Überraschung aus dem Vatikan: Papst lehnt Marx‘ Rücktrittsgesuch ab

ARCHIV - Kardinal Reinhard Marx bleibt Erzbischof von München und Freising. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

ROM – Papst Franziskus hat den Rücktritt des Erzbischofs von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, abgelehnt – und das überraschend und sehr schnell, weniger als einer Woche nach der Bekanntgabe des Rücktrittsgesuchs.

«Genau das ist meine Antwort, lieber Bruder. Mach weiter, so wie Du es vorschlägst, aber als Erzbischof von München und Freising», schrieb das Oberhaupt der katholischen Kirche in einem Brief an Kardinal Marx, den der Heilige Stuhl am Donnerstag veröffentlichte. Marx hatte am 4. Juni ein Schreiben veröffentlicht, in dem er von einem «toten Punkt» in der katholischen Kirche sprach und anbot, wegen des Missbrauchsskandals in der Kirche auf sein Amt zu verzichten.

«Ich stimme Dir zu, dass wir es mit einer Katastrophe zu tun haben: der traurigen Geschichte des sexuellen Missbrauchs und der Weise, wie die Kirche damit bis vor Kurzem umgegangen ist», hieß es in Franziskus‘ Schreiben weiter. «Die gesamte Kirche ist in der Krise wegen des Missbrauchs; ja mehr noch, die Kirche kann jetzt keinen Schritt nach vorn tun, ohne diese Krise anzunehmen. Die Vogel-Strauß-Politik hilft nicht weiter.»

Der 67 Jahre alte Marx hatte am 21. Mai in einem Brief an Papst Franziskus seinen Amtsverzicht angeboten – und zeigte sich nun sehr überrascht über die Antwort aus dem Vatikan. «Ich habe nicht damit gerechnet, dass er so schnell reagieren würde und auch seine Entscheidung, dass ich meinen Dienst als Erzbischof von München und Freising weiter fortführen soll, habe ich so nicht erwartet», hieß es in einer Stellungnahme, die das Erzbistum am Donnerstag verbreitete. «Im Gehorsam akzeptiere ich seine Entscheidung, so wie ich es ihm versprochen habe.»

Marx, der auch Koordinator des Vatikanischen Wirtschaftsrats ist, hatte seinen Rücktrittswunsch vom Bischofsamt damit begründet, «Mitverantwortung zu tragen für die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten». Die Untersuchungen und Gutachten der zurückliegenden zehn Jahre zeigten für ihn durchgängig, dass es «viel persönliches Versagen und administrative Fehler» gegeben habe, aber «eben auch institutionelles oder systemisches Versagen».

Der Papst, als dessen Vertrauter Marx gilt, antwortete darauf nun: «Sich der Heuchelei in der Art, den Glauben zu leben, bewusst zu werden, ist eine Gnade und ein erster Schritt, den wir gehen müssen. Wir müssen für die Geschichte Verantwortung übernehmen, sowohl als einzelner als auch in Gemeinschaft. Angesichts dieses Verbrechens können wir nicht gleichgültig bleiben. Das anzunehmen bedeutet, sich der Krise auszusetzen.»

Diese Entscheidung bedeute für ihn, «zu überlegen, welche neuen Wege wir gehen können – auch angesichts einer Geschichte des vielfältigen Versagens -, um das Evangelium zu verkünden und zu bezeugen», sagte Marx. Der Papst greife in seinem Brief «vieles auf, was ich in meinem Brief an ihn benannt habe, und gibt uns wichtige Impulse».

Die katholische Reformbewegung «Wir sind Kirche» sieht die schnelle Antwort aus Rom als «brüderliche Rückenstärkung». Der Brief sei auch eine Aufforderung an Marx, «sich hier in seinem Bistum und auf dem Reformkurs der katholischen Kirche in Deutschland auch weiterhin mit seiner Kraft und Kompetenz einzusetzen», sagte «Wir sind Kirche»-Sprecher Christian Weisner. «Es ist ein Zeichen, dass es mehr noch als eines personellen Wechsels eines strukturellen, mentalen und spirituellen Wechsels bedarf.»

Auch Kirchenrechtler Thomas Schüller versteht in der Ablehnung des Rücktrittsgesuchs einen Aufruf zu Reformen. «Die Botschaft: Wir können vor der strukturellen Sünde und Schuld des sexuellen Missbrauchs nicht fliehen – sondern müssen ihr gemeinsam ins Auge schauen. Und: Wir müssen Reformen anstoßen, das heißt Fleisch auf den Grill legen», sagte der Direktor des Institutes für Kanonisches Recht an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster der Deutschen Presse-Agentur. «“Vorsätze“ zur Änderung des Lebens zu machen, ohne „das Fleisch auf den Grill zu legen“, führt zu nichts», hieß es im Papst-Brief.

Marx werde nun im Amt als Sünder mit seinen Fehlern als Bischof von Trier und Erzbischof von München-Freising im Umgang mit Fällen von sexuellem Missbrauch konfrontiert werden. «Das mag schmerzlich sein, aber der Papst erspart Marx nicht diesen Gang.»

Für diesen Sommer wird ein Gutachten über Fälle von sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising erwartet, das vor allem herausarbeiten soll, wie sexueller Missbrauch von Priestern im Bistum möglich wurde und ob hochrangige Geistliche Täter schützten.

Wie groß das Aufsehen ist, das Marx mit seinem Rücktrittswunsch auslöste, zeigte am Donnerstag auch eine Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), deren Vorsitzender Marx bis 2020 war. Der jetzige DBK-Vorsitzende Georg Bätzing begrüßte die Entscheidung. «Bischof Bätzing ist erleichtert, dass Kardinal Marx weiter im Amt ist und freut sich auf die Fortsetzung der Zusammenarbeit», sagte ein Sprecher.

Die katholischen deutschen Bischöfe wollen die Ereignisse der vergangenen Tage aber zum Anlass nehmen, über die Lage der Kirche in Deutschland beraten: «Der nächste Ständige Rat ist der Ort, wo die Bischöfe über die Gesamtlage der Kirche in Deutschland sprechen werden.»

Bildquelle:

  • Kardinal Marx: dpa

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