Steinmeier warnt vor neuen Mauern aus Wut und Enttäuschung

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Foto: Arne Dedert

Aber das Wahlergebnis vom 24. September habe gezeigt: «Es sind andere Mauern entstanden, weniger sichtbare, ohne Stacheldraht und Todesstreifen.» Mauern aus Entfremdung, Enttäuschung und Wut seien bei manchen so fest, dass Argumente nicht mehr durchdrängen. Bei der Wahl hatten Union und SPD deutliche Verluste erlitten, die AfD war auf 12,6 Prozent gewachsen. Sie war vor allem im Osten stark.

Der Bundespräsident verlangte Argumente statt Empörung. Die Debatte über Flucht und Migration habe Deutschland aufgewühlt, sei aber auch Folge einer aufgewühlten Welt, sagte Steinmeier. Viele Menschen sagten: «Ich verstehe die Welt nicht mehr.» Wer sich nach Heimat sehne, sei nicht von gestern. Aber: «Die Sehnsucht nach Heimat dürfen wir nicht denen überlassen, die Heimat konstruieren als ein „wir gegen die“, als Blödsinn von Blut und Boden.» Mit Blick auf die Wahl betonte er, es dürfe kein «Abhaken und weiter so» geben.

Steinmeier forderte eine Unterscheidung zwischen Flucht aus politischer Verfolgung und vor Armut. «Sie (…) begründen nicht den gleichen uneingeschränkten Anspruch.» Notwendig sei ein ehrlicher Umgang mit dem Thema. Dazu gehöre die Frage, «welche und wie viel Zuwanderung wir wollen und vielleicht sogar brauchen.»

Es gehe um legale Zugänge, Steuerung und Kontrolle. Dann könne die Polarisierung der Debatte überwunden werden. «Die Not von Menschen darf uns niemals gleichgültig sein», sagte er, verwies aber auch auf begrenzte Möglichkeiten zur Aufnahme von Flüchtlingen.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hob die Verantwortung Deutschlands auf internationaler Ebene hervor. Man könne dankbar sein, «dass die Wiedervereinigung in Frieden geglückt ist», sagte sie kurz vor dem Festakt. Daher trage Deutschland auch eine Verantwortung für Europa und eine bessere Entwicklung weltweit. Die Aufgaben seien nicht weniger geworden. «Aber wir können auch zurückblicken und sagen: Vieles an der Deutschen Einheit ist uns geglückt, und das sollte uns die Kraft geben, auch die ausstehenden Probleme zu lösen.»

Der Bundespräsident forderte mehr Anerkennung für die Menschen in Ostdeutschland. Nach der Wiedervereinigung 1990 seien auch Fehler gemacht worden. Darüber dürfe nicht geschwiegen werden. «Wo wir übereinander reden und übereinander hinweg, da sollten wir wieder lernen, einander zuzuhören.»

Bundesratspräsidentin Malu Dreyer (SPD) hält eine neue Dialogkultur für nötig, um Wähler zurückzugewinnen. «Wir brauchen einen konstruktiven Streit, einen Stil, der Probleme erkennt, benennt und fair löst», sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin beim Festakt. Bisher prallten Positionen unversöhnlich aufeinander. «In manchen Regionen haben Bürger und Bürgerinnen offenbar das Gefühl, ihre Lebensleistung werde nicht gewürdigt und ihre Furcht vor sozialem Abstieg nicht ernstgenommen.»

Kremlchef Wladimir Putin rief zu guter Zusammenarbeit zwischen Moskau und Berlin auf. «Russland legt viel Wert darauf, das gute Potenzial zu erhalten», schrieb Putin an Steinmeier und Merkel. «Wir hoffen, dass wir die beidseitig guten Beziehungen in vielen Bereichen ausbauen können.» Ohne die Konflikte in der Ostukraine und in Syrien direkt zu nennen, betonte er, dass Moskau und Berlin bei aktuellen internationalen Fragen weltweit zusammenarbeiten müssten.

Der Tag der Deutschen Einheit wurde in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt unter dem Motto «Zusammen sind wir Deutschland» gefeiert. Die Veranstalter hofften auf eine halbe Million Zuschauer für das zweitägige Bürgerfest und die Einheitsfeier. Zum Festakt kamen rund 1200 Gäste, darunter Steinmeier, der scheidende Bundestagspräsident Norbert Lammert und Merkel sowie fast alle Ministerpräsidenten. Dreyer stimmte im Rheinland-Pfalz-Zelt die «Ode an die Freude» an – ein Ritual, das es nun jedes Jahr geben soll. Der Einfall des gemeinsamen Singens am Einheitstag stammt aus Mexiko.

Das Fest wurde von massiven Sicherheitsvorkehrungen begleitet: Am Dienstag waren über 4000 Polizisten im Einsatz. Bei der Einheitsfeier in Dresden vor einem Jahr waren Politiker angepöbelt worden. Rund 150 Menschen demonstrierten in Mainz gegen das Einheitsfest. Dahinter stand ein Bündnis 3Oktober Mainz, das sich als «antifaschistischer, antinationaler und antikapitalistischer Block» bezeichnet. Bis zu 40 Teilnehmer skandierten auf einer anderen Demo «Nationalismus raus aus den Köpfen». Zwischenfälle waren den Beamten nicht bekannt.

Im nächsten Jahr ist Berlin Gastgeber: Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) erhielt von Dreyer symbolisch den Staffelstab der Bundesratspräsidentschaft. Offiziell übernimmt er das Amt Anfang November. Müller will an der Spitze der Länderkammer auch für Europa werben.

Bildquelle:

  • Tag der Einheit: dpa

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