von JOHANNES NEUDECKER
ROM – Papst Franziskus steht Ende Mai wie jeden Sonntag am Fenster seines Arbeitszimmers im Apostolischen Palast und spricht zu den in der Hitze schwitzenden Gläubigen auf dem Petersplatz in Rom. Alles scheint wie immer, bis er am Ende plötzlich bekannt gibt: «Am 29. und 30. August findet eine Versammlung aller Kardinäle statt.» Kaum sind die Worte des 85-Jährigen verklungen, beginnt im Vatikan bereits die Gerüchteküche zu brodeln. Was hat der Papst vor?
Am kommenden Wochenende will das katholische Kirchenoberhaupt 20 Männer zu Kardinälen ernennen. Die Herren mit den purpurroten Kappen wählen die Päpste. Ein Papst kann mit solchen Ernennungen seine Nachfolge regeln, weil er bei der Auswahl des Kollegs freie Hand hat und somit die aussuchen kann, die seine Sicht auf die Kirche vertreten. 16 der von Franziskus ausgewählten Neuen dürften in einem Konklave – der Papstwahl – eine Stimme abgeben, die anderen 4 haben das Wahlhöchstalter von 80 Jahren bereits überschritten.
Auswahl der Kardinäle sorgt für Stirnrunzeln
Franziskus hat jetzt schon von den mehr als 200 Kardinälen, von denen im Moment etwas weniger als 120 wählen dürften, einen großen Anteil selbst ernannt. Die übrigen stammen noch aus Zeiten Benedikts XVI. und Johannes Pauls II. Die diesjährige Auswahl Franziskus‘ für die Kardinalskreierung – so heißt die Ernennung – sorgte bei manchen für Stirnrunzeln. Auf der Liste steht etwa der Italiener Giorgio Marengo, der Apostolische Präfekt der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator. Auch der Erzbischof von Singapur, William Goh, soll Kardinal werden.
Beide kommen aus Teilen der Welt, in denen kaum Katholiken leben. Marengo habe gerade einmal 1300 Gläubige in seinem Kirchensprengel, erklärt Kirchenhistoriker Johannes Grohe. «In den vergangenen Jahrzehnten ist das Kardinalskolleg zunehmend international geworden», bemerkt der Gelehrte der Päpstlichen Universität Santa Croce. Bischöfe aus Städten wie Mailand oder Venedig, die traditionell irgendwann Kardinal wurden, werden diesmal übergangen. Dafür öffnet sich das Kolleg den Rändern der Welt.
«Deutlicher Geschmack eines Vor-Konklaves»
Am Sonntag steht auf dem päpstlichen Terminkalender ein weiterer kurioser Termin: Franziskus will im Hubschrauber in die italienische Stadt L’Aquila, östlich von Rom, fliegen. Und von Montag bis Dienstag trifft er Kardinäle aus aller Welt im Vatikan, um über die seit Juni geltende Verfassung des Heiligen Stuhls zu sprechen, wie der Argentinier ankündigte. Die genaue Agenda ist bislang jedoch ein wohl gehütetes Geheimnis. Die Aneinanderreihung von Terminen mitsamt einer Kardinalsversammlung (Konsistorium) zu diesem Zeitpunkt im Jahr lässt Vatikan-Kenner allerdings mit vielen Fragezeichen zurück. «Alle wundern sich über das Konsistorium im heißesten Monat in Rom, was vielen zeitlich und auch gesundheitlich nicht gelegen kommt», sagt der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller.
Will Franziskus vielleicht mehr als nur reden? Manche Beobachter vermuten, der Nachfolger auf dem Stuhl Petri plant seinen Rücktritt. «Es hat den deutlichen Geschmack eines Vor-Konklaves», schrieb die Zeitung «La Repubblica». Da er die Kardinäle gesammelt in Rom trifft, könnte er sich ein Lagebild einholen. Andere meinen, der Papst könnte das Konklave ändern wollen und es für einen weiteren Kreis zugänglich machen. Bestätigt ist davon aber nichts. Weil in der Kirche Symbolik nicht fehlen darf, passt auch der Besuch in L’Aquila wunderbar in die Theorie derjenigen, die ein Konklave am Horizont sehen. Denn dort liegt Papst Coelestin V. begraben, der erste zu Lebzeiten freiwillig zurückgetretene Pontifex. Danach folgte nur Benedikt XVI. 2013.
Rücktritt unwahrscheinlich, zumindest jetzt
Die meisten schließen Jorge Mario Bergoglios Rücktritt zum jetzigen Zeitpunkt aber aus. Zu viele Reisen wie nach Kasachstan, in die Ukraine oder nach Afrika hat er noch vor der Brust. Außerdem würde er seinen weltweiten Kirchen-Reformprozess damit gewissermaßen auf Eis legen. Ein Problem ist auch die aktuelle Rücktrittsregelung. Das würde nur Canon 332 Paragraf 2 regeln, wie Kirchenrechtler Markus Graulich erklärt. «Falls der Papst auf sein Amt verzichten sollte, ist zur Gültigkeit verlangt, dass der Verzicht frei geschieht und hinreichend kundgemacht, nicht jedoch, daß er von irgendwem angenommen wird», heißt es da. Konkreter wird es nicht.
Dass Franziskus aber eines Tages zurücktreten könnte, ist kein Geheimnis. Er hat das selbst schon in Erwägung gezogen. Der Tango- und Fußballfan wäre dann «emeritierter Bischof von Rom» und würde nicht im Vatikan leben, erklärte er im Juli in einem TV-Interview. Franziskus könnte so den Status des emeritierten Papstes, den Benedikt XVI. gerade hat, umgehen und die mitunter problematische Möglichkeit einer Co-Existenz zweier Päpste vermeiden.
«Aus theologischen Gründen bin ich gegen den Rücktritt des Papstes», sagt Kardinal Müller. So etwas sei nur in einem äußersten Grenzfall zu verantworten. «Dass eine Fraktion seinen Rücktritt fürchtet, weil es dann um die eigene Macht geschehen wäre, und die andere Fraktion ihn herbeisehnt, weil dann die lehramtliche Konfusion beendet wäre, zeigt in beiden Fällen ein schweres Defizit im theologischen Denken und in der kirchlichen Gesinnung.»
Bildquelle:
- Papst Franziskus: dpa