von MARTIN D. WIND
BERLIN – Sie haben den Tee auf, sind mit ihrer Geduld am Ende, wollen sich nicht mehr weiter gängeln lassen und wehren sich gegen den – aus ihrer Sicht – Aberwitz der Vorgaben aus der Europäischen Kommission: Landwirte rufen zum zivilen Ungehorsam auf. Ziel der dramatischen Aktion: Einer sich abzeichnenden Hungerkatastrophe entgegenwirken. Doch was genau steht dahinter?
Es sind mal wieder Maßnahmen, die vorgeblich dem Naturschutz oder wahlweise auch dem Klimaschutz dienen sollen – so behauptet es zumindest die EU-Kommission. Ab Herbst 2022 dürfen Landwirte vier Prozent ihrer Flächen nicht mehr für den Anbau landwirtschaftlicher Produkte nutzen. Das sei hilfreich und gut, behauptet die EU-Kommission. Zumindest wird unter anderem behauptet, damit könnten auch die Klimaziele der EU-„Verordnung über Landnutzung und Forstwirtschaft für 2021-2030“ (LULUCF-VO) erreicht werden, die Bestandteil des sogenannten „Green Deals“ der Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, ist.
Nun könnte man meinen, dass das nicht so dramatisch sei, denn gleichzeitig kennen wir ja die Kampagne der extremistischen Kinder von der sogenannten „Letzten Generation“ die sich auf Autostraßen kleben, damit den Verkehr aufhalten, um gegen das Wegwerfen von Lebensmitteln zu protestieren und einen Ausstieg aus fossilen Energieträgern von der Bundesregierung zu erpressen. Betrachtet man die Situation genauer und differenziert, wird schnell klar, dass EU-Kommission und die Kinder der Aktion aus einer Luxussituation heraus argumentieren und handeln, die seit spätestens 2020 so nicht mehr gegeben ist.
Seit dem Beginn der Corona Pandemie, mit der Unterbrechung der Lieferketten, mit dem Wegfall von Nahrungsmittelimporten aus fernen Ländern, kann man selbst in unseren Breitengraden eine Verknappung von Verbrauchsgütern beobachten. Erkennbar wird diese Verknappung unter anderem an massiven Preissteigerungen auch für Lebensmittel. Genau da wollen die Landwirte jetzt ansetzen. Auf Initiative von Willi Kremer-Schillings – manchen besser bekannt als „Bauer Willi“ mit den grünen Kreuzen am Feldrand – wollen sie sich den Forderungen der EU-Kommission widersetzen. Sie wollen zivilen Widerstand leisten und ihre Flächen trotz Strafzahlungsandrohungen bewirtschaften, damit es keine Engpässe bei Gemüsen, Salaten oder auch bei Getreiden gibt und so Hunger verhindert werden kann.
Initialzündung für dies Aktion ist der sich abzeichnende Ernteausfall und Lieferengpass an Getreiden wegen Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine, der Kornkammer Europas. Mit ihrer Finanzkraft sind europäische Länder in der Lage, auch die steigenden Preise am Weltmarkt noch mitzugehen. Ärmere Länder – beispielsweise in Afrika – werden sich die gestiegenen Einkaufspreise nicht leisten können. Ein Anbaustopp für Feldfrüchte in der derzeitigen Situation in Europa, wäre daher inhuman und unsolidarisch gegenüber den Hungerleidern in armen Ländern.
Um zu verdeutlichen, wie groß die in Deutschland betroffenen Flächen sind und wieviel Getreide man dort ernten könnte, haben Mitglieder der Bürgerinitiative „Land schafft Verbindung e.V.“ (LSV) ein paar Zahlen vorgelegt: Demnach müssten deutsche Landwirte nach Ursula von der Leyens Willen Flächen von einer Größe von 668.000 Hektar, oder umgerechnet rund 935.000 Fußballfeldern, aus der Lebensmittelproduktion nehmen. Zählt man die Flächen in Österreich, den Niederlanden, in Belgien, Portugal sowie Luxemburg dazu, kommt man auf eine behördlich angeordnete Verödung von 4,22 Millionen Hektar Kulturland oder rund sechs Millionen Fußballfeldern.
Allein die betroffenen Flächen in Deutschland reichten aus, um rund 4,1 Millionen Dezitonnen Getreide zu ernten. Legt man Gerste als Maßstab zugrunde, entspricht das 4.100.000.000 (4 Milliarden) Kilo Getreide. LSV ruft alle Berufskollegen auf, Bauer Willi und seine Aktion „#gruenevier – gegen den Hunger“ zu unterstützen. Das gebiete alleine schon das Berufsethos der Bauern. Bauer Willi ruft seine Kollegen auf, vor ihren Betrieben die bisher aufgestellten grünen Kreuze, die für das Höfesterben in Deutschland stehen, zu grünen Vieren umzugestalten und so zu zeigen, dass man sich dem Diktat der EU zur vorsätzlichen Nichtnutzung von Anbauflächen für Lebensmittel nicht beugen werde, solange es noch Hunger auf der Welt gebe.
Den Landwirten scheint bewusst, dass sie nicht in der Lage sind, die sich abzeichnenden Hungerkatastrophen zu verhindern. Sie wollen aber alles in ihrer Macht stehende tun, um sie zumindest so weit wie möglich zu lindern.
Inzwischen scheint die Erkenntnis, dass die „Gemeinsame Agrarpolitik“ der EU (GAP) mit den erzwungenen Flächenstilllegungen den Hunger in der Welt befördern, in der Politik angekommen: Die niedersächsische Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast und ihr Kollege aus Sachsen Anhalt, Sven Schulze, haben die EU wegen der Ernteausfälle in der Ukraine aufgefordert die Stillegung der Ackerflächen vorerst auszusetzen.
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