von MAREN HENNEMUTH und THOMAS KÖRBEL
Moskau – Dieser Neujahrsgruß aus dem Kreml kommt überraschend. Statt wie erwartet Dutzende US-Diplomaten als Reaktion auf jüngste US-Sanktionen gegen Russland auszuweisen, lädt der russische Präsident Wladimir Putin deren Kinder zu einem Neujahrs- und Weihnachtsfests in den Kreml ein.
Will er so zu Silvester eine der schwersten Krisen zwischen Moskau und Washington seit Jahren entschärfen? Beobachter sind überzeugt: Mit dem Schritt will Putin den scheidenden US-Präsidenten Barack Obama vor sich her treiben.
In einer der schärfsten diplomatischen Eskalationen seit dem Ende des Kalten Krieges hatte Obama zuvor neue Sanktionen gegen Russland verhängt und ließ 35 Diplomaten ausweisen. Der Präsident übte damit Vergeltung, weil er überzeugt ist, dass der Kreml sich mit Hackerangriffen in den Präsidentschaftswahlkampf eingemischt hat. Zugleich engte Obama mit dem Zug den Handlungsspielraum seines Nachfolgers Donald Trump ein, der die Beziehungen zu Russland wieder verbessern will.
Mit den Strafmaßnahmen hat Obama wenige Wochen vor dem Ende seiner Amtszeit die Spielregeln des Kalten Krieges wieder heraufbeschworen: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Schon wurde damit gerechnet, dass auch Moskau 35 US-Diplomaten zum Neujahrsfest nach Hause schickt.
Doch in einen Schlagabtausch wie im Kalten Krieg will sich Putin von Obama kurz vor dessen Abschied nicht mehr zwingen lassen. «Wir werden keine Probleme für US-Diplomaten in Russland schaffen», sagt er. Die erwarteten Ausweisungen bleiben aus.
Schon argumentieren Moskauer Politiker wie der Abgeordnete Wjatscheslaw Nikonow, es bringe nichts, die Beziehungen zu den USA weiter zu verschlechtern. «Obama wird alles tun, um Trump das Leben schwer zu machen», meint Nikonow.
So haben es wohl auch Putins Berater im Kreml gesehen – und dem als gewieften Taktiker bekannten Präsidenten empfohlen, mit dem Verzicht auf Gegenmaßnahmen Obama in eine Sackgasse zu treiben. So macht Putin deutlich, dass er Obama in dessen letzten Amtswochen nicht länger als maßgeblich ansieht. Wie es weitergeht zwischen Russland und den USA, hänge von Trumps Politik ab, heißt es aus dem Kreml. Putin betont, er hoffe weiterhin auf eine Wiederherstellung der Zusammenarbeit mit Washington.
Die Entwicklungen bergen Stoff für einen Politthriller. Es geht um Diplomaten, die Agenten gewesen sein sollen, und um russische Datschen an der US-Ostküste, über die es im Weißen Haus heißt, sie seien in Wirklichkeit Spionagenester gewesen.
35 russische Gesandte müssen das Land verlassen. Obama bezeichnet sie als Spione. Die «New York Times» berichtet, das Weiße Haus und das Außenministerium hätten die Zahl ausgewählt und dem FBI mit der Bitte vorgelegt, genau so viele Namen zu nennen. Es ist unklar, ob die 35 Russen etwas mit den Hackerangriffen zu tun haben.
Obama – daran lässt er inzwischen keinen Zweifel mehr – macht Putin persönlich für die Cyberangriffe im Wahlkampf verantwortlich, die dem Republikaner Trump zum Wahlsieg verholfen haben sollen. Die Vorwürfe stützen sich auf Geheimdiensterkenntnisse, die sich kaum überprüfen lassen. Der Kreml dementiert, manche IT-Experten äußern Zweifel.
Während ranghohe Republikaner ebenfalls Moskau beschuldigten, blieb Donald Trump skeptisch und stellte die Geheimdiensterkenntnisse in Frage. Die Einschätzung, dass die Attacken teilweise darauf abzielten, ihm zum Wahlsieg zu verhelfen, nannte er gar «lächerlich».
Nun will sich Trump umfassend von den Sicherheitsbehörden informieren lassen. Und er will lieber nach vorne schauen. Das Land müsse sich größeren Dingen widmen, erklärte er am Donnerstag in einer knappen Stellungnahme.
Obamas Maßnahmen gegen Russland stehen auf einem wackeligen Fundament. Trump könnte die Anordnung nach seinem Amtsantritt am 20. Januar jederzeit mit einer Unterschrift rückgängig machen.
Damit würde er aber wohl auf erheblichen Widerstand in seiner eigenen Partei stoßen. Trump wäre in der unbequemen Situation, die Schritte gleich gegen mehrere Seiten durchboxen zu müssen: gegen die republikanischen Falken, die Putin noch härter angehen wollen, und gegen den erwarteten Widerstand der europäischen Verbündeten. Es wäre ein erster Test, wie sehr er bereit ist, seine Ankündigungen wirklich wahr zu machen, die Beziehungen zu Russland zu verbessern.
Bildquelle:
- Kremlchef Putin: dpa