BERLIN –
Veronika Bellmann wurde 1994 erstmals über die Landesliste in den Sächsischen Landtag gewählt.. Den Sprung in den Deutschen Bundestag als direkt gewählte Abgeordnete schaffte sie erstmals 2002. Inzwischen weitere vier Mal wiedergewählt, ist Veronika Bellmann derzeit Mitglied im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union.
Veronika Bellmann ist in der Fraktion dafür bekannt, unbequeme Ansichten kompromisslos zu formulieren. So zählt sie neben Sylvia Pantel und Klaus-Peter Willsch zu den schärfsten Kritikern der Merkel’schen Flüchtlingspolitik. Nicht nur in diesem Politikfeld steht Veronika Bellmann diametral zur Haltung der Bundeskanzlerin. So stimmte sie seinerzeit gegen zusätzliche Milliardenhilfen für Griechenland. Zudem beteiligte sie sich mit an der Gründung einer „Allianz gegen den ESM“.
Im Juni diesen Jahres bürstete die Widerspenstige aus Freiberg, wie Veronika Bellmann voller Respekt von gleichgesinnten Parteifreunden apostrophiert wird, erneut gegen den Strich. Gemeinsam mit sechs weiteren Abgeordneten aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion legte sie Verfassungsbeschwerde gegen den EU-Eigenmittelbeschluss ein.
Frau Bellmann, mit Ihrer Klage wollen Sie und Ihre Mitstreiter verhindern, dass sich Deutschland am Corona-Wiederaufbaufonds der EU beteiligt. Was treibt Sie um?
Was mich umtreibt, sind die unkalkulierbaren Risiken für Deutschland durch die europäische Staatsschuldenfinanzierung und die Belastung künftiger Generationen in Deutschland. Dafür trägt der Bundestag mit seinen Entscheidungen Verantwortung. Die Mittel des Bundeshaushalts dürfen nicht in teilweise nicht absehbarer Höhe durch die EU-Staatsschuldenfinanzierung, oder gar mit Durchgriffsrechten der EU versehen, über das bisherige Maß hinaus gebunden sein. Außerdem habe ich grundsätzlich etwas dagegen, dass wir Abgeordnete Ermächtigungsgrundlagen für andere Institutionen schaffen, die dann weitestgehend in einem Automatismus münden, der sich dem parlamentarischen Einfluss weitestgehend entzieht.
Das kennen wir ja aus der gesamten politischen Praxis der letzten Jahre und insbesondere hinsichtlich der Bekämpfung der Corona-Pandemie nur zu gut. Das Eigenmittelbeschluss-Ratifizierungsgesetz ist auch so ein „Outsourcing“ von Entscheidungsgewalt des Gesetzgebers auf einen Verordnungsgeber. Das hebelt das Demokratieprinzip aus und obwohl die Rechte der Parlamentarier beschnitten werden, haben sie in der Öffentlichkeit die volle Verantwortung für alle Entscheidungen zu tragen.
Nun hat auch der Bundesrechnungshof ebenfalls Kritik angemeldet. Der Wiederaufbaufonds untergrabe das Prinzip der Eigenverantwortung der EU-Mitgliedstaaten. Sehen Sie im Bundesrechnungshof einen starken Verbündeten?
Was heißt Verbündeter? Der Bundesrechnungshof erfüllt nur seine Pflicht, indem er die möglichen Auswirkungen der gemeinschaftlichen Kreditaufnahme der Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf den Bundeshaushalt prüft. Das geht natürlich nicht, ohne die Stabilität der Wirtschaft und Währungsunion, die Haftungsrisiken oder die Fiskalregeln der EU in diese Prüfung einzubeziehen. Ferner hat er entsprechende Empfehlungen abgegeben, insbesondere zum Bereich der Überwachung der Maßnahmen und der Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten. Die Feststellung des Bundesrechnungshofs, dass da insgesamt sehr viel im Argen liegt, deckt sich größtenteils mit unseren Argumenten aus der Verfassungsklage und unserer grundsätzlichen Kritik am Eigenmittelbeschluss und der Struktur des Wiederaufbaufonds.
Schließlich wird mit dem „Wiederaufbaufonds (NGEU) zur wirtschaftlichen Erholung nach der Corona-Krise in der EU“ im Umfang von 750 Milliarden Euro der größte EU-Sieben-Jahres-Haushalt aller Zeiten in Höhe von 1,8 Billionen Euro auf den Weg gebracht. Das alleine ist schon ein Novum. Vielmehr aber ist es die Art und Weise wie er finanziert und refinanziert werden soll – mit europäischen Schulden und europäischen Steuern.
Unter dem Druck einer existenziellen Krise oder besser gesagt unter deren Vorwand kommt nun das zustande, was Befürworter der Weiterentwicklung Europas vom Staatenbund zum Bundesstaat schon immer wollten (siehe Forderung von Rot-Rot-Grün nach Eurobonds) – die Fiskal-, Transfer- und Schuldenunion.
Der haushaltspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Eckhart Rehberg, bezeichnet die gemeinsame Kreditaufnahme der EU als einmalig und befristet, weil sie allein der wirtschaftlichen Erholung nach dem tiefen Einbruch durch die Corona-Pandemie diene. Was erwidern Sie Herrn Rehberg?
Seine Worte höre ich wohl – allein mir fehlt der Glaube, und zwar aus begründetem Anlass. Seit mit den Euro-Rettungsschirmen 2010 das erste Mal die Fiskalregeln der europäischen Verträge in Richtung Transfer- und Schuldenunion umgangen wurden, hieß es bei jedem Werben um die Zustimmung im Bundestag für alle möglichen Rettungsinstrumente und Fazilitäten: „Das ist nur temporär, das ist einmalig. Das ist jetzt das erste und das letzte Mal.“ Die „ersten Male“ sind längst nicht mehr an einer Hand abzuzählen.
Und dann versetzen wir uns doch mal in die Situation der Empfängerländer. Sie können sich zwar derzeit alle Zugang zum Kapitalmarkt verschaffen. Selbst Griechenland konnte dort Anleihen platzieren. Der ESM hat noch 240 Milliarden Euro an Kreditlinien zu bieten. Die EIB hält 300 Milliarden Euro in einem Garantiefonds und einem Fonds für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bereit. Aber warum kompliziert, wenn doch einfacher an Geld zu kommen ist. Denn diese Darlehen und Fonds sind konditioniert, an Reformauflagen gebunden, wurden kontrolliert durch die viel gescholtene Troika (EU-Kommission, EZB, IWF), setzen Eigenbeiträge voraus, durch die man möglicherweise die Vermögen oder Steueraufkommen der eigenen Bevölkerung hätte anzapfen müssen.
Das Ganze trägt zwar den Namen Corona-Wiederaufbaufonds, hat aber im Grunde wenig damit zu tun. Denn die Mittel werden nicht als Soforthilfen unmittelbar ausgezahlt. Die Bemessungsgrundlage für die Zuweisung der Zuschüsse ist gekoppelt an die durchschnittliche Arbeitslosigkeit der Jahre 2015 bis 2019, also der Situation in den Mitgliedstaaten weit vor der Pandemie. Die Implementierung der Programme in den Mitgliedstaaten erschöpft sich in einer prozentualen Vorgabe für Projekte zum größten Teil für den Klimaschutz, die Digitalisierung von Wirtschaft und Verwaltung und nur zu einem kleineren Teil für den Aufbau eines pandemieresilienten Gesundheitssystems. Die Überwachung und Kontrolle besteht lediglich daraus, dass die Mitgliedstaaten, wie bei vielen anderen EU-Programmen auch, vierteljährlich Fortschrittsberichte abzuliefern haben. Ob sie das tun oder nicht und ob sie die nachhaltigen Reform- und Konjunkturpläne bzw. Vorgaben umgesetzt haben oder nicht, ist im Wesentlichen unerheblich, weil der Nichterfüllung keine Sanktionen folgen.
Neben Ihnen haben die Abgeordneten wie Michael von Abercron, Hans-Jürgen Irmer, Saskia Ludwig, Sylvia Pantel, Hans-Jürgen Thies und Dietlind Tiemann die Verfassungsbeschwerde unterzeichnet. Hans-Jürgen Thies hat sich inzwischen zurückgezogen und gegenüber der Neue Zürcher Zeitung erklärt, dass massiver Druck innerhalb der Fraktion ihn dazu bewogen habe. Ihm sei mit Ausschluss gedroht worden. Wurden auch Ihnen Konsequenzen angedroht? Oder anders gefragt: Gelten Sie jetzt in der Fraktion als Persona non grata?
Jetzt? Das ist hin und wieder der Fall, seit ich beginnend 2010 bei den Euro-Rettungsschirmen, der Migrationskrise 2015, der Energiewende und jetzt in der Corona-Krise bei ausgewählten Abstimmungen nach bestem Wissen und Gewissen und weniger nach Fraktionsmeinung entscheide. Dafür gibt es dann schon mal eine besondere „Vorführung“ vor der versammelten Fraktion. Klar ist es für eine Fraktionsführung gut, wenn möglichst große Einigkeit herrscht. Damit konnte ich auch solange 100prozentig mitziehen, wie das Regierungshandeln und die Parteiführung der Union voll auf dem christlich-sozialen, wirtschaftsliberalen und wertkonservativen Mitte-Kurs eingestellt war. Dabei blieb es bekanntlich nach einigen Entscheidungen der Kanzlerin gemäß ihrer Richtlinienkompetenz nicht. Und dann muss ich sagen, sind wir ja immer noch eine Volkspartei und ich im Grunde meines Herzens immer noch eine Bürgerbewegte, die sich trotz Übereinstimmung mit den Grundprinzipien der CDU schwer für umfassende Parteidisziplin begeistern lässt.
Was möglicherweise ja eine ganz eigene Ausprägung der vom Ostbeauftragten der Bundesregierung beschriebenen „Diktatursozialisierung“ sein könnte (die allerdings rein altersmässig ja auch auf die Kanzlerin zutreffen müsste). Wer zu DDR-Zeiten bei Gefahr für Leib und Leben mutige Überzeugungstäterin war, die friedliche Revolution mit herbeigeführt, den Wiederaufbau bis heute aktiv mitgestaltet hat, dem ist in der erkämpften freien demokratischen Gesellschaft die Meinungsfreiheit heilig. Damit habe ich allerdings allenfalls durch das jeweilige Thema, aber nicht durch mich als Person große PR-Wellen geschlagen. Was den Cicero vor einigen Jahren dazu brachte, mich in einem Beitrag als „die leise Dissidentin“ zu bezeichnen. Ich bin halt ein Handwerker und kein Mundwerker, rede nicht viel sondern handle. Daran wird sich auch nach 30 Jahren in der Politik von Kommunalvertretung bis Bundestag nichts ändern, solange mich die Wähler in meinem Wahlkreis darin bestärken. Bemerkenswerterweise gibt es sogar junge Leute, wie die Brandenburger Bundestagskandidatin Sabine Buder, die ganz ähnlich ticken. Sie antwortete auf die Interviewfrage, ob sie sich denn im Bundestag selbst verändern oder sich vom System verändern lassen wolle: „Das beste Gegengift gegen Parteischleimerei scheint nur, eine solide Machtbasis zu Hause zu sein.“ Recht hat sie und genau deshalb kämpfe ich zur kommenden Bundestagswahl in meinem Wahlkreis um jede Stimme.
Mit Veronika Bellmann sprach Joachim Schäfer.
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