Sieben CDU-Abgeordnete klagen in Karlsruhe: „Die Basis der EU muss sein, dass Versprechen und Verträge eingehalten werden“

Eine Europäische Union, die sich nicht an Verträge und Versprechen hält, wird zerfallen.

BERLIN/KARLSRUHE – Als einst der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl seinen Landsleuten die Einführung des Euro schmackhaft machen wollte, gehörte ein Versprechen immer fest zu dem, was er sagte. Der Euro und die Europäische Union würden niemals zu einer Schuldenunion führen. Das versprach er uns ganz persönlich. Und so lange er Bundeskanzler war, hielt sich die deutsche Bundesregierung an das Versprechen. Aber andere Zeiten, andere Bundesregierung, vor allem andere Bundeskanzlerin. Als kürzlich der Bundestag mit dem EU-Eigenmittelbeschuss gegen alle Versprechen und wie viele sagen auch mit Mehrheit gegen unsere Verfassung verstieß, reichte es auch einigen CDU-Abgeordneten, die als kleine Minderheit in der Union dagegen stimmten. Und sie taten etwas Unerhörtes: Sie zogen gegen das beschlossene Gesetz der eigenen Bundesregierung vors Verfassungsgericht in Karlsruhe. Eine der Initiatoren ist die Düsseldorfer Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel, auch eine der Sprecherinnen des konservativen Berliner Kreises in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Wir fragten sie direkt, was die „glorreichen Sieben“ da tun und warum.

Frau Pantel, sieben Abgeordnete aus der großen CDU/CSU-Bundestagsfraktion wollen der Linie der Mehrheit nicht folgen. Warum nicht?

Die Idee der Europäischen Union hat den Menschen in ganz Europa Frieden, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Freunde gebracht und es ist außerordentlich wichtig, diese Erfolge zu erhalten. Als überzeugte Europäer und Unterstützer einer freien und demokratischen Europäischen Union müssen wir verbindlich klären, wohin die Reise geht. Wir haben in Europa mit Bedacht in zahlreichen Verträgen die gemeinsame Verantwortung und die Pflichten der Mitgliedsstaaten festgelegt. Dazu zählt insbesondere, dass Verträge und Versprechen einzuhalten sind. Laut EU-Vertrag ist es der Europäischen Union untersagt, an den Kapitalmärkten Schulden aufzunehmen und die Haftung von Schulden eines Mitgliedslandes einem anderen Mitgliedsland aufzubürden. Nach unserer Auffassung führt der EU-Eigenmittelbeschluss zum Wort- und Vertragsbruch und gefährdet letztlich das gemeinsame europäische Projekt. Deshalb konnten wir dem nicht zustimmen.

Ist es nicht das übliche Verfahren, dass eine Fraktion ein Thema auch kontrovers diskutiert. Dann stimmt man ab, und danach schließen wieder alle die Reihen und gehen gemeinsam vor?

Uneinigkeit herrschte vor allem in der Debatte am 25. März 2021 im Deutschen Bundestag. Außenstaatsminister Michael Roth (SPD) betonte, beim Fonds und dessen Finanzierung handle es sich um einen „notwendigen und überfälligen Schritt in Richtung Fiskalunion“. Der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU, Eckhard Rehberg, griff Staatssekretär Roth darauf scharf an. Es sei nicht der Weg in die Schuldenunion und nur auf zwei Jahre begrenzt. Daraufhin fragte der haushaltspolitische Sprecher der FDP, Otto Fricke, nochmals nach, ob es nun eine Ausnahme oder die sich anbahnende Schuldenunion sei. Offenbar gibt es bei den Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen keine einhellige Meinung in diesen Fragen. Deshalb erhoffen wir uns auch eine Klärung aus Karlsruhe vom Bundesverfassungsgericht, zumal das Haushaltsrecht nur dem Bundestag unterstellt ist und nicht auf die EU übertragen werden darf.

Darüber hinaus hält unser Grundgesetz in Artikel 38 ausdrücklich zu den Bundestagabgeordneten fest: „Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Deshalb können alle Abgeordneten bei jeder Abstimmung frei abstimmen. Natürlich gibt es auch kontroverse Diskussionen über die verschiedenen Gesetze und oftmals schließt man sich der Mehrheitsmeinung der Fraktion an. Doch die Entscheidung über die Ratifizierung des EU-Eigenmittelbeschlusses ist von solch einer Tragweite, dass wir hier aufgrund unserer eigenen Beschäftigung mit diesem Thema einer solchen epochalen Änderung im EU-Bereich nicht guten Gewissens zustimmen konnten. Der angedachte EU-Fonds Next Generation soll ein Volumen von 750 Milliarden haben. Davon sollen 390 Milliarden als Transfers „verschenkt“ werden. Einzelne Mitgliedsstaaten könnten sich künftig, ohne Angabe von Gründen, Geld aus diesem Fonds leihen – und, wiederum ohne Angabe von Gründen, die Rückzahlung verweigern. Die Schulden würden dann durch andere Mitgliedstaaten – vor allem Deutschland – getilgt. Wir würden damit die kommenden Generationen in Deutschland verpflichten, diese gigantischen Summen zurückzuzahlen. Das ist ein unkalkulierbares Risiko für unser Land, steht den europäischen Verträgen entgegen und verstößt gegen unser Grundgesetz. Deshalb haben wir uns zu diesem Schritt entschließen müssen.

Wie hat die Fraktionsführung auf Ihre Klage gegen die Schuldenunion vor dem Bundesverfassungsgericht reagiert?

Sie war nicht erfreut und es hat einige Gespräch gegeben. Aber aus zahlreichen Gesprächen mit meinen Kolleginnen und Kollegen habe ich viel Zustimmung und auch Erfolgswünsche bekommen. Die kritische Haltung zu diesem Gesetz ist also durchaus in der Fraktion, wie im ganzen Parlament, vorhanden. Die CDU hat sich immer gegen eine Schuldenunion ausgesprochen und die Übernahme von Schulden des einen EU-Mitglieds durch ein anderes abgelehnt. So steht es auch in den europäischen Verträgen.

Immer wieder weicht die EU von dem ab, was man bei der Währungsunion einst den Bevölkerungen und Steuerzahlern der EU-Mitgliedsstaaten versprochen hat. Denken Sie an die Maastrichter Verträge mit festgesetzten Konvergenzkriterien. Denken Sie an den Stabilitäts- und Wachstumspakt und die Lissaboner Verträge. Aus heutiger Sicht alles das Papier nicht wert, auf dem es festgeschrieben wurde. Wundern Sie sich, dass die EU von einer wachsenden Zahl an Menschen nicht mehr als die großartige Idee gesehen wird, mit der es einmal angefangen hat?

Die Europäische Union ist eine großartige Idee und hat den Mitgliedern politische und wirtschaftliche Vorteile gebracht sowie Vertrauen zwischen Ländern aufgebaut, die sich oftmals in der Geschichte in Kriegen gegenüberstanden. Dies alles konnte nur gelingen, weil die Ideen von Demokratie, Freiheit und Rechtsstaat den Kern des europäischen Projektes von Anfang an ausgemacht haben. Dazu gehört eben auch, dass wir gemeinsam Verträge geschlossen haben, um unsere gegenseitigen Rechte und Pflichten festzuhalten und auch zu stärken. Aus unserer Sicht ist der EU-Eigenmittelbeschluss (Schuldenaufnahme der EU) ein Verstoß gegen die europäischen Verträge und gefährdet damit auch unsere gemeinsamen Werte und die EU in ihrem Wesensbestand.

Die Verfassungsrichter in Karlsruhe haben erst kürzlich einen Eilantrag gegen den europäischen Wiederaufbaufonds zurückgewiesen, den Prof. Bernd Lucke mit Unterstützung von 2200 Bürgern initiiert hatte. Im Grunde war deren Stoßrichtung die gleiche wie ihre – Nein zur Vergemeinschaftung der Schulen anderer Staaten. Was macht Sie zuversichtlich, dass die Argumente ihrer Glorreichen Sieben aus der CDU-Bundestagsfraktion besser stechen?

Unser Grundgesetz und die Europäische Verträge stehen dem EU-Eigenmittelbeschluss entgegen. Unsere rechtlichen Argumente wiegen schwer und das Bundesverfassungsgericht wird sie sehr genau prüfen müssen. Die Anhörung und die Diskussionen zu dem Gesetz sowie die Kritik aus der Fachwelt haben unsere kritische Haltung bestätigt. Der angedachte milliardenschwere Fonds hat keine Grundlage in Art. 311 des AEUV und verletzt sogar die Artikel 122 und 125 AEUV, welche Gemeinschaftshaftung und Kreditaufnahme an den Kapitalmärkten durch die EU ausschließen. Zusätzlich verbietet auch die Haushaltsordnung der EU eine solche Kreditaufnahme (Art. 17 II: „Die Union und die in den Artikeln 70 und 71 genannten Einrichtungen der Union sind nicht befugt, im Rahmen des Haushalts Kredite aufzunehmen.“). Diese Punkte machten ein Klage nicht nur notwendig, sondern scheinen meines Erachtens nach auch erfolgversprechend.

Ein wichtiger Punkt ist auch die ungenaue Begrifflichkeit. Es heißt zwar EU-Eigenmittelbeschluss, aber tatsächlich wird die EU dazu ermächtigt, Geld an den Kapitalmärkten aufzunehmen, also Fremdmittel zu erhalten, was nichts anderes bedeutet als Schulden zu machen. Hier wird die EU zur Schuldenunion, etwas das die CDU immer abgelehnt hat und alle deutschen Politiker immer ausgeschlossen haben. Mit dieser Schuldenunion verwirken wir Teile unseres Haushaltsrechts und belasten mit einem nicht zu kalkulierenden Risiko die künftigen Generationen.

Das Bundesverfassungsgericht selbst hat mit seinem aktuellen Klima-Urteil de facto ein Grundrecht auf Zukunft geschaffen. Dieses Grundrecht wird nicht nur auf klimapolitische Entscheidungen des Gesetzgebers beschränkt bleiben. Vielmehr müssen sich dann auch dessen Haushalts- und finanzpolitischen Entscheidungen stärker am Prinzip der Generationengerechtigkeit ausrichten. Deshalb dürfte die gewaltige Neuverschuldung des Bundes zur Finanzierung und Absicherung des EU-Aufbaufonds nicht mit dieser aktuellen Entscheidung aus Karlsruhe in Einklang zu bringen sein. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil eine grundrechtliche Situation geschaffen, in der der EU-Eigenmittelbeschluss auch verfassungswidrig sein müsste.

Das Gespräch mit Sylvia Pantel führte Klaus Kelle.

Bildquelle:

  • EU_Sterne: pixabay

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.