von STEFAN MEETSCHEN
Doppelt hält besser. Jeder, der als Zwilling zur Welt kam, oder wenigstens schon mal einen doppelten Knoten gebunden hat, kann dies bestätigen. Nur bei der Moral ist das mit der Duplizität so eine Sache. Wer mit zweierlei Maß misst, gerät schnell in Gefahr, den richtigen Maßstab für die Wirklichkeit zu verlieren. Dann hält doppelt nicht besser, sondern gar nicht. Die drohenden Folgen: Realitätsverlust (bei einem selbst) und Manipulation (bei anderen).
Gerade Menschen, die intensiv mit Worten in der Öffentlichkeit agieren, wie Politiker, Kirchenleute oder Journalisten, stehen in der Gefahr, alles, was sich ereignet, passend zu ihrem eigenen Weltbild zurechtzustricken; es so zu erklären, wie es ihnen passt oder – wenn es sich einfach nicht erklären lässt – schlichtweg auszusparen.
Solche Beispiel für rhetorische Doppelmoral gibt es viele. Ralf Stegner, der heimliche Generalsekretär der SPD, liefert auf diesem Gebiet seit geraumer Zeit besonders eindrückliches Anschauungsmaterial. So twitterte der SPD-Mann im Herbst 2015, als die Nation geschockt war über das Messerattentat auf Henriette Reker, die Kandidatin und spätere Siegerin beim Kölner Oberbürgermeisterwahlkampf, die kühnen Zeilen: „Messerangriff auf Henriette Reker: Pegida hat in Köln mitgestochen“. Sprich: Tausende von selbsternannten Verteidigern des Abendlandes, über deren Aussagen und Symbolverwendung man sehr wohl diskutieren kann und darf, wurden verbal unter den Verdacht des versuchten Mordes gestellt. Auch nicht zimperlich fiel Stegners Reaktion zum Freiburger Mord an der Studentin Maria L. aus: „Von rechts betriebene politische Vermarktung der jungen Freiburgerin, die durch ein grausames Gewaltverbrechen sterben musste, ist ekelhaft.“ Sprich: Irgendwie sind auch bei dieser Gewalttat, die von einem Flüchtling aus Afghanistan verübt wurde, rechte Hetzer und Hasser mitbeteiligt. Zumindest posthum.
Was soll man dazu sagen? Schaut man sich die hohe Taktzahl der Stegner-Tweets (wie gesagt: stellvertretend für viele andere rhetorische Doppelmoralisten in Politik und Medien!) an, bleibt einem kaum Zeit, um derartige Wirklichkeitsdeutungen angemessen zu würdigen: Inzwischen hat Ralf Stegner den „Rechtsruck beim CDU-Parteitag“ entdeckt und klare Unterschiede zwischen „Jusos“ und „Junger Union“ ausgemacht. Twitter-O-Ton Stegner: „Während Jusos über Gerechtigkeit und Zukunftsfragen diskutieren, setzt Junge Union auf Ungerechtigkeit und Vergangenheit! Klare Unterschiede!“ So einfach ist die Welt, wenn man sie sich als rhetorischer Doppelmoralist zurechtstrickt.
Und die Journalisten? Sollten sich hüten, in die gleiche Falle zu laufen. Weder an den Händen aller „Pegida“-Demonstranten noch an den Händen aller Flüchtlinge klebt Blut – oder potentielles Blut. Keine Nachwuchsorganisation einer demokratischen Partei steht allein für Zukunft und Gerechtigkeit. Wie hat es der Philosoph Hans-Georg Gadamer einmal schön im „Spiegel“ ausgedrückt: „Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere Recht haben könnte.“ Der Andere in der politischen und medialen Arena ist meistens der, der eine andere Meinung hat. Manchmal kann sie oder er einem helfen, kein Doppelmoralist zu werden. Wenn man ihr oder ihm zuhört.
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- Doppelmoral: kelleCOM