Ukrainische Streitkräfte vertreiben Russen aus Charkiw – sollen Söldner Moskaus überforderte Armee ersetzen?

Ein ausgebrannter russischer Panzer nahe Charkiw.

CHARKIV – Den ukrainischen Streitkräfte ist offenbar ein weiterer schwerer militärischer Schlag gegen die russischen Invasionstruppen gelungen. Charkiw, die zweitgrößte Stadt der Ukraine, nur 50 Kilometer von der russischen Grenze entfernt, war seit Kriegsbeginn Ende Februar von Russland bombardiert und eingekesselt worden.

Nach einem massiven Gegenangriff der ukrainischen Armee, hätten die russischen Soldaten ihre Stellungen aufgegeben und in erheblichem Maße militärisches Gerät zurückgelassen. Offenbar haben die russischen Einheiten gar nicht mehr versucht, ihre Stellungen zu halten, sondern seien in Richtung der Grenze zur Russischen Föderation geflüchtet. Mit einem ähnlichen Verhalten hätten die russischen Truppen den Kampf um die Hauptstadt Kiew gleich zu Beginn des Krieges aufgegeben.

Die Erfolge könnten nach Einschätzung internationaler Militärexperten darauf beruhen, dass das russische Militär in dem Abschnitt nur schlecht ausgebildete Kämpfer aus den Separatistengebieten Luhansk und Donezk eingesetzt hatte. Ein kürzlich veröffentlichtes Video einer Gefangennahme von zwei aus Chrustalnyj stammenden Soldaten scheint diese These zu belegen.

US-Experten vermuten jetzt eine Strategieänderung Russlands. Die kopflos wirkende Aktion lege nahe, dass die eigenen, überforderten russischen Truppen jetzt unter anderem durch professionelle Söldner ersetzt werden sollen. Russische Einheiten hätten in den vergangenen Tagen kaum noch versucht, sich gegen ukrainische Streitkräfte zu behaupten, so die Analysten. „Berichte westlicher Beamter und ein Video eines Offiziers der Volksrepublik Donezk (DNR) deuten darauf hin, dass Moskau sich darauf konzentriert, die eigenen Truppen geordnet zurückzuziehen, anstatt die Stellungen in der Nähe der Stadt zu halten.“ Danach würde es Stellvertreterkräften erlaubt, in die Kräfte einzugreifen. Die Ukraine kontrolliert demnach jetzt ein Gebiet, das sich bis zum Fluss Siverskyi Donets erstreckt, etwa 40 km östlich der Stadt.

Zuvor hatte der britische Militärgeheimdienst erklärt, Russland habe bei einem gescheiterten Versuch, den strategisch wichtigen Fluss im Donbass südöstlich von Charkiw zu überqueren, „bedeutende gepanzerte Manövrierelemente“ einer taktischen Bataillonsgruppe verloren, die normalerweise etwa 800 Mann stark ist. Örtliche Behörden berichten aber auch, dass Moskau weiterhin Dörfer nördlich von Charkiw bombardiert.

Am Freitagabend hatte der ukrainische Verteidigungsminister Oleksii Reznikov in einem Facebook-Beitrag geschrieben: „Wir treten in eine neue, lange Phase des Krieges ein.“ Er prognostizierte „extrem harte Wochen“, in denen die Ukraine weitgehend allein gegen einen „wütenden Aggressor“ stehen werde. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte in seiner täglichen Videoansprache am Freitag gesagt: „Die schrittweise Befreiung der Region Charkiw beweist, dass wir dem Feind niemanden überlassen werden.“

Bildquelle:

  • Ausgebrannter_Panzer_Charkiw: dpa

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