BERLIN/AMSTERDAM – Kurz vor der wahrscheinlichen Zulassung des ersten Corona-Impfstoffes für Kinder und Jugendliche gibt es Streit über Nutzen und Risiken – auch mit Blick auf die Schulen.
Die Bundesregierung stellte am Mittwoch klar, dass Impfungen nicht zur Voraussetzung für die Teilnahme am Unterricht werden. Über die konkrete Organisation und benötigte Impfdosen wollen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder an diesem Donnerstag bei einem erneuten «Impfgipfel» beraten. Für Diskussionen sorgten Signale der Ständigen Impfkommission (Stiko), möglicherweise vorerst keine generelle Impf-Empfehlung für Kinder auszusprechen.
Entscheidung am Freitag erwartet
Die EU-Arzneimittelbehörde EMA will voraussichtlich an diesem Freitagnachmittag über die Zulassung des Impfstoffs von Biontech/Pfizer für Kinder ab 12 Jahre entscheiden. Der zuständige Experten-Ausschuss werde dann zu einer außerordentlichen Sitzung zusammenkommen, teilte die EMA in Amsterdam mit. Anschließend soll das Ergebnis bekannt gegeben werden. Eine Zulassung gilt als wahrscheinlich. Bisher ist das Präparat ab 16 Jahren in der EU zugelassen. In den USA und Kanada darf das Mittel bereits bei Kindern angewendet werden. Nach Herstellerangaben zeigen Studien gute Wirksamkeit und Verträglichkeit auch bei Kindern.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte bei RTL/ntv: «Der Impfstoff wäre dann, wenn die Europäische Arzneimittelagentur das macht, ein zugelassener Impfstoff auch für diese Altersgruppe.» Schon vor Beginn der Sommerferien solle den ersten Kindern ein Impfangebot gemacht werden. Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern streben an, allen Kindern und Jugendlichen ab 12 Jahren bis Ende August ein Impfangebot zu machen. Der Bund will den Ländern laut einem Beschluss von Anfang Mai auch zusätzlichen Impfstoff dafür bereitstellen.
Stiko will Risiken klären
Die Stiko hatte schon deutlich gemacht, sich auch nach der Zulassung eigene Klärungen vorzubehalten. Kommissionsmitglied Rüdiger von Kries sagte am Dienstagabend im RBB, momentan wisse man kaum etwas über die Nebenwirkungen von Corona-Impfungen bei Kindern. «Bei unklarem Risiko kann ich zur Zeit noch nicht vorhersehen, dass es eine Impfempfehlung für eine generelle Impfung geben wird.» Herdenimmunität dürfe nicht das primäre Ziel für Impfungen von Kindern sein, sagte der Münchener Professor für Kinderepidemiologie. Man mache sie, um Kindern schwere Krankheiten zu ersparen, ohne dass sie ein Risiko eingingen. Man könne Herdenimmunität viel besser erreichen, wenn man sich um die Millionen erwachsenen Menschen kümmere, die noch nicht geimpft seien.
Spahn erläuterte bei RTL/ntv, die EMA bewerte Studiendaten zu Kindern und mache eine Nutzen-Risiko-Abwägung. Die Stiko gebe zusätzliche Empfehlungen. «Im Lichte dieser Empfehlung können dann die Eltern mit ihren Kindern, den Ärztinnen und Ärzten die konkreten Entscheidungen treffen, ob jemand geimpft wird oder nicht.» Dies sei «eine individuelle Entscheidung». Der Minister sagte im ZDF, er bekomme auch viele Briefe von Familien mit dem Wunsch nach Impfungen für Kinder. Es sei aber «absolut klar», dass es keine Bedingung geben könne zwischen einer Teilnahme am Unterricht und Geimpft-sein.
Impfangebot – nicht Impfpflicht
Die neue Bundesfamilienministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte, die Zusage gelte: «Es wird keine Impfpflicht gegen Corona geben – nicht für Erwachsene und auch nicht für Kinder und Jugendliche.» Niemand dürfe vom Präsenzunterricht ausgeschlossen werden, weil er nicht geimpft ist. Sie halte es für wichtig, noch im Sommer jedem Jugendlichen ein Impfangebot zu machen. SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas, geht davon aus, dass die Stiko eine Liste von Krankheiten erstellt, bei denen sie die Impfung empfiehlt. Kinder mit diesen Krankheiten müssten dann zuerst geimpft werden, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Auch ohne generelle Stiko-Empfehlung bleibe eine Impfung für Jugendliche im Rahmen der Zulassung aber möglich.
Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte wandte sich dagegen, Impfungen in Schulen vorzunehmen. Als erstes seien Kinderarzt-Praxen gefragt. «Wir müssen ja trotzdem Aufklärungsgespräche mit Eltern organisieren. Zudem möchte man einen Zwischenfall wie einen Schock, auch wenn er nur sehr selten vorkommt, nicht gerade in der Schule erleben», sagte Verbands-Sprecher und Kinderarzt Axel Gerschlauer der «Rheinischen Post» (Mittwoch). Der FDP-Familienpolitiker Grigorios Aggelidis sagte, er könne Vorsicht der Stiko nachvollziehen. Dennoch sei es wichtig, Kinder in die Impfkampagne einzubeziehen. Familien litten besonders unter Einschränkungen. «Wir müssen sie unterstützen, so schnell wie möglich wieder einen normaleren Alltag zu haben.»
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte Spahns Vorgehen und warnte, die Risikobewertung der unabhängigen Stiko zu ignorieren. «Bei der Vergabe von Vakzinen müssen nur wissenschaftliche Fakten gelten», sagte Vorstand Eugen Brysch den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Donnerstag).
Bildquelle:
- Debatte um Corona-Impfung bei Kindern: dpa