Prozess soll entscheiden: Kann man Facebook zwingen, Lügen zu löschen?

Ein syrischer Flüchtling hat eine einstweilige Verfügung gegen Facebook beantragt, weil in dem Netzwerk mehrfach fälschlich behauptet wurde, er sei für verschiedene Terroranschläge verantwortlich. Foto: Julian Stratenschulte

von BASTIAN BENRATH

Würzburg – «Obdachlosen angezündet – Merkel machte 2015 Selfie mit einem der Täter!», verkündet der Facebook-Post in fetter weißer Schrift auf schwarzem Untergrund.

Der Fall erregte Ende vergangenen Jahres die Gemüter: In einem Berliner U-Bahnhof hatten zunächst Unbekannte in der Nacht zum Ersten Weihnachtstag einen schlafenden Wohnungslosen in Brand gesetzt. Nur das Eingreifen Umstehender verhinderte Schlimmeres. Die Polizei veröffentlichte kurz nach der Tat Überwachungskamera-Bilder von mehreren jungen Verdächtigen. Ein Nutzer stellte die Fahndungsfotos auch auf Facebook. Er nahm sie und kreiste einen der jungen Männer ein. Daneben setzte er ein Selfie von Anas M. mit der Kanzlerin – und die obige Schlagzeile.

Die Behauptung, der syrische Flüchtling Anas M. sei einer der Täter von Berlin gewesen, war eine Lüge. Ein anderer User behauptete, Anas M. sei der Weihnachtsmarkt-Attentäter von Berlin. Auch das war schlicht falsch – der Täter hieß Anis Amri. Beide Posts wurden hunderte Male geteilt.

Dagegen wehrt sich Anas M. nun. Vor dem Landgericht Würzburg hat er einen Antrag auf eine einstweilige Verfügung eingereicht, die Facebook zwingen soll, die falschen Posts zu löschen. «Ich möchte gerne den Beweis antreten, dass sich Opfer von Fake News mit den Mitteln der Justiz auch erfolgreich gegen Facebook und andere Nutzer zur Wehr setzen können», sagt sein Würzburger Anwalt Chan-jo Jun.

Facebook sagt, man habe die Posts schon gelöscht. «Wir haben bereits schnell den Zugriff auf Inhalte gesperrt, die von Herrn M.s Anwalt korrekt an uns gemeldet wurden», erklärt ein Sprecher. «Deshalb glauben wir nicht, dass ein Rechtsstreit hier notwendig ist.» Dass das soziale Netzwerk die ursprünglichen zwei Posts löschte, reicht Jun und Anas M. aber nicht: Facebook soll auch alle Einträge löschen, in denen andere Nutzer die falschen Behauptungen geteilt haben. Sie sollen auf Facebook nicht mehr auffindbar sein.

In dem Prozess klagt Anas M. als Einzelner, weil er der Meinung ist, dass seine individuellen Persönlichkeitsrechte verletzt werden. In der Politik entbrannte dementgegen in den letzten Wochen eine Debatte über den generellen Umgang mit Fake News. Die Bundesregierung hatte angekündigt, stärker gegen Falschmeldungen vorgehen zu wollen. Wie Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte, sollen soziale Netzwerke dazu verpflichtet werden, binnen 24 Stunden auf Beschwerden zu reagieren. Der Digitalverband Bitkom hatte diesen Plan zurückgewiesen: Angesichts von bis zu einer Milliarde Posts pro Tag sei eine solche Pflicht «operativ schlechterdings nicht umsetzbar», sagte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.

Eine grundsätzliche Verpflichtung der Betreiber, Fake News zu löschen, würde zudem die Meinungsfreiheit massiv einschränken, fügte Rohleder hinzu. Eine Löschpflicht würde einen «dauerhaften Zensurmechanismus» installieren. «Wollen wir das? Wahrscheinlich nicht.» Der Bitkom unterscheide klar zwischen einerseits rechtswidrigen oder gar strafbaren und andererseits zwar falschen, aber nicht rechtswidrigen Inhalten. «Wir treten entschieden dafür ein, rechtswidrige Inhalte aus sozialen Netzwerken und anderen Quellen zu entfernen.»

Obwohl die Würzburger Richter konkret nur über den Fall Anas M. entscheiden, könnte das Urteil dennoch wegweisend sein – weil es zeigt, wozu Facebook bei der aktuell geltenden Rechtslage schon verpflichtet werden kann. «Es kann auch sein, dass wir nur demonstrieren, dass wir gegen Facebook nicht ankommen», sagt Anwalt Jun. Aber dann wüsste man wenigstens, welche Gesetze die Politik ändern müsse.

Jun (42) ist für Facebook kein Unbekannter. Das Verfahren am Montag in Würzburg ist die dritte Initiative, die der auf IT-Recht spezialisierte Anwalt gegen das Online-Netzwerk gestartet hat. Die Staatsanwaltschaft Hamburg stellte ein erstes Strafverfahren wegen Beihilfe zur Volksverhetzung gegen mehrere deutsche Facebook-Manager im Februar vergangenen Jahres ein. Eine zweite Strafanzeige, nun auch gegen Facebook-Chef Mark Zuckerberg persönlich, ist in München noch anhängig. Das Würzburger Verfahren ist nun der erste Zivilprozess.

Bildquelle:

  • Facebook: dpa

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