PORTRÄT Kardinal Meisner, wahrlich der «Wachhund Gottes»

Dank: Kardinal Joachim Meisner im März 2014 nach seinem Abschiedsfest vor dem Kölner Dom. Foto: Oliver Berg

Er war dann stets unterwegs zum Gebet in einer kleinen Kapelle. Interviews gab er nicht mehr, er lebte zurückgezogen in einer kleinen Wohnung mit Domblick.

Wenn es je einen Menschen gegeben hat, der keine Angst vor dem Tod hatte, weil er hundertprozentig davon überzeugt war, dass er in einer anderen Dimension weiterleben würde, dann war das wohl Kardinal Meisner. Nicht einen Moment in seinem Leben habe er an der Existenz Gottes gezweifelt, sagte er einmal. «Das ist nichts, worauf ich stolz bin, das ist mir in die Wiege gelegt.»

Ein Vierteljahrhundert lang, von 1989 bis 2014, stand der gestrenge Kirchenmann an der Spitze des größten deutschen Bistums mit über zwei Millionen Katholiken. Während dieser Zeit galt er als profiliertester konservativer Vertreter der katholischen Kirche in Deutschland.

Immer wieder machte er Schlagzeilen, etwa indem er Abtreibungen mit den Verbrechen der Nazis verglich und religionsferne Kultur als «entartet» bezeichnete. Das Lager seiner Gegner reichte vom Grünen-Politiker Volker Beck, der ihn als «Hassprediger» beschimpfte, bis zu FDP-Chef Guido Westerwelle, der Meisner für einen «Fundamentalisten» hielt.

Selbst nahm Meisner für sich in Anspruch, «nur Gott nach dem Mund zu reden». Und tatsächlich eckte er so ziemlich überall an: Als Bischof in der DDR, die er rückblickend als «Ausgeburt der Hölle» bezeichnete, bei Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU), dem er vorwarf, sich im Kampf gegen Abtreibungen lange nicht so stark zu engagieren wie für den Euro, und ebenso bei Kanzler Gerhard Schröder (SPD), dessen Familienpolitik er mit den Worten kritisierte: «Ich wundere mich immer, dass Bundeskanzler Schröder nicht Frau Honecker aus dem chilenischen Exil geholt und zur Familienministerin gemacht hat.»

Meisner wurde 1933 in Schlesien geboren. Sein Vater kam im Krieg um, seine Mutter floh mit den vier Söhnen nach Thüringen und zog sie allein auf. Nach einer Banklehre trat er ins Spätberufenen-Seminar ein und wurde 1962 zum Priester geweiht. 1980 ernannte ihn Johannes Paul II. zum Bischof von Berlin. Mit dem polnischen Papst verband ihn die Erfahrung eines Lebens im Ostblock. Beide wurden dadurch in ihrer Überzeugung bestärkt, dass der Mensch allein nicht in der Lage ist, eine humane Gesellschaftsordnung aufzubauen. Ohne unumstößliche Werte, die von einer höheren, unangreifbaren Instanz vorgegeben sind, drohe früher oder später das Abgleiten in die Barbarei. Meisner glaubte fest daran, dass Jesus Christus die großen Fragen der Menschheit ein für allemal beantwortet hatte.

1988 rückte Meisner an die Spitze eines der reichsten Bistümer der katholischen Welt auf: Er wurde Erzbischof von Köln, gegen den Widerstand des mehr als 1000 Jahre alten Domkapitels. Als Mann der klaren Worte stellte er sich den Kölnern mit den Worten vor, er sehe durchaus Gemeinsamkeiten mit ihnen: «Ihr habt mich nicht gewollt, und ich wollte auch nicht zu euch.» Von Anfang an hieß es, ein so konservativer Gottesmann passe nicht in die rheinische Metropole mit ihrer betont lebensfroh-liberalen Ausprägung des Katholizismus. Doch Meisner selbst war überzeugt, dass sein Aufstieg vom schlesischen Flüchtlingsjungen zu einem der mächtigsten Männer der katholischen Kirche das Werk Gottes war.

Immer wieder war zu hören, dass Meisner absolute Linientreue verlange. Er war oft von tiefem Misstrauen geprägt, so als ob er überall von Feinden umzingelt sei. Menschen, die ihn gut kannten, führten dies auf seine Zeit in der DDR zurück.

Es war aber auch wieder nicht so, dass er jeden Abweichler verstoßen hätte. So arbeitete er 15 Jahre mit Generalvikar Norbert Feldhoff zusammen, einem ebenso pragmatischen wie aufgeschlossenen Kirchenmann, der etwa in der Frage der Schwangerenberatung eine andere Haltung einnahm als der konservative Meisner.

Widersprüchlich ist das Bild auch, wenn es um Meisner als Person geht. Er konnte den Kirchenfürsten raushängen lassen, wenn er zum Beispiel darauf bestand, mit «Herr Kardinal» statt mit «Herr Meisner» angeredet zu werden. Andererseits konnte man offen mit ihm diskutieren. Meisner mochte keineswegs nur Gleichgesinnte, so hat er – obwohl bekanntlich radikaler Abtreibungsgegner – seine Sympathie für Alice Schwarzer bekundet.

Manchmal konnte der selbsterklärte «Wachhund Gottes» sogar unmeisnerisch sanft sein. Einmal tobte ein Domchorknabe vor einem Konzert so wild herum, dass ihn der Kapellmeister zur Strafe nicht mitsingen ließ. Nur einer kam damals zu dem Jungen und fragte ihn, warum er denn so weine – Meisner. Er hat ihm dann schnell seine alte Modelleisenbahn geschenkt.

Bildquelle:

  • Kardinal Joachim Meisner: dpa

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