürger erkennbar. Ob Merz das hinbekommt? Ich weiß es nicht. Aber ich schließe es auch nicht aus. Schauen wir, was am Sonntag passiert!

Bildquelle:

  • Friedrich_Merz_CDU_5: KELLE / klaus kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.