Trotz mancher politischen Ärgernisse haben wir es in Deutschand mega gut

Liebe Leserinnen und Leser,

aus Zuschriften wissen wir, dass manche von Ihnen Angst vor der Zukunft unseres Landes haben. Angst davor, wie dieses Deutschland in 20 Jahren aussehen wird, wenn unsere Kinder groß sind, einen guten Job haben und darüber nachdenken, selbst eine Familie zu gründen.

Ich weiß, dass auch einige von Ihnen sehr ernsthaft darüber nachdenken, ja sogar ganz konktret planen, unser Deutschland zu verlassen. Polen oder Ungarn wird da oft genannt, auch Portugal und die USA. Seltsamerweise höre ich nie jemanden, der nach Russland oder in die Türkei ziehen will, wo es doch angeblich alles so toll sein soll.

Ganz ehrlich, ich mache mir manchmal auch Gedanken, wo ich meinen Lebensabend mit meiner Familie verbringen will, oder jedenfalls denjenigen von ihnen, die in der Nähe ihrer Eltern leben bleiben wollen.

Ich war gestern und vorgestern in Bayern, und ganz ehrlich: hier könnte ich leben. Trotz Söder. Bayern ist schön, die Bayern sind gut drauf, blauer Himmel, Biergärten. Schickeria, Skandal im Sperrbezirk. Hier kann man leben. Aber perfekt ist es auch nicht, wie ich vorgestern Abend beim Essen mit Freunden im Spatenbräu gegenüber der Staatsoper feststellen musste, wo die Regenbogenfahne gehisst wurde, die nicht jedermanns Sache ist, meine ganz sicher nicht.

Meine Frau und ich sind 1998 nach Bayern gezogen, in die Nähe von Augsburg, wo wir beide einen spannenden Medienjob hatten. Unser erstes Kind war unterwegs, wir wohnten in Ettringen in einem schönen Haus in der Schlesierstraße. Als Emma geboren war, spazierten Birgit und ich oft sonntags mit Kinderwagen durch den Ort. Wildfremde Menschen, die uns Zugezogene morgens in der Heiligen Messe gesehen hatten, grüßten auf der Straße, die Männer zogen den Hut, Frauen sprachen uns auf offener Straße an, die Glocken läuteten laut und oft. Es war wirklich schön. Oft kamen Birgit und ich auf den norddeutschen Modeschöpfer Karl Lagerfeld zu sprechen und bestätigten uns abgewandelt seinen berühmten Spruch, dass derjenige, der in Bayern wohnt und nicht CSU wählt, die Kontrolle über sein leben verloren hat. Warum sollte irgendjemand hier in einem der schmucken Einfamilienhäuser, mit dem gepflegten Rasen und den Gartenzwergen mit Sonnenbrille in diesem Paradies links wählen? Eine kranke Vision – Bayern ist, Bayern war das große Vorbild für uns alle.

Doch das ist vorbei. Eine Regenbogenfahne auf der Staatsoper, glauben Sie mir, das hätte es unter Franz-Josef Strauß maximal einen Tag gegeben, dann wäre der Schmonzes vorbei gewesen.

Wir sie wissen, bin ich auch ein Thüringen-Fan, auch dort (und in Sachsen) könnten wir Kelles gut leben. Wenn wir bloß verstünden, was da ins Trinkwasser gemischt wird, dass Rechts- und Linksextremisten die beiden stärksten Parteien im Freistaat sind. Aber wenn Sie Erfurt kennen, Weimar oder Eisenach, dann wissen sie, was da für tolle und anständige Leute wohnen, die aber ganz seltsam wählen.

Vor zwei Wochen war ich geschäftlich in meiner alten Heimst, dem ehemaligen Fürstentum Lippe. Mit meiner Heimat Bad Salzuflen, meinen Ausbildungsstellen in Lemgo und Kalletal beim Westfalen-Blatt. Da, wo ich JU-Kreisvorsitzender war, meinen Wehrdienst ableistete (Augustdorf) und meine erste große Liebe fand (aus Lemgo-Hörstmar) und sie später heiratete. Und da, wo das Stadion des besten Fußballvereins der Welt nur 25 Autominuten entfernt ist.

Kalletal ist echt ein Kaff, eine Ansammlung von Dörfern, aber es ist schön. Richtig schön. Saubere gepflasterte Straßen, herrlich sanierte Fachwerkhäuser, sympatische Menschen, feine Restaurants. Könnte ich, könnten wir als Familie hier leben? Oder in Bayern? Oder in Thüringen? Na, klar, weil es schön ist überall in Deutschland, wenn mal einen guten Job hat, ein paar Freunde und eine schöne Wohnung.

Ich habe berufsbedingt in meinem Leben in Lippe, Bremen, Berlin, Baden-Württemberg, Bayern und dem Rheinland gelebt, im zivilisierten Teil des Rheinlandes leben wir auch heute noch. Ich gebe zu, Baden und Köln waren schon seltsam, weisch? Äwäng, bei uns im Veedeeee-eeel. Muss man echt nicht haben, aber selbst dort war es irgendwie schön, wenn man kein Kölsch trinken musste.

Warum schreibe ich Ihnen das? Weil Deutschland ein phantastisches Land ist, von Flensburg in den Unterallgäu, von Pirna bis nach Aachen. Man muss sich manchmal wirklich vergewissern, wie gut wir alle es trotz des alltäglichen Ärgers eigentlich haben, die wir zufällig hier geboren wurden.

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.