ANALYSE Tirol-Wahl: Die ÖVP verliert viele Wähler – bleibt aber vorne und wird regieren

Die Landesfahne Tirols.

INNSBRUCK – So schnell er da war, so schnell war der Traum vom Machtwechsel in Toril aus linker Sicht auch wieder ausgeträumt. Die Hochrechnungen zeigen: Zwar verliert die Österreichische Volkspartei fast zehn Prozentpunkte im Vergleich zum Wahlgang von 2018, der prognostizierte Absturz auf 26 Prozent und der damit verbundene Verlust der strategischen Mehrheit blieb aber aus.

Das Ergebnis von 34,71 Prozent (statt 44,26 Prozent im Jahr 2018) bedeutet, dass keine realistische Möglichkeit einer Mehrparteienkoalition ohne die ÖVP besteht. Eine Mehrheit gegen die ÖVP wäre nur durch ein Bündnis ausnahmslos aller anderen im Landtag vertretenen Parteien möglich. Da mehrere andere Parteien eine Zusammenarbeit mit der FPÖ ausgeschlossen haben, ist dies wohl, sofern das vor der Wahl Gesagte gilt, ausgeschlossen. Die von Demoskopen prognostizierte Beinah-Halbierung der Volkspartei fand deutlich nicht statt. Die großen Verlierer sind SPÖ und Neos: Ihre marginalen Zugewinne reichen nicht aus, um die seit 1945 ununterbrochen regierende ÖVP zu Zugeständnissen zwingen zu können. Die SPÖ verlor sogar Platz zwei und hinter ÖVP und FPÖ.

Das Gesetz des Handelns liegt damit fast uneingeschränkt in der Hand von ÖVP-Spitzenkandidat Anton Mattle. Der langjährige Bürgermeister (1992-2021) von Galtür war erst im Vorjahr als Wirtschaftslandesrat (Landesminister) in die Regierung aufgestiegen und hätte um ein Haar die Rechnung für viele wahlmotivierende Umstände bezahlt, die nicht in seinem Verantwortungsbereich lagen. Die Liste reicht von den Covid-19-Maßnahmen bis hin zur durch den russischen Angriffskrieg befeuerten Teuerung.

Am schmerzlichsten aus VP-Sicht ist aber das Verhalten des scheidenden Landeshauptmanns Günther Platter: Dieser hatte die vorgezogenen Neuwahlen ausgerufen, aber nicht – wie sonst üblich – den designierten Nachfolger bereits ein bis zwei Jahre zuvor ins Amt gelassen, damit dieser im Wahlkampf einen Amtsbonus ausspielen könnte. Auch war Platter im Wahlkampf ausgesprochen zurückhaltend, als es darum ging, Mattle sichtbar zu unterstützen. Wäre die Volkspartei auf die prognostizierten 26 Prozent abgestürzt und hätte gar den Landeshauptmann verloren, man hätte wohl Platter zumindest die Hälfte der Verantwortung zusprechen müssen.

Rechnerisch kann Mattle nun aus den Optionen wählen: Mit FPÖ und SPÖ reicht es für eine Zweierkoalition, die Mattle mit den Blauen aber schon ausgeschlossen hat. Die bisher mitregierenden Grünen können dies nur weiterhin tun, wenn eine dritte Partei an Bord wäre – etwa die liberalen Neos oder die Tiroler Regionalpartei „Liste Fritz“. Die Variante Schwarz-Grün-Pink, mit der Mattles Pendant Wilfried Haslauer in Salzburg durchaus erfolgreich fährt, hätte die jugendlich-frische Optik als Pro – die nur hauchdünne (19 von 36 Mandate) Landtagsmehrheit als Contra, zusätzlich zu diversen ideologischen Gegensätzen. Allerdings hätte Mattle zwei vergleichsweise geschwächte Partner, die für ihr Standing im Land die Regierungsbeteiligung durchaus benötigen würden.

Für die Variante mit der SPÖ spräche, dass ein Partner weniger Koordination bedeutet als zwei – und für SP-Chef Dornauer, der als ambitioniert gilt, wäre es die willkommene Stärkung nach einer Wahl, die aus Sicht der Roten weniger positiv für sie ausging als erhofft. Nicht einmal ein Viertelprozent und nur ein Mandat dazugewonnen (sechs auf sieben), dazu auf Platz drei zurückgefallen – Spitzenkandidat Georg Dornauer, der vor der Wahl im Falle wesentlich stärkerer ÖVP-Verluste sogar heimlich von der Eroberung des Landeshauptmannsessels träumen konnte, würde nun das Amt des Vize-Regierungschefs sogar als Trostpreis dankend annehmen müssen.

Weniger enttäuscht dürfte FPÖ-Chef Markus Abzwerger die Ergebnisse betrachten. Mit fast 19 Prozent schrammte er nur hauchdünn am besten Ergebnis der FPÖ Tirol vorbei und eroberte Platz zwei. Seine Ideen, er könne Landeshauptmann mit wechselnden Mehrheiten werden, wurden schon vor der Wahl nicht ernstgenommen. Somit stellt das Ergebnis für die Blauen einen Sieg dar: Die Fraktion wächst von fünf auf sieben Mandatare, was auch deutlich mehr Parteiförderung in Tirol bedeutet. Dass keine Regierungsbeteiligung zu erwarten ist, stellt zumindest keine Überraschung dar und kann Abzwerger somit innerparteilich nicht zum Verhängnis werden.

Die Unbekannte ist die Liste Fritz. Für sie wäre es ein unglaubliches Comeback, nachdem die Protestpartei beim Wahlgang 2018 beinahe aus dem Innsbrucker Landtag geflogen wäre. Als Koalitionspartner ist sie mangels entsprechender Erfahrung ein Risiko für die ÖVP. Hier bräuchte es einen dritten Partner. Es kann getrost als unwahrscheinlich bezeichnet werden, dass die Liste sich in einer Koalition wiederfindet.

Klar ist derzeit jedenfalls, dass die angesagte Revolution in Tirol ausblieb. Aller Voraussicht nach dürfte die VP auch die nächsten fünf Jahre lang den Landeshauptmann stellen. Welche Koalition gebildet wird, dürfte auch von den noch ausständigen Briefwahlstimmen abhängen. Hier hatte das Land zuvor einen Rekord verzeichnet. Das amtliche Endergebnis wird demnächst erwartet und könnte vielleicht noch ein oder zwei Mandate wandern lassen. Dann ist endgültig klar, welche Mehrheiten möglich sind.

Bildquelle:

  • Fahne_Tirol: pixabay

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