Verlustreiche Allerseelenschlacht in der Nordeifel: „You are Nazi and you surrender or I have to kill you“

von DIETRICH KANTEL

„Die verlustreichste und schlechtest geführte Schlacht, die unsere Armee je geschlagen hat“. So resümierte später der damalige Kommandeur einer im November 1944 im Hürtgenwald südlich von Aachen und Monschau gegen die deutschen Verteidigungslinien eingesetzten Luftlandedivision, General James Gawin. Ernest Hemmingway, von dem es heißt, dass er nach der Landung der Alliierten in der Normandie als Kriegsberichterstatter vor allem das Sauf- und Liebesleben in Paris auskostete, war in jenem November bei den US-Truppen an der Front. In seinem 1950 veröffentlichten Roman Über den Fluss und die Wälder schrieb er: „Eine Gegend, in der es äußerst schwierig war, am Leben zu bleiben, selbst wenn man nichts weiter tat, als dort zu sein.“ Und einen US-Oberst läßt er sich in diesem Roman erinnern: „In Hürtgen gefroren die Toten und es war so kalt, dass sie mit roten Gesichtern gefroren“.

Am 2. November 1944 hatte sich die militärische Lage für die vorrückenden Alliierten Truppen wie folgt entwickelt:

Nach der Landung der Aliierten in der Normandie im Juni 1944 waren die deutschen Verteidigungslinien in Nordfrankreich bald zusammengebrochen. Die Wehrmachtsverbände zogen sich so schnell in Richtung Reichsgebiet zurück, dass die Alliierten wegen stockenden Nachschubs nicht folgen konnten. Das nutzte die Wehrmacht, um für die eigene, für Dezember 1944 geplante Ardennenoffensive entlang des in den 1930er Jahren errichteten Westwalls starke Verbände zu massieren und letzte noch verfügbare Reserven in der nördlichen Eifel zusammen zu ziehen. Das dortige unwegsame, undurchdringbar dicht bewaldete Gelände eignete sich hervorragend zur Verteidigung. Die Deutschen bauten den gesamten Hürtgenwald in die Nordeifel auf 150 Quadratkilometern zu einer einzigen Festung aus, in der jeder Waldweg vermint und künstliche Hindernisse mit Sprengfallen und Geschützbatterien gesichert waren.

Anfang Oktober versuchten die US-Verbände mit einer Division einen Durchbruch, scheiterten jedoch schnell. Am 2. November griffen die Aliierten auf Befehl von General Eisenhower erneut an. Deswegen ging die folgende Schlacht als die „Allerseelenschlacht“ im Hürtgenwald in die Militärgeschichte ein. Schlecht vorbereitet – so fehlten genauere Karten von Gelände und Wegen, die Barriere des Rurstausees war z.B. nicht eingezeichnet – und im strömenden Regen erlebten die Angreifer ein nie dagewesenes Desaster gegen die deutschen Verteidiger. „Kompanien und Züge wurde ausradiert, Mörsergranaten schlugen in Sturmtrupps ein und sprengten Männer samt den Sprengladungen, die sie mit sich führten. Sobald sich etwas bewegte, schallte das Rattern von Maschinengewehren durch den Wald.“ So schildert es der Bericht der 28. US-Division. Die von den Deutschen in den Wald gefeuerten Granaten vervielfachten ihre Spreng- und Splitterwirkung: In den Baumwipfeln detonierend, verursachten sie Millionen rasierklingenscharfe Holzsplitter, die tausendfach tödliche Verletzungen bewirkten.

Die Folge: Auf die infernalische Situation reagierten die Angreifer panisch, mit Flucht, Selberverstümmelung, Nervenzusammenbrüchen und Desertion. Es brauchte am Ende drei Angriffe und fünf Monate, bis die Alliierten nach dem Scheitern der deutschen Gegenoffensive, der „Ardennenoffensive“ mit Stoßrichtung über Lüttich nach Antwerpen, mit der Eroberung des letzten deutschen Verteidigungspunktes, des Dorfes Schmidt, die Oberhand gewannen und den Durchbruch in Richtung Kölner Bucht schafften. Da hatten die US-Verbände in nur fünf Monaten 35.000 Mann verloren, darunter 12.000 Tote. Die Wehrmacht verlor 28.000 Mann. Zum Vergleich: Im amerikanischen Vietnamkrieg verloren die USA 58.000 Soldaten. In neun langen Jahren.

Zweiter Weltkrieg, im Westen Endphase

Das tausendjährige Reich kurz vor dem Untergang. Die Alliierten in Belgien. Hitler schaffte noch mal alles an die Westfront. Zusammengeschusterte Einheiten aus Wehrmacht, Waffen-SS und Volkssturm. Mit Soll-Stärken, die nur auf dem Papier existierten: Restaufgebote. Dabei der Reserveoffizier, Oberleutnant Willy Kantel. Mit 24 schon Kompaniechef, gerade aus Russland zurück, musste nun ein dezimiertes Regiment führen. Auf Leben und Tod.

Dies ist das Transscript der Erzählung meines Vaters über sein persönliches Überleben im November 1944.


„Es war um Allerseelen herum, ein Nebeltag im Hürtgenwald. Tag? Abend? Morgen? Schwer zu sagen. Die Geschehnisse waren so unwahrscheinlich dicht. Vorher die Ostfront am Don war für mich dagegen trotz Durchschuss durch die Hüfte und ein Steckschuss in die rechte Wade, abgefeuert von einer Politkommissarin der Roten Armee, fast schon gemächlich gewesen. Jetzt in den winterlichen Dämmerungen war alles undurchschaubar.

Ich war im Rang eines Oberleutnants und im Herbst 1944 gerade an die Westfront versetzt. Über Feldtelefon wurde ich unerwartet kommissarisch zum Kommandeur eines Infanterieregimentes ernannt und vorläufig zum Hauptmann befördert. Ich war nun verantwortlich für irgendwo zwischen 800 und 1.000 Mann. Ich begab mich auf Inspektion der vorderen Verteidigungsposten. Allein. Um keine Auffälligkeiten zu erwecken und um die Einsatzbereitschaft unserer vorgeschobenen Posten unangemeldet zu kontrollieren.“


Kampf auf Messers Schneide

„Plötzlich stand, aus dem Nebel aufgetaucht, ein US-Soldat wenige Meter vor mir. Auch er allein. Er war ein großer schwarzer GI. Im Zwielicht erschien er mir als sehr, sehr dunkel. Es war meine erste Begegnung mit einem Farbigen. Ich habe ihn als sehr groß in Erinnerung, obwohl ich selber 1,89 Meter maß.

`You are Nazi and you surrender or I have to kill you.´ – Seine Ansage.
`You are alone. I am alone. No one is watching us. No one is around. Go your way back and I go my way back. And nothing has ever happend.´ – Meine Antwort.

Er akzeptierte das nicht und sagte, er müsse mich festnehmen oder unschädlich machen. Und er ging auf mich zu mit gezücktem Kampfmesser oder war es vielleicht das Bajonett … Es kam zum Kampf. Mit unseren Messern. Ich kann mich an Einzelheiten nicht mehr erinnern, habe die wohl verdrängt. Es war final. Er oder ich. Dann lag er auf einmal regungslos unter mir. Ich hatte gesiegt und verließ den Schauplatz …

Ich habe es meiner Frau wohl nie in Einzelheiten erzählt. Und auch sonst niemandem. Erst meinem jüngsten Sohn. Und erst, als er dann auch Reserveoffizier war in der Bundeswehr, und auch Jurist, wie ich. Das war dann aber erst 40 Jahre nach dem damaligen Geschehen.“

Bildquelle:

  • Allerseelenschlacht: ussc

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