„Seid Ihr eigentlich bescheuert, Ihr Durchgeknallten?“ AfD in NRW taumelt, nachdem einer „den Freisler“ machen wollte

Die AfD im größten Bundesland steckt in schweren Turbulenzen. Foto: Bernd Thissen

BERLIN/DÜSSELDORF – Die AfD taumelt seit Monaten von einer schweren Krise in die nächste. Ein aktueller Skandal, der ganz frisch bekannt geworden ist, hat das Zeug, die Partei vollends mit in den Abgrund zu reißen. In der „Aktuellen Stunde“ des WDR lief heute ein Bericht über den stellvertretenden AfD Landesvorsitzenden Matthias Helferich, der sprachlos und betroffen macht. Auch andere Redaktionen haben sich Helferichs und seiner Aussagen inzwischen angenommen, über die im Detail nur einige Mitglieder des Bundesvorstands der Partei und Rüdiger Lucassen, NRW-Landesvorsitzender und Bundestagsabgeordneter, informiert zu sein scheint.

Die Affäre um Matthias Helferich hat nach Informationen einiger Journalisten das Potential, sich zur schwersten Krise der Partei überhaupt zu entwickeln. Lucassen lehnt bisher jede öffentliche Stellungnahme zu dem Vorgang ab, angeblich habe er Redaktionen schon mit seinen Anwälten gedroht.

Doch nach und nach kommen immer mehr Details ans Licht. So soll Helferich angekündigt haben, bei einem AfD-Landeskongress den – wörtlich – „demokratischen Freisler“ geben zu wollen. Eben den Freisler, der als erbarmungsloser Nazi-Richter bekannt ist und tausende Menschen aufs Schafott geschickt hat, darunter die Geschwister Scholl und Widerstandskämpfer des 20.Juli.

NRW-Landeschef Rüdiger Lucassen äußerte sich gegenüber dem WDR: „Anonym habe ich bekommen ein Schriftstück, in dem, sag ich mal, fünf, sechs, sieben Sachverhalte sind, Themen, die indirekt oder direkt den Nationalsozialismus beinhalten, beschrieben sind.“ Und der WDR legt nach und zitiert aus Facebook-Chats unter anderem unter einem Bild von Helferich mit AfD-Flyer und dem Text „das freundliche gesicht des ns (Nationalsozialismus, Anm. d. Red.).“ Den Beitrag soll er allerdings im Mai dieses Jahres wieder gelöscht haben, berichtet der WDR. Ein anderes Bild soll eine Vase mit einer Kornblume zeigen, die laut Helferich das „geheime Symbol der Nationalsozialisten während des Verbots in Österreich“ war.

Neben den empörenden Aussagen stürzt Helferich den AfD-landesverband in höchste Nöte, denn er ist auf der Landesliste der Partei zur Bundestagswahl mit Platz 7 auf einem vermutlich sicheren Platz, das heißt, wenn er wirklich antritt, wird er nach dem 26. September Abgeordneter des Deutschen Bundestages sein. Andererseits: Handelt der AfD-Landesvorstand jetzt schnell und konsequent, dann müsste eine Liste ohne Helferich bis zum 19. Juli vom Landeswahlleiter bestätigt werden. Ob das einfach so durchgewunken würde, ist mehr als zweifelhaft.

Wird wiederum ein Kandidat mit anscheinder Nähe zu nationalsozalistischen Gedankengut in den eigenen Reihen weiter geduldet, dann hat die Partei weit mehr Probleme als die Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Mit den vielen treuen Protestwählern, die der AfD bisher ihre Stimmen geschenkt haben, dürfte es beim „freundlichen Gesicht des NS“ wohl vorbei sein.

Aber der Verfassungsschutz ist natürlich schon seit einiger Zeit ein wachsendes Problem für die größte Oppositionspartei im Bundestag. Teilgliederungen wie die „Junge Alternative“ (JA) und einzelne Politiker wie der Thüringer Björn Höcke werden schon jetzt auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet. Wer nichts zu verlieren hat unter den Mitgliedern und Anhängern kann das geringschätzen. Wer im Staatsdienst beschäftigt ist oder eine respektable bürgerliche Existenz hat, wird sich überlegen, ob er in einer Partei bleibt, in der Bundestagskandidaten „den Freisler machen“.

Auf einschlägigen Facebook-Seiten finden sich in diesen Tagen immer noch AfDler, die ihrem Parteifreund Matthias Helferich zur Seite stehen und seine Aussagen zu relativieren versuchen. Eine AfD-Frau aus Norddeutschland platzte jetzt der Kragen. Sie schrieb den Parteifreunden auf Facebook:

„Seid Ihr eigentlich bescheuert, Ihr Durchgeknallten, die nun Solidaritätsbekundungen mit Matthias Helferich raushauen? (…) Um es deutlich zu sagen: Wer ihn jetzt vor Prüfung in Schutz nimmt, macht sich ebenso schuldig. Das wäre offener Rechtsextremismus, der Solidarität erhält.“

Die Partei steht zweieinhalb Monate vor der Bundestagswahl am Abgrund. Obwohl die nach wie vor zahlreichen gemäßigten Parteimitglieder schon vor über einem Jahr den Kampf gegen den rechtsextremen Bodensatz aufgenommen haben, obwohl der Bundesvorstand um Jörg Meuthen die rechten Randfiguren Andreas Kalbitz und Doris von Sayn-Wittgenstein rausgekegelt haben – letztere hat sich inzwischen vor einem Zivilgericht wieder in die Partei zurückgeklagt – sieht es nicht so aus, als sei die Situation unter Kontrolle.

Wer bleibt ist Rüdiger Lucassen. Als Landeschef von NRW hat er darauf zu achten mit wem er zusammen den größten Landesverband der AfD führt. Schließlich werden in einer demokratischen Partei wichtige Entscheidungen gemeinsam getroffen. Lucassen und Helferich gelten in der Partei als Team, das eng zusammenarbeitet. Im innerparteilichen Machtkampf standen und stehen sie vermutlich immer noch auf einer Seite.

Seit dem Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Helferich vergangene Woche besteht in der Parteizentrale in Düseldorf eine Informationssperre – sogar gegenüber den Mitgliedern des eigenen Landesvorstands. Seit gestern kursiert in AfD-Kreisen eine Mail an Lucassen vom 4. Januar 2021, in der angedeutet wird, dass schon damals bekannt war, dass es Probleme mit der Person Helferich gibt. Dazu muss sich ein Landesvorsitzender öffentlich erklären, wenn er glaubwürdig bleiben will.

Bildquelle:

  • AfD in Nordrhein-Westfalen: dpa

Unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende

Jetzt spenden (per PayPal)

Jetzt abonnieren