PHILIPP LAHM Ein Musterprofi braucht keine Almosen

Philipp Lahm sitzt in der Allianz Arena auf der Bayern-Bank. Foto: Matthias Balk

von RALF GRENGEL

Philipp Lahm hat seine Karriere als Profifußballer beendet. Nie zuvor hat es wohl einen professionelleren Profi gegeben als ihn. Ein Könner. Ein Spezialist. Ein Vorbild. Konsequent. Gestanden. Souverän. Ein Siegertyp. Ein Anführer. Ein Weltmeister. Ein Profi eben.

Lahm reiht sich nahtlos in die Legenden des FC Bayern und der deutschen Nationalmannschaft ein. Beckenbauer, Effenberg, Lahm. Sie führten ihr Team zum Champions-League-Sieg. Walter, Beckenbauer, Matthäus, Lahm. Sie führten Deutschland zum WM-Titel. Die Schnittmenge lautet Beckenbauer und Lahm. Das steht für sich.

Dass Lahm nach Walter, Seeler, Beckenbauer, Matthäus und Klinsmann auch Ehrenspielführer des DFB-Teams wird ist nur logisch, richtig und lediglich eine Frage der Zeit. Mit ihm verabschiedet sich eine Ausnahmeerscheinung von der großen Fußballbühne. „Wer spielt hinten rechts?“ Ein ganzes Jahrzehnt stellte sich diese Frage nicht in den Taktiktüfteleien von Trainern wie Hitzfeld, Magath, Heynckes, van Gaal und Ancelotti. Lediglich für Guardiola war der Bayern-Kapitän als Außenverteidiger verschenkt. Bei dem Spanier agierte er auch im defensiven Mittelfeld. Als Lenker und Denker in der Zentrale. Der Profi Lahm konnte auch das. Natürlich.

Lahm war immer da. So gut wie nie verletzt, nie verbraucht. Das Wort Leistungsdelle wurde nicht für ihn erfunden. „75 Prozent seiner Spiele war er überragend, der Rest war Weltklasse“. Mit diesen Worten hat ARD-Experte Mehmet Scholl seinen Ex-Teamkollegen vor laufenden Kameras geadelt. Philipp Lahm stand neben ihm. Er freute sich. Er lächelte. Ganz Profi eben. Aber wer Lahm an jenem Abend im ARD-Studio zwischen Moderator Matthias Opdenhövel und Scholl stehen sah, der erkannte auch eine andere Seite an dem Weltklasse-Profi Lahm. Verletzlich, leer, unendlich traurig. Bei seinem langjährigen Weggefährten Bastian Schweinsteiger kannten wir Zuschauer das Gefühl schon lange. Schweini litt, blutete, weinte. Für Bayern, für Deutschland, für uns. Er berührte unser Herz. Nach dem entscheidenden Fehlschuss vom Elfmeterpunkt im „Finale dahoam“ 2012 gegen den FC Chelsea wollte ich Schweini in den Arm nehmen und ihn trösten. Ganz gleich, ob Fan des FC Bayern oder nicht. Aber dann kann Lahm und übernahm den Job. Ganz Profi.

Nach der Pokalniederlage gegen den BVB hätte ich auch Lahm trösten wollen. Zum ersten Mal. Es waren die Momente, die Minuten, in denen er verarbeiten musste, dass sein Abschied ohne Finale enden wird. Keine Nationalhymne. Kein Nervenkitzel. Keine Tragik. Kein Triumph. Kein Pokal. Nur eine Woche nach den Viertelfinal-Aus  in der Champions League gegen Real Madrid, auch der K.o. im DFB-Pokal.

Den Fehler, der das entscheidende 2:3 der Dortmunder einleitete, hatte einer gemacht, von dem man es am wenigsten erwartet hätte. Philipp Lahm. Plötzlich hieß die letzte Ausfahrt der Profi-Karriere „Bundesliga in München“, statt „Pokal in Berlin“. Routine statt finales Knistern. Und niemand war da, der Lahm in den Arm nahm. Stattdessen stand er mit Mikrophon in der Hand vor der Kamera. Lahm funktionierte immer. Auf dem Platz und auch daneben. Selbst im größten Schmerz.

Dieser Musterprofi geht nun in Fußballrente. Ohne wenigstens einmal zu Deutschlands „Fußballer des Jahres“ gewählt worden zu sein. Ein Makel in dieser Bilderbuchkarriere. Einer, der noch korrigiert werden kann. Prominente Fürsprecher gibt es einige. Unter ihnen Jupp Heynckes, der als Bayern-Trainer mit Kapitän Lahm 2013 das Triple gewann. „Ich würde mir wünschen – und er hätte es wahrlich verdient –, dass er zum Ende seiner großartigen Karriere jetzt auch noch Deutschlands Fußballer des Jahres werden würde.“ Heynckes macht bei Deutschlands Sportjournalisten, die traditionell über den „Fußballer des Jahres“ entscheiden, Wahlkampf für Philipp Lahm. Und schon stoßen auch die ersten Medien ins gleiche Horn: „Warum Philipp Lahm Fußballer des Jahres werden muss“ titelte Focus online dieser Tage.

Meine Stimme bekommt er nicht. Philipp Lahm war in diesem Jahr nicht der beste deutsche Fußballer. Und deshalb wäre die Auszeichnung nicht verdient. Philipp Lahm braucht keine Almosen. Und ich vermute mal, er sieht das ganz genauso. Dafür ist er viel zu sehr Profi.

PS: Sollten Deutschlands Sportjournalisten irgendwann mal damit beginnen, Fußballer für ihr Lebenswerk auszuzeichnen, dann kenne ich einen Musterprofi, der ganz sicher erste Wahl wäre.

Ralf Grengel ist Sportjournalist und Unternehmer. Und ab heute Kolumnist bei TheGermanZ.

 

Bildquelle:

  • Philipp Lahm: dpa

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