Sabotage gegen russische Militär-Logistik: Zweiter Güterzug nach Explosion entgleist

Ukrainische Soldaten an der Frontlinie nahe Bachmut. Foto: Libkos/AP/dpa

BRJANS/KIEW – Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit ist im russischen Grenzgebiet nahe der Ukraine ein Güterzug nach einer Explosion entgleist. In der Region Brjansk seien unweit der Siedlung Belye Berega gestern Abend eine Lokomotive und rund 20 Waggons «wegen illegaler Eingriffe in die Arbeit des Eisenbahnverkehrs» von den Schienen abgekommen, teilte die russische Eisenbahn RZD auf Telegram mit. Bereits am Montag war in derselben Region ein Zug entgleist, nachdem Unbekannte die Schienen gesprengt hatten.

Vor erwarteter Gegenoffensive: Anschläge häufen sich

Der Gouverneur von Brjansk, Alexander Bogomas, schrieb von einem «unbekannten Sprengkörper», der explodiert sei. Verletzt worden sei ersten Erkenntnissen zufolge niemand. Wer hinter der mutmaßlichen Sabotage steckte, war zunächst unklar.

Etwas später gestern Abend hieß es in russischen Telegram-Kanälen außerdem, in der ebenfalls an die Ukraine grenzenden Region Belgorod habe eine Drohne nahe einer im Bau befindlichen Verteidigungsanlage einen Sprengsatz abgeworfen. Dabei sei ein Mann verletzt worden. Offiziell bestätigt wurde das zunächst nicht.

Russland führt seit mehr als 14 Monaten einen Angriffskrieg gegen die benachbarte Ukraine. In den vergangenen Wochen häuften sich Anschläge durch unbekannte Täter auf russische Infrastruktur und Versorgungswege. So geriet etwa am vergangenen Wochenende ein Treibstofflager auf der von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim durch eine Drohnenattacke in Brand. Einige Beobachter vermuten dahinter eine Vorbereitung auf die ukrainische Gegenoffensive, deren Beginn bald erwartet wird.

London vermutet russischen Strategiewechsel

Nach Einschätzung britischer Geheimdienste deutet sich ein Umschwenken in der Strategie Russlands im Ukraine-Krieg an. Statt Angriffen auf das Stromnetz werde nun mutmaßlich verstärkt die militärische und industrielle Infrastruktur der Ukraine attackiert, hieß es am Mittwoch im Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums auf Twitter.

In den vergangenen Tagen habe Russland die Ukraine mit Marschflugkörpern angegriffen, die von strategischen Langstreckenbombern aus abgeschossen worden sein sollen. Dabei seien weniger Geschosse eingesetzt worden als bei früheren Angriffen, hieß es von den Briten. London mutmaßt, dass die Russen so ihre Munitionsreserven schonen wollen.

Ukraine berichtet von mehreren Drohnenangriffen

Das russische Militär griff ukrainischen Behördenangaben zufolge derweil in der Nacht zum Mittwoch erneut mehrere Regionen des Landes mit Drohnen an. In der Region Kirowohrad habe es nahe der Gebietshauptstadt Kropywnyzkyj Einschläge bei einem Öllager gegeben, teilte der Gouverneur Andrij Raikowitsch auf seinem Telegram-Kanal mit. «Es gab keine Opfer. Alle Einsatzkräfte haben rasch gehandelt.» Raikowitsch berichtete von drei Drohnen. Über die Höhe der Schäden gebe es noch keine Angaben, fügte er hinzu.

Laut dem ukrainischen Generalstab hat Russland aus dem Gebiet Brjansk und vom Ostufer des Asowschen Meeres aus insgesamt 26 Drohnen gestartet. Davon seien 21 abgefangen worden. Über der ukrainischen Hauptstadt Kiew konnten demnach alle Drohnen abgeschossen werden. Für Kiew war es bereits der dritte Drohnenangriff innerhalb der vergangenen sechs Tage.

Auch das Gebiet Dnipropetrowsk war nach Angaben der Gebietsverwaltung erneut Ziel von Angriffen. Sieben Flugkörper seien abgeschossen worden. Einer beschädigte ein Verwaltungsgebäude und löste dort einen Brand aus.

Selenskyj: Müssen euro-atlantische Sicherheit stärken

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mahnte unterdessen mit Blick auf den bevorstehenden NATO-Gipfel im Juli den Zusammenhalt westlicher Staaten an. «Das Wichtigste, was uns verbindet, ist die Sicherheit für alle Europäer, Stabilität und daher die weitere Entwicklung und Stärkung der europäischen und euro-atlantischen Gemeinschaft», sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache.

Zuvor hatte Selenskyj bereits klargemacht, dass er von dem Gipfel in Vilnius erwarte, dass dort der Weg zur Aufnahme seines Landes in das westliche Militärbündnis freigemacht werde. Unterstützung bei seinen Forderungen bekommt Kiew insbesondere von mittel- und osteuropäischen Staaten wie Gipfelgastgeber Litauen. Dass Nato-Partner wie die USA zu einer konkreten Beitrittsperspektive für die von Russland angegriffene Ukraine bewegt werden können, gilt Diplomaten zufolge derzeit allerdings als unwahrscheinlich.

Selenskyj: Habe nicht vorab von US-Datenleck erfahren

Auch in anderer Hinsicht scheint die ukrainische Führung nicht glücklich über das Verhalten der US-Regierung zu sein. So wurde Selenskyj nach eigenen Angaben nicht vorab von den USA über das brisante Datenleck mit im Internet kursierenden Geheimdokumenten informiert. Das geht aus dem Auszug eines Interviews der «Washington Post» mit dem ukrainischen Präsidenten hervor, den die Zeitung gestern auf ihrer Webseite veröffentlichte.

«Ich bin vorab nicht aus dem Weißen Haus oder dem Pentagon informiert worden», sagte Selenskyj demnach. «Wir hatten diese Informationen nicht, auch ich persönlich hatte sie nicht.» Das sei eindeutig eine schlechte Sache. In dem Bericht der «Washington Post» heißt es, Selenskyj habe aus den Nachrichten davon erfahren.

US-Medien hatten kurz vor Ostern erstmals über das Leck berichtet. Schon seit Wochen kursierten damals geheime Dokumente von US-Stellen zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine im Internet – mit Informationen zu Waffenlieferungen, Einschätzungen zum Kriegsgeschehen und auch Details zu angeblichen Spähaktionen der USA gegen Partner. Ein 21 Jahre alter Angehöriger des US-Militärs steht im Verdacht, diese in einem geschlossen Chat-Raum veröffentlicht zu haben. Von dort aus verbreiteten sie sich weiter, bis auch Behörden und Medien darauf aufmerksam wurden. Der Mann muss sich vor Gericht verantworten. Die US-Behörden ermitteln weiter.

Selenskyj bezeichnete die Enthüllungen in dem Interview als unvorteilhaft für Kiew, für den Ruf des Weißen Hauses und der Vereinigten Staaten. Die «Washington Post» hatte unter Berufung auf Papiere aus dem Datenleck und eigene Quellen berichtet, dass die USA am erhofften Erfolg der geplanten Frühjahrsoffensive der Ukraine gegen die russischen Angreifer zweifelten.

Bildquelle:

  • Soldaten in Bachmut: dpa

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