Unter Kunsthandwerkenden

Auslagen beim Kunsthandwerkermarkt.

von THILO SCHNEIDER

BERLIN – Bei uns im Schtetl finden gelegentlich sogenannte „Kunsthandwerker-Märkte“ statt. So etwas kennt jeder, der in einem Dorf ab 10.000 Einwohnern einfamilienhaust. Konkret bedeutet dies, dass auf dem Marktplatz, passenderweise vor dem Rathaus, einige Zelte und Imbisswagen aufgestellt werden und die örtliche Alleinunterhaltercombo für das kunsthandwerkgeneigte Publikum solche schönen Songs wie „Täik mi hoooom, kantry rooods“ oder gerne auch „Liefing on a schätpläin“ knödelt und so zum Mitsingen und Mitschunkeln einlädt.

Der Schatz, selbst kunsthandwerklich etwas begabt, geht gerne dorthin, um sich Inspiration und etwas Krempel zu holen, und da der Markt weniger als 15 Minuten zu Fuß entfernt ist, muss ich mitlaufen. Und darf nicht fahren. Und außerdem muss einer das Portemonnaie tragen.

Gleich am Eingang erwartet uns ein dichter Wald aus Fahrrädern, sie sind alle mit dem Fahrrad gekommen, haben ihre halben Walnusshelmchen auf und sind im Wortsinne in enganliegende Funktionswäsche geschweißt. Der Schatz ruft mich zur Ordnung, weil er meine Absicht erkennt, ein paar Räder umzuwerfen, um einen hübschen Fahrraddominoeffekt zu erzeugen. Mein Einwand, dass wir hier doch auf einem Kunsthandwerkermarkt sind und ich ein spontanes Kunstevent mit dem Namen „der Mobilitätsknäuel“ implementieren möchte, wird ärgerlich mit dem Einwand zur Seite gewischt, dass wir uns ungern 300 Leute zum Feind machen wollen. Das ist sehr schade um den Effekt. Ich hätte das gerne gesehen.

Nach Zahlung eines Eintrittsgelds, das in etwa dem Monatslohn eines afghanischen Herzchirurgen entspricht, dürfen wir den Markt betreten.

Der Schatz bleibt gleich am ersten Zelt hängen: Hier gibt es wunderbare Traumfänger aus selbst gestrickter Wolle eines bei Neumond geborenen Alpakas. Diese Traumfänger schützen vor Albträumen, was ich im Vergleich des Preis-Leistungs-Verhältnisses auch glaube. Schlimmer kanns einfach nicht werden, und den Seinen und Iren gibt’s die Herrin vom Alpaka ja im Halbschlaf. Die bis zur Halskrause tätowierte Verkäuferin mit dem Gang-Bandana sieht uns enttäuscht weiterziehen.

Aber da: Ein Stand mit – obacht – STEINEN.

Es sind besondere Steine, denn auf die Steine sind so Augen gemalt. Die etwas ältlich wirkende Verkäuferin ist tatsächlich losgezogen, hat Steine gesammelt und Augen drauf gemalt. Die helfen nämlich gegen den Bösen Blick, wie ein selbstgemaltes Schild verrät und kosten pro Stein etwa acht Euro inklusive Mehrwertsteuer. Ich sage laut hörbar zum Schatz, dass das ziemlicher Wucher und außerdem sehr sinnlos ist. Die Verkäuferin untermauert meine These, in dem sie uns einen sehr bösen Blick zuwirft. Der Schatz schämt sich etwas. Ob für mich oder sein Interesse an mit Lackfarbe bemalten Steinen, ist etwas unklar.

Jetzt wird es kuschelig: Schlampig lackierte Schilder aus Fernost, auf denen Aufschriften verkünden, für wen sie als Geschenk gedacht sind: „Beste Mama“ oder „mein liebster Rottweiler“ oder „Seelenwanderheim“. Die kann man irgendwo in den Garten nageln, wenn man einen Garten, einen Hammer und einen Nagel hat. Und es gibt Taschen aus Sackleinen mit Malereien wie „Geh mir nicht auf den Sack“ oder „Sackratte“, was ich fast schon wieder sympathisch finde – sehe ich von dem sackstrammen Preis von 35 Euro pro Tasche ab.

Essenszeit: „Las Veggie“. Wortspiel mit „Las Vegas“

Make Wortspiele great again. Das erinnert mich an diesen Friseursalon: „Sahaara“. Mega. Leider ist das kulinarische Angebot etwas – nennen wir es – „übersichtlich“. Gefüllte Avocado mit Guano: 3,50 Euro. Geschälte Gurke mit Banzai: 4,50 Euro. Gestreichelte Aubergine mit Ingwer-Orange Sauce aus eigener Schlachtung: 4,50 Euro. Ich frage, ob sie auch Beleidigte Leberwurst mit klein-gebackenem Brötchen haben und bekomme vom Schatz einen Tritt in die Kniekehlen, weil ich mich angeblich so „unmöglich“ aufführe.

Wir essen gnadenhalber nichts und der Schatz verschwindet unter dem Zelt eines Kunsthandwerkenden mit hart verrosteten Schildern, aus denen Worte wie „Herzlich willkommen“ oder „Gartenpause“ oder „Lieblingsplatz“ in müheloser Kleinarbeit ausgestanzt wurden. Er will gucken, ob es da auch so kleine Elfen aus rostigem Metall gibt. Der Schatz mag Elfen, ich lieber Zwölfen.

Ich sehe den Schatz dann zwei Stände weiter. Er hat sich eine Stahllibelle geschossen und probiert gerade eine Kakaobohne. Aber nicht irgendeine Kakaobohne. Diese Bohne ist nämlich Teil eines Kakao-Rituals, dessen Hohepriesterin („Hallöchen, ich bins Daggi“) zur Durchführung allen Ernstes und völlig ironiefrei auf ihrem Flyer erklärt: „Erwärme 200 Milliliter einer Milchalternative deiner Wahl“. Nur, um Gaias Willen, eben keine Kuhmilch. Ich traue mich nicht, sie nach einer „Milchalternative für Deutschland“ zu fragen. Das ist eventuell schlecht fürs Karma. Gut, es geht ja um ein sehr wichtiges Ritual, da darf man auch gerne Rechtschreibung und Kund*innen durch den Kakao ziehen und wir wollen mal nicht so Antiritualnazis sein. Die Priesterin ist auch eine „Erdenschwester“, die uns, wenn sie wollte und wir 95 Euro pro Person in sie einwerfen würden, auch die Leviten in Form von geozentrischen Erdgeometriemustern vortanzen würde. Außerdem verkauft sie als esoterische Apothekerin „Midcine four your Souljourney“. Reisen ins Ich, die es in keinem gut sortierten Neckermann-Katalog, Englischlexikon und auf keiner Kuhhaut zu kaufen gibt.

Wir kommen noch an einigen sehr seltsamen Marktständen mit Auslagen vorbei, die jedem örtlichen Bauhof peinlich wären, ich erstehe, wissen der Himmel und die fünf Gläser Honigmet wie, bei Ton-Toni ein Set aus mundgetöpferten und handgeblasenen Bowle-Bechern zum Schnäppchenpreis von 65,- €, (der dazugehörige, wirklich hässliche Bowlentopf ist mir auf dem Rückweg leider aus der Hand gefallen und zersprungen) und der Schatz und ich wanken glücklich und mit der Welt im Einklang ins kunstbehandwerkte Eigenheim, das immer noch dem Einbau einer Wärmepumpe harrt, die wir noch gar nicht gekauft haben.

(Weitere Kunsthandwerke des Autors unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

Bildquelle:

  • Bemalte_Steine: pixabay

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