Spahn, Wieler und Drosten warnen vor «…einem bitteren Dezember…»

Lothar Wieler, RKI-Präsident, hält vor der Bundespressekonferenz eine Grafik mit den neuesten Corona-Zahlen hoch und beantwortet Fragen von Journalisten. Foto: Wolfgang Kumm/dpa

BERLIN – Wegen der immer bedrohlicheren Corona-Ausbreitung in Deutschland rücken zusätzliche Alltagsbeschränkungen in den Blick.

Der geschäftsführende Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) forderte vor anstehenden Bund-Länder-Beratungen ein schnelles Gegensteuern. «Wir müssen alles tun, um diese Dynamik zu brechen», sagte er in Berlin. «Sonst wird es für das ganze Land ein bitterer Dezember.»

Das Robert Koch-Institut (RKI) rief alle Bürger wegen dramatisch steigender Infektionszahlen zu weniger Kontakten auf und rät auch zu Einschränkungen besonders bei Großveranstaltungen. RKI-Präsident Lothar Wieler warnte: «Es ist fünf nach zwölf.»

In etlichen Landkreisen gebe es so viele Neuinfektionen, dass Kliniken und besonders die Intensivstationen an der Kapazitätsgrenze seien. Dies werde ohne zusätzliche Maßnahmen überall eintreten. «Die vierte Welle trifft uns jetzt mit voller Wucht.»

Drosten: Von Pandemie-Ende «meilenweit» entfernt

Ähnlich äußerte sich auch der Charité-Virologe Christian Drosten. Ohne eine Einschränkung von Kontakten werde es nicht gelingen, die Infektionswelle zu stoppen. «Um die wirklich erschreckend hohe Inzidenz zu drücken, sind aus wissenschaftlicher Sicht Kontaktbeschränkungen dringend erforderlich», sagte Drosten dem «Spiegel».

Er setzt dabei auch auf Eigenverantwortung: Jeder solle überprüfen, ob man die eigenen Kontakte nicht wieder für ein paar Wochen bewusst einschränken könne. «Das eigenverantwortliche Engagement der Bürgerinnen und Bürger hat uns schon in den vorherigen Wellen aus der Patsche geholfen. Ich hoffe, dass das wieder gelingt.«

Zudem müssten die Impflücken dringend geschlossen und der Immunschutz durch Auffrischungsimpfungen erneuert werden, empfahl Drosten weiter. Er verwies auf Länder mit höherer Impfquote, in denen man die Pandemie im Frühjahr wohl endgültig hinter sich lassen könne. In Deutschland sei das Ende der Pandemie aufgrund der Impflücke und der schleppenden Booster-Kampagne «meilenweit» entfernt.

Die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen stieg laut RKI am Freitag auf 263,7 und damit den fünften Tag in Folge auf einen Höchstwert. Die Gesundheitsämter meldeten binnen eines Tages 48.640 neue Fälle.

Großveranstaltungen mit Obergrenze

RKI-Chef Wieler erläuterte, dass etwa von den mehr als 50.000 Neuinfizierten, die am Vortag gemeldet worden waren, im Laufe der Zeit etwa 3000 ins Krankenhaus müssten. Für eine stärkere Eindämmung solle unter anderem bei Großveranstaltungen die Personenzahl reduziert oder ein Verbot erwogen werden. Eine konkrete Zahl als Obergrenze nannte er nicht.

«Wir wissen, dass insbesondere in Innenräumen sogenannte Superspreader-Events stattfinden.» Man solle auch erwägen, in besonders belasteten Regionen Bars oder Clubs zu schließen.

Spahn sprach sich dafür aus, für öffentliche Veranstaltungen das Prinzip «2G plus» einzuführen – also Zugang nur für Geimpfte und Genesene, die zusätzlich aber noch einen aktuellen Test vorweisen müssen. Die bisherige 3G-Regel mit Zugang für Geimpfte, Genesene und Getestete werde alleine nicht mehr reichen. Dies sei außerdem zu oft nicht kontrolliert worden, so dass eigentlich «0G» gegolten habe.

Mehr Tempo beim Impfen

Der Minister kündigte zusätzliche Anreize an, um das Tempo der Impfungen zu beschleunigen. Mit einer geplanten Verordnung sollen Ärzte statt der bisherigen 20 Euro ab Dienstag 28 Euro als Vergütung erhalten, außerdem einen neuen Wochenendzuschlag von acht Euro. Spahn verwies darauf, dass Impfungen schon anziehen. In dieser Woche seien mehr als 4,3 Millionen Dosen bestellt worden, was eine Vervierfachung verglichen mit den vergangenen Wochen sei. Neben den Praxen gebe es wieder mehr als 170 Impfstellen und rund 600 mobile Teams.

Erforderlich seien jetzt auch wieder deutlich mehr Tests. Wie bereits angekündigt, soll das vor vier Wochen stark eingeschränkte Angebot mit Gratis-Schnelltests durch geschultes Personal samt Bescheinigung wieder für alle kommen. Eine Verordnung dafür solle ab diesem Samstag gelten, so dass Angebote Anfang nächster Woche starten dürften. In Pflegeheimen sei dringend eine Testpflicht für Personal und Besuche nötig – dies sei aktuell auch sinnvoller als eine Impfpflicht fürs Personal, da sich jetzt Geimpfte ebenfalls testen lassen sollten. Am Arbeitsplatz solle ebenfalls die 3G-Regel eingeführt werden.
Gemeinsames Handeln wichtig

Spahn betonte, die für kommenden Donnerstag vorgesehene Corona-Runde der geschäftsführenden Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten sei wichtig, um zu gemeinsamem Handeln zu kommen. Aus seiner Sicht hätte es eine solche Abstimmung schon vor drei Wochen gebraucht.

Spahn kritisierte Pläne der voraussichtlichen Regierungspartner SPD, FDP und Grüne, in einer neuen Rechtsgrundlage künftig weniger mögliche Eindämmungs-Instrumente aufzuführen. «Es braucht mehr, als aktuell möglich gemacht werden soll.»

In den Plänen der Ampel-Partner sind vorerst etwa keine pauschalen Schließungen von Einrichtungen mehr als Möglichkeit für die Länder vorgesehen. Die vom Bundestag festgestellte «epidemische Lage» als bisherige Rechtsgrundlage für Maßnahmen soll den Plänen zufolge am 25. November auslaufen.

Die Ampel-Parteien diskutieren auch über eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen. Wahrscheinlich werde man in den nächsten Wochen eine berufsgruppenspezifische Impfpflicht einführen müssen, sagte Grünen-Experte Janosch Dahmen. Er nannte etwa Pflegekräfte, Ärzte, Reinigungs- und Küchenpersonal in Kliniken oder Pflegeheimen. SPD-Fachpolitikerin Sabine Dittmar sagte, man müsse sehr sorgfältig abwägen und verwies auf mögliche Abwanderung von Pflegekräften.

Bildquelle:

  • Lothar Wieler: dpa

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