von STEFAN MEETSCHEN
Manchmal bin ich neidisch. Neidisch auf Freunde und Bekannte, die mit der katholischen Kirche nichts mehr zu tun haben. Die ihr Seelenheil und ihre spirituelle Fitness bei Reiki oder Yoga, Transzendentaler Meditation oder Zen pflegen und kultivieren. Ich meine das ernst. Ich sehe bei vielen von ihnen, wie sie ein achtsames Leben führen und mit Disziplin und Neugier nach einem Sinn forschen, der über das rein Materielle hinausgeht. Manche von diesen Freunden haben ihre Meister und Gurus, von denen sie schwärmen und deren Bücher sie empfehlen.
Ich bin bei solchen Begegnungen und Gesprächen meistens nur der Zuhörer. Klar. Während diese Freunde als Kinder und Jugendliche bereits das katholische Pflichtprogramm absolvierten, das in den 1970er und 1980er Jahren allerdings schon nicht mehr so streng und brutal war, wie früher, verbrachte ich meine Freizeit in der Natur oder beim Theater- und Literaturgenuss. Was darf und kann ich ihnen also schon erzählen und anbieten? Jesus? Sakramente? Gottesdienst? Darin kennen sie sich vermutlich besser aus als ich.
Zumal ich bei meiner Konversion 1995 sozusagen in eine Fiktion eingetreten bin. In eine Kirche, die es zum Zeitpunkt meiner Konversion schon gar nicht mehr gab. Eine Kirche des Geheimnisses, der katholischen Mystik und Seelenschau. Eine Kirche des großen Entweder-Oder: Himmel oder Hölle, Ewiges Leben oder Ewige Verdammnis, Gnade oder Sünde, Gott oder Teufel. Welcher moderne und aufgeklärte Bischof und Priester glaubt an solche Dinge heute noch? Ist das nicht alles hoffnungslos veraltert? Ein fundamentalistischer Anachronismus?
Keine Ahnung, warum ich eine solche Spiritualität bereits in jungen Jahren anziehend fand. Ich vermute, die Lektüre der Romane Graham Greenes war dafür nicht unwichtig. Greene war ja auch jemand, der trotz all seiner Schwächen (Alkohol, Frauen) ein Gespür für das Mysterium besaß. Und dieses Mysterium existierte in der Kirche, in der Fiktion, in die ich eingetreten bin. Vielleicht ein etwas dunkel schattiertes Mysterium, zugegeben, in dem allerdings auch Platz für hellsichtige Mystiker wie Anna Katharina Emmerick oder Pater Pio war.
Ob die Freunde und Bekannten diese Fiktion verstehen? Sie haben eben eine andere Kirche kennengelernt. Damals. Eine viel banalere Kirche. Eine Kirche, die man – wenn es nicht auch die vielen wertvollen sozialen Dienste gäbe, die von kirchlichen Einrichtungen geleistet werden – ohne Scheu als die Kirche des Banalen bezeichnen könnte. Eine Kirche der spirituellen Oberflächlichkeit und Beliebigkeit, eine Kirche der Anbiederung an den Zeitgeist.
Ich kann verstehen, dass diese Freunde und Bekannten genug haben von einer solchen Kirche, dass sie nicht zurückkommen werden, nur weil ein Bischof oder Priester mit Bällen jongliert, wie ein Popstar singt oder einen sportlichen Tanz veranstaltet. Ich kann verstehen, dass diese Freunde lieber Lehrern und Meistern in exotischen Gewändern lauschen, die mit wenigen Worten von den Geheimnissen des Lebens sprechen, von der fundamentalen Gutheit und anderen esoterischen Weisheiten. Ich kann es verstehen, aber etwas traurig macht es mich doch. Hat die Kirche des Banalen wirklich das letzte Wort? Bin ich tatsächlich in eine Fiktion eingetreten?
Bildquelle:
- Kirchenbänke: dpa