Berlin – Auch eine Woche nach dem Lastwagen-Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt sind viele wichtige Fragen noch immer unbeantwortet. Der polnische Lkw-Fahrer, der nach dem Attentat tot auf dem Beifahrersitz gefunden wurde, hatte laut «Bild» schon Stunden vor der Tat einen Kopfschuss erlitten.
Bislang wurde vermutet, dass der Mann noch kurz vor dem Anschlag mit dem Attentäter im Führerhaus gekämpft hatte. Weiter unklar ist, wie sich der mutmaßliche Täter Anis Amri nach dem Anschlag über Lyon nach Italien absetzen konnte und ob er Teil eines terroristischen Netzwerks war.
Der Tunesier war am vergangenen Freitag in Mailand bei einer Kontrolle von einem Polizisten erschossen worden. Nach Erkenntnissen der Ermittler hatte Amri, der den Behörden als «Gefährder» bekannt war, am 19. Dezember einen schweren Lastwagen entführt und gegen 20 Uhr auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz an der Berliner Gedächtniskirche gesteuert. Auf dem Markt wurden elf Menschen getötet, der polnische Lastwagenfahrer wurde tot auf dem Beifahrersitz entdeckt.
Die abschließenden Obduktionsergebnisse hätten ergeben, dass der 37-jährige Familienvater am Tag des Anschlags schon zwischen 16.30 und 17.30 Uhr einen Kopfschuss erlitten und viel Blut verloren habe, berichtete die «Bild»-Zeitung am Montagabend online. Möglich sei, dass er zum Zeitpunkt des Anschlags noch gelebt habe. Nach Angaben des Spediteurs war er am Montag etwa ab 16.00 Uhr telefonisch nicht mehr erreichbar gewesen.
In einer Online-Petition wird zurzeit das Bundesverdienstkreuz für den Mann gefordert. Die Initiatorin schrieb auf der Plattform Change.org, der Pole sei ein Held, weil sein Ringen mit dem Täter vermutlich viele Menschenleben gerettet habe. Auf der Plattform gab es bis zum Dienstagmorgen fast 40 000 Unterstützer für das Anliegen.
Da Amri als abgelehnter Asylbewerber und trotz seines Status als «Gefährder» vom Radar der deutschen Behörden verschwunden war, kommen aus der Politik Rufe nach schärferen Gesetzen. Die Abschiebung des Tunesiers war gescheitert, weil er keinen Pass hatte. Unter einem «Gefährder» verstehen die Behörden einen Extremisten, dem ein Terrorakt zugetraut wird. Derzeit rechnen Polizei und Geheimdienste 549 Personen in Deutschland zu diesem Personenkreis (Stand 21. Dezember 2016).
Befürworter einer stärkeren Überwachung in Deutschland sehen sich durch den Anschlag bestätigt. Die CSU fordert deutlich mehr Befugnisse für Polizei und Verfassungsschutz sowie eine verschärfte Abschiebepraxis. Sie will verurteilte Extremisten strenger durch elektronische Fußfesseln überwachen lassen, der Verfassungsschutz soll künftig bereits bei 14-Jährigen tätig werden dürfen. Die Vorschläge sind Teil einer Beschlussvorlage für die Klausur der CSU-Landesgruppe Anfang Januar, über die zuerst die «Süddeutsche Zeitung» berichtet hatte. Das Papier liegt auch der dpa vor.
Der Städte- und Gemeindebund forderte, den Weg für mehr Videoüberwachung freizumachen. Das Sicherheitsbedürfnis der Bürger nehme deutlich zu, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstag). Die gesetzlichen Regelungen des Bundes und der Länder ließen eine Ausweitung der Videobeobachtung jedoch nur sehr eingeschränkt zu. Die strengen Datenschutz-Regelungen müssten dringend abgebaut werden.
Der Weihnachtsmarkt war nicht von der Polizei mit Kameras observiert worden. Der rot-rot-grüne Berliner Senat will die Videoüberwachung auch nicht ausweiten, obwohl das Bundeskabinett den Weg dafür freigemacht hat. Der Chef der Polizeigewerkschaft im Beamtenbund, Rainer Wendt, nannte dies unverantwortlich. «Der Innensenat bittet die Bürger um Handy-Videos vom Tatabend, will aber selbst nichts überwachen», sagte Wendt der «Passauer Neuen Presse» (Dienstag). «Das ist absurd.»
Bildquelle:
- Todes-Lastwagen: dpa