von KATHRIN LAUER
Bukarest – In Rumänien haben am Sonntagabend nach Schätzungen einheimischer Medien fast eine halbe Million Menschen bei landesweiten Straßenprotesten den Rücktritt der sozialliberalen Regierung verlangt.
Dass Ministerpräsident Sorin Grindeanu die umstrittene Eilverordnung, die den Kampf gegen Korruption eingeschränkt hatte, zurückgenommen hat, hielt die Menschen nicht von neuen Protesten ab.
Allein in Bukarest gingen demnach etwa 250 000 Menschen auf die Straße. Die Metrostation am Platz des Regierungssitzes wurde vorsichtshalber geschlossen, um Gedränge in den Unterführungen zu vermeiden. In mindestens 20 weiteren Städten gab es Kundgebungen mit jeweils Tausenden oder Zehntausenden Demonstranten.
In Bukarest und anderen Städten sangen die Menschen die Nationalhymne. Im westrumänischen Timisoara (Temeswar) und im nordostrumänischen Iasi beteten die Demonstranten das Vaterunser im Chor. In Ploiesti, 60 Kilometer nördlich von Bukarest, knieten rund 3000 Demonstranten vor dem Sitz der regierenden Sozialdemokratischen Partei (PSD) nieder, um den Rücktritt der Regierung zu erflehen, berichtete die Nachrichtenagentur Mediafax.
Die Regierung hatte nach tagelangen Massenprotesten eine umstrittene Eilverordnung aufgehoben, die die Strafverfolgung von Korruption bei Politikern einschränkt. Dieser Beschluss vom Sonntag erschien umgehend im Gesetzblatt.
Ministerpräsident Sorin Grindeanu verfügte zugleich die Veröffentlichung von Protokollen, die offensichtlich die Vorgängerregierung kompromittieren sollen.
Die umstrittene Verordnung der sozialliberalen Regierung sah vor, dass Amtsmissbrauch nur noch dann strafrechtlich verfolgt wird, wenn die Schadenssumme mindestens 200 000 Lei (rund 45 000 Euro) beträgt. Sie begünstigt den Vorsitzenden der regierenden Sozialdemokraten (PSD), Liviu Dragnea, der wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch mit einem Schaden von 100 000 Lei vor Gericht steht.
Vor dem Amtssitz des bürgerlichen Staatspräsidenten Iohannis kam es zu einer kleineren Gegendemonstration zur Unterstützung der Regierung.
Iohannis ist einer der wichtigsten Kritiker der nunmehr aufgehobenen Verordnung. «Die Regierung hat schwere Fehler gemacht und muss die Krise lösen, die sie ausgelöst hat», ließ er am Samstag mitteilen. Die Demonstranten hätten «legitime, demokratische und korrekte Forderungen, und die Regierung muss verstehen, dass die Menschen keine Konzessionen akzeptieren». Iohannis hatte gegen die auch international scharf kritisierte Verordnung eine Verfassungsklage eingereicht.
Die Veröffentlichung der heiklen Protokolle einer Regierungssitzung vom Mai 2016 dürfte den Zorn der Demonstranten weiter schüren. Denn damit will Grindeanu offensichtlich nachweisen, dass sein Vorgänger Dacian Ciolos im Umgang mit dem Strafgesetzbuch und Eilverordnungen ähnlich gehandelt habe wie er. Grindeanus Kritiker hatten in der aktuellen Krise beanstandet, dass er das Strafgesetzbuch am Parlament vorbei, per Eilverordnung geändert habe.
Solidarität mit Rumäniens Regierungskritikern kam aus den ebenfalls von Korruption betroffenen Nachbarländern Bulgarien und Republik Moldau. Vor den rumänischen Botschaften in Chisinau (Moldau) und Sofia (Bulgarien) kam es zu kleinen Sympathiekundgebungen. In Chisinau demonstrierte die oppositionelle Plattform Würde und Wahrheit, wie das moldauische Portal unimedia.info berichtete. In Sofia warnte der Veranstalter der Kundgebung: «Sollte Rumänien einen Schritt rückwärts im Kampf gegen die Korruption machen, wäre dies ein sehr schlechtes Zeichen auch für Bulgarien», berichtete der bulgarische Fernsehsender Evropa.
Bildquelle:
- Proteste in Rumänien: dpa