Regeltreue und Moral in der internationalen Politik? Das ist unmöglich…

Liebe Leserinnen und Leser,

der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman ist auf Reisen durch Europa. Mohammed wer?… wird der ein oder andere von Ihnen jetzt fragen. Nun, der faktische Herrscher Saudi-Arabiens, den viele in seinem Umfeld und auch international «MBS» nennen, soll vor vier Jahren höchstpersönlich den brutalen Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi angeordnet haben. Jedenfalls ist das die Einschätzung amerikanischer Geheimdienste, und die sind gut darin, viel zu wissen.

Der Kronprinz ist vorgestern in Athen von Griechenlands Regierungschef Kyriakos Mitsotakis mit einen «warmen Empfang», wie der Kronprinz sagte, begrüßt worden. Und während ich das hier für Sie schreibe, sitzt «MBS» in Paris im Élyséepalast beim Dinner und pflegt Konservation mit dem vielleicht wichtigen europäischen Anführer.

Aber seit US-Präsident Joe Biden vor zwei Wochen Saudi-Arabien besuchte und den Kronprinzen nicht allzu sehr mit all diesem Ärger um so einen ermordeten Journalisten nervte – Macron war im Dezember schon im Wüstenstaat zu Besuch – ist es einfach vorbei mit der zeitweiligen internationalen Isolation von Mohammed bin Salman.

Und das alles führt uns knallhart vor Augen, dass es eben keine moralische Außenpolitik gibt, ja gar nicht gegen kann, allenfalls für die, die keine Relevanz im großen Spiel um Macht, Rohstoffe und Geld haben.

Aber Saudi-Arabien ist relevant. Das Zentrum der islamischen Welt mit Mekka, reich durch unendlich erscheinende Erdölvorräte, westlicher Verbündeter, der den Iran in der Region ordentlich beschäftigt und in Schach hält. Da kann man sich als Westen nicht mit dem hoch erhobenen Zeigefinger hinstellen. Dem Iran, China und Russland sind moralische Erwägungen oder solche Lästigkeiten wie Menschenrechte ohnehin vollkommen wurscht. Aber die Realität zeigt eben, dass auch wir in den westlichen Demokratien nicht auf unserem hohen Ross ausruhen können.

Wenn wir Saudi-Arabien keine Waffen verkaufen, dann kaufen die halt Waffen anderswo – und wir sind die Dummen, weil es unsere Industrie schädigt und Arbeitsplätze kostet.

Und mit was wollen wir China denn drohen?

Entweder Menschenrechte und individuelle Freiheit oder wir verkaufen euch keine Mercedes-Limousinen und Porsches mehr? Nein, andersrum: Wenn wir unsere Autos in dem gewaltigen Markt verkaufen wollen, dann halten unsere Regierungsdelegationen mit 50 Unternehmensrepräsentanten schön den Mund, um nicht gute Geschäfte zu vermasseln.

Nein, ich bin sicher, dass viele der mächtigen uns skrupellosen Staatenlenker über den moralischen Anspruch der freiheitlichen Staaten dieser Welt lachen. Sie müssen mit uns auskommen, weil wir technologisch und ökonomisch immer noch stark sind, aber sie halten uns für Naivlinge. Und wenn ich mir so den ein oder anderen unserer Anführer im Westen anschaue, dann kann ich nur zaghaft widersprechen.

Grundsätzlich halte ich das Lebensmodell der westlichen Staatengemeinschaft für das richtige und menschenfreundlichste. Mit Wohlstand und Sicherheit, mit gleichen Rechten für jeden Bürger, auch dem Recht, die eigene Regierung qua demokratischer Wahl zum Teufel zu jagen. Aber wir wollen immer gut sein, und möglichst die ganze Welt mit dem, was wir und ich auch für richtig halten, beglücken.

Und wir müssen leider feststellen, dass das in der Praxis nicht funktioniert. Übrigens auch im Wirtschaftsleben nicht. Korruption ist in drei Viertel der Staaten dieser Welt der Alltag. Ganz normal, nicht nur bei Großaufträgen der Industrie, sondern auch bei einem EU-Antrag aus Rumänien oder bei einem neuen Pass in Afrika im Rathaus. Es ist falsch, es ist nicht gut für deren eigenen Gemeinwesen, wir wissen das, wir sind die Guten – aber die anderen interessiert es nicht. Compliance-Regeln? Nix verstehen…

Ich habe keine Lösung für dieses Paradoxon, was ja auch im Ukraine-Krieg ganz deutlich auf dem Tisch liegt. Wenn wir nicht in den Krieg ziehen wollen für die Ukraine, dann müssen wir Russland so hart wie möglich sanktionieren (und der Ukraine natürlich gute schwere Waffen liefern). Aber wenn wir sie hart sanktionieren, dann schaden wir gleichzeitig unserem Staat und den Menschen in jedem Haushalt auch. Ist das nicht furchtbar, aber wie rauskommen aus diesem Hamsterrad?

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Klaus Kelle

 

Unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende

Jetzt spenden (per PayPal)

Jetzt abonnieren

Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.