Berlin – In der SPD zeichnen sich heftige Auseinandersetzungen über die Neuausrichtung der Partei ab. Olaf Scholz, Hamburgs Bürgermeister und SPD-Vize, veröffentlichte ein Papier, in dem er nach den schweren Niederlagen der vergangenen Monate und Jahre hart mit seiner Partei ins Gericht geht.
Scholz fordert eine «schonungslose Betrachtung der Lage». Es dürfe «keine Ausflüchte» mehr geben bei der Ursachenforschung. Anders als SPD-Chef Martin Schulz, der zuletzt mehr Mut zur Kapitalimuskritik gefordert hatte, wirbt Scholz darin für einen pragmatischen Kurs, der Wirtschaftswachstum, Fortschritt und soziale Gerechtigkeit verbinde.
Die SPD hatte bei der Bundestagswahl ein historisch schlechtes Ergebnis von 20,5 Prozent eingefahren. Schulz kündigte danach einen Kurs der Erneuerung an. Wie genau sich die Partei künftig aufstellen soll, ist aber unklar.
Am Wochenende beginnt eine Reihe von «regionalen Dialogveranstaltungen», bei denen die Parteispitze mit SPD-Mitgliedern über Fehler der Vergangenheit und Veränderungen für die Zukunft diskutieren will. Anfang Dezember folgt ein Parteitag, bei dem auch die SPD-Führung neu gewählt wird. Schulz will erneut für den Parteivorsitz kandidieren.
In einem veröffentlichten Gastbeitrag für die Parteizeitung «Vorwärts» schreibt Schulz: «Eine fundamentale und tiefgreifende Erneuerung unserer Partei ist unabdingbar, wenn wir langfristig wieder erfolgreich sein wollen.» Ein umfassender Neustart sei nötig: organisatorisch, strukturell, strategisch. 2017 müsse symbolisch sein für einen Wendepunkt. «Wir werden uns komplett hinterfragen.» Die SPD werde linke Volkspartei bleiben, müsse sich aber weiterentwickeln und mutig die Zukunft beschreiben.
In einem «Zeit»-Interview hatte Schulz vor einigen Tagen linksgerichtete Signale ausgesendet und gesagt, die SPD müsse wieder Mut zur Kapitalismuskritik fassen.
Scholz, der vielen Beobachtern als potenzieller Gegenspieler von Schulz gilt, setzt dagegen andere Akzente. «Wirtschaftliches Wachstum wird auch in Zukunft eine zentrale Voraussetzung sein, um eine fortschrittliche Agenda zu verfolgen», schreibt er in seinem Papier, über das die «Süddeutsche Zeitung» vorab berichtetet hatte. Es gehe um Fortschritt und Gerechtigkeit in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung. «Der SPD muss es gelingen, Fortschritt und Gerechtigkeit in pragmatischer Politik und einer unmittelbar anschließenden Erzählung zu verbinden.»
Scholz fordert, bei der Analyse der Wahlniederlage auf «Ausflüchte» zu verzichten. Weder fehlende Mobilisierung der eigenen Anhänger noch ein mangelnder Fokus auf soziale Gerechtigkeit tauge als Erklärung für die Pleite. Die Probleme der Partei seien grundsätzlicher.
SPD-Vize Ralf Stegner, der selbst vor wenigen Tagen ein Papier mit Ideen zur Zukunft der Partei vorgelegt hatte, mahnte im Deutschlandfunk, Schulz brauche Unterstützung beim Erneuerungsprozess. «Dazu müssen alle beitragen, auch seine Stellvertreter.» Er betonte: «Das sollten wir alle miteinander tun.»
Stegner nahm Schulz gegen Kritik aus den eigenen Reihen in Schutz und rief dazu auf, nicht schlecht übereinander zu reden. Wichtig sei zu verstehen, «dass die Gegner nicht in der eigenen Partei sind». Die SPD müsse sich mit den anderen Parteien auseinandersetzen.
Der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, sagte dem «Tagesspiegel» (Samstag): «Es ist richtig, wenn wir nach der schweren Wahlniederlage kontrovers über Richtung und Kurs diskutieren.» Er warne aber davor, aus der inhaltlichen Diskussion eine grundsätzliche Personaldebatte zu machen.
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- Olaf Scholz: dpa