UN-Meereskonferenz unter Druck: «Wir müssen jetzt handeln»

ARCHIV - Eine Plastiktüte schwimmt über Korallen im Roten Meer in Ägypten. Foto: Mike_Nelson/epa/dpa
von EMILIO RAPPOLD
Die Lage ist so ernst, dass sogar Vertreter von Russland und der Ukraine in Lissabon an einem Strang ziehen wollen. In Portugals Hauptstadt beginnt am Montag die zweite Ozeankonferenz der Vereinten Nationen (UNOC).Für die von Plastikmüll, Überfischung und Artensterben, von Erwärmung und Versauerung, von Korallen- und Gletscherschwund immer mehr belasteten Weltmeere ist es fünf vor zwölf. «Wir müssen jetzt handeln. Und zwar alle», forderte deshalb im Vorfeld der fünftägigen Tagung der UN-Sondergesandte für den Schutz und die nachhaltige Nutzung der Ozeane, Peter Thompson.

Die Meere seien «durch menschliche Aktivitäten in nie dagewesenem Maße bedroht», heißt es auf der UNOC-Homepage. Schon wenige Zahlen machen auch dem Laien das Ausmaß des Problems deutlich. Stichwort Plastik: Jährlich werden laut Thompson elf Millionen Tonnen Kunststoff in die Ozeane gekippt, «und diese Menge dürfte sich bis 2030 verdoppeln und bis 2050 verdreifachen». Dabei gehören die Bilder von Meeresschildkröten, die sich in Fischernetzen verfangen, von Seevögeln, die ihre Küken mit Plastikteilen füttern, oder von Delfinen, die Einkaufstüten verschlucken, schon jetzt zum Alltag.

Gleichzeitig schreiten die vom Klimawandel verursachte Erwärmung und auch die Versauerung der Ozeane «in alarmierenden Tempo voran», ließ Oceancare in ihrer Mitteilung zur Lissabonner Konferenz wissen. Die renommierte internationale Umweltschutzorganisation mit Sitz in der Schweiz betonte: Bei anhaltender Erwärmung werde die Arktis schon vor 2050 im Sommer zum ersten Mal praktisch eisfrei sein. Der Anstieg des Meeresspiegels bedroht Inseln und ganze Küstengebiete.

Expertin: Man könne «das Ruder noch herumreißen»

«Wir wissen, was getan werden muss. Deshalb ist es ernüchternd, das kollektive Versagen der ganzen Welt mitanzusehen», klagte Oceancare-Geschäftsführerin Fabienne McLellan. Man könne allerdings «das Ruder noch herumreißen». «Was wir jetzt brauchen, sind sinnvolle und mutige Maßnahmen, die messbar und umsetzbar sind.»

Die Schweizerin ist nicht die einzige, die in Lissabon Druck machen wird. Neben Regierungsdelegationen aus etwa 150 Staaten, darunter Deutschland mit Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne), neben Wissenschaftlern und Vertretern der Privatwirtschaft haben sich auch Angehörige von Hunderten Nichtregierungsorganisationen angesagt, die alle Taten fordern. «Wir dürfen nicht noch mehr Zeit mit Gesprächen und Erklärungen verschwenden», sagte zum Beispiel die Ozean-Beauftragte von Greenpeace in Spanien, Pilar Marcos.

Ehrgeizig sind die UN-Pläne auf jeden Fall. Man will auf der einzigen Konferenz der Weltgemeinschaft, die sich ausschließlich den Weltmeeren widmet, gemeinsame Maßnahmen zur Rettung des riesigen Ökosystems auf den Weg zu bringen. Das ist das 14. von insgesamt 17 Zielen der UN-Agenda 2030. Unter anderem sollen in acht Jahren 30 Prozent der Ozeane unter Schutz stehen. Laut Greenpeace sind es derzeit weniger als drei Prozent, es gibt aber verschiedene Angaben.

Wird es konkrete Ergebnisse geben?

Doch kann man vor dem Treffen, das wegen Corona mit zweijähriger Verzögerung stattfindet, überhaupt optimistisch sein? Zur Frage, ob konkrete Ergebnisse zu erwarten seien, teilen die UN mit: Es werde eine Erklärung zur Umsetzung und Erleichterung des Schutzes und der Erhaltung der Ozeane geben. Und man erwarte, «dass alle Beteiligten, von Regierungen über Unternehmen bis hin zur Zivilgesellschaft, konkrete und realistische freiwillige Verpflichtungen eingehen, um die verschiedenen meeresbezogenen Probleme anzugehen, die ihre Gemeinden, Länder und darüber hinaus betreffen».

Das Problem liegt beim Begriff «freiwillig». Maria Santos von der portugiesischen Umweltorganisation Zero steht mit ihrer Meinung nicht alleine da: «Die Erklärung von Lissabon wird nicht bindend sein. Das stellt die Wirksamkeit doch sehr in Frage», klagte sie.

Zu denjenigen, die laut UNOC in Lissabon nach «innovativen, wissenschaftlich fundierten Lösungsvorschlägen» suchen werden, gehören unter anderem der amerikanische Klima-Sonderbeauftragte und Ex-Außenminister John Kerry, dessen russischer Kollege Ruslan Edelgerijew, ein enger Vertrauter von Kremlchef Wladimir Putin, und UN-Generalsekretär António Guterres. Auch Staats- und Regierungschefs wie Emmanuel Macron und Boris Johnson wollen nach Angaben der Regierung Portugals möglicherweise vorbeischauen.

Weltmeere produzieren über die Hälfte des Sauerstoffs

Sie alle wissen ganz genau: Es geht «nicht nur» um das Überleben von bedrohten Meerestieren wie Gelbflossen-Thunfisch, Papageientaucher, Blauwal, Blauhai, Glattrochen, Karettschildkröten und vielen mehr. Die Weltmeere, die über 70 Prozent der Erdoberfläche bedecken und mehr als 80 Prozent des Lebens auf der Erde beherbergen, sind auch für den Menschen überlebenswichtig. Für Milliarden sind sie Arbeits- und Ernährungsgrundlage. Sie sind ein entscheidender Bestandteil des globalen Klimasystems, produzieren über die Hälfte des Sauerstoffs, den wir atmen, und absorbieren rund ein Viertel aller CO2-Emissionen.

Die Portugiesin Maria Santos ist, wie so viele, trotzdem skeptisch, dass man «die Unvereinbarkeit der meisten Umweltschutzziele mit denen der Wirtschaft» bald werde überwinden können. Doch der Minister für Wirtschaft und Meeresangelegenheiten ihres Landes, António Costa e Silva, sprach als Gastgeber der Konferenz schon vor einiger Zeit Klartext: «Wir haben die Meere in so etwas wie die Klos des Planeten verwandelt. Es an der Zeit, Nein zu sagen.»

Bildquelle:

  • Plastikmüll im Meer: dpa

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