von CAN MEREY
Istanbul/Moskau – Die Türkei kauft Russlands modernstes Raketenabwehrsystem vom Typ S-400 und heizt damit Sorgen in der Nato über eine Orientierung des Bündnispartners Richtung Moskau an.
Kremlberater Wladimir Koschin sagte der Agentur Tass: «Der Vertrag ist unterzeichnet, seine Umsetzung wird vorbereitet.» Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte Journalisten auf seinem Rückflug aus Kasachstan nach Angaben der Zeitung «Hürriyet» ebenfalls, der Vertrag sei unterschrieben. Die Türkei habe nach seinem Kenntnisstand bereits eine Anzahlung geleistet.
Nach Angaben von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) liegen deutsche Rüstungsexporte in das Land wegen des eskalierenden Streits mit Ankara sogar weitgehend auf Eis. «Die großen Anträge, die die Türkei derzeit an uns stellt – und das sind wirklich nicht wenige – haben wir alle «on hold» gestellt», sagte Gabriel bei einer «Handelsblatt»-Veranstaltung in Berlin. Der türkische EU-Minister Ömer Celik konterte, Gabriel schwäche mit dem Aussetzen von Waffenlieferungen den Kampf gegen den Terrorismus.
Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnte unterdessen einen generellen Stopp der Rüstungsexporte in die Türkei ab. «Wir entscheiden von Fall zu Fall, was wir an Rüstungsgütern exportieren», sagte Merkel dem Radiosender NDR Info. Die CDU-Chefin verwies darauf, dass es sich bei der Türkei um einen Nato-Bündnispartner handele. Auch stehe man im gemeinsamen Kampf gegen den IS und den islamistischen Terror. Zugleich betonte die Kanzlerin, die Exporte würden schon viel restriktiver gehandhabt.
In diesem Jahr hat die Bundesregierung nach eigenen Angaben Rüstungsexporte von mehr als 25 Millionen Euro in die Türkei genehmigt – das ist deutlich weniger als im Vorjahreszeitraum und ein Bruchteil von dem Geld, das Ankara Moskau für das hochmoderne S-400-System zugesagt haben soll: Türkischen Medienberichten zufolge sollen dafür 2,5 Milliarden Dollar (2,1 Milliarden Euro) fließen.
Ein Nato-Vertreter in Brüssel sagte, die Nato sei nicht über Einzelheiten eines S-400-Kaufs informiert worden. Zwar obliege es jedem Bündnispartner, selber zu entscheiden, welche Systeme er kaufe. Von zentraler Bedeutung sei aber, dass die Systeme zusammenarbeiteten – und kein einziger Nato-Staat setze derzeit das russische S-400-Abwehrsystem ein. Erdogan sagte laut «Hürriyet», es sei alleine Sache der Türkei, über ihre Verteidigung zu entscheiden.
In der Diskussion um EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara hatte Außenminister Gabriel noch im April gesagt, man habe kein Interesse, dass die Türkei «in Richtung Russland geschoben wird». Allerdings ist der Streit mit Ankara seitdem eskaliert, und die Bundesregierung hat im Wahlkampf eine Kehrtwende hingelegt in ihrer Türkei-Politik. Mit ihrer Forderung nach einem Abbruch oder einem Aussetzen der Verhandlungen steht sie in der EU aber weitgehend isoliert da.
Irritationen dürfte der türkische Kauf der S-400 allerdings nicht nur in Berlin und bei der Nato in Brüssel hervorrufen, sondern auch in Washington. Bereits im Juli hatte US-Armeechef Joseph Dunford gesagt, ein Kauf durch die Türkei «wäre eine Sorge». Bei einer Anhörung des Ausschusses für Auswärtige Beziehungen des US-Senats in Washington in der vergangenen Woche hatten sich sowohl Republikaner als auch Demokraten besorgt gezeigt. Senator Ben Cardin hatte gesagt, das Geschäft könnte einen Verstoß gegen Russland-Sanktionen darstellen.
Bei der Senatsanhörung hatte Steven Cook, ein Experte der Denkfabrik Council on Foreign Relations, eine Neubewertung der US-Beziehungen mit der Türkei gefordert, sollte Ankara das russische Raketenabwehrsystem kaufen. «Wir sollten es nicht nur privat, sondern öffentlich überaus deutlich machen, dass es Folgen für sie hat, wenn sie bei den S-400 voranschreiten.» Die Türkei ist seit 1952 Nato-Mitglied – drei Jahre länger als die Bundesrepublik.
Die Beziehungen der Türkei sind nicht nur mit Deutschland angespannt, auch das Verhältnis mit den USA ist zunehmend belastet. Wie im Streit mit Deutschland ist einer der Punkte auch hier die Inhaftierung von rund 15 US-Staatsbürgern in der Türkei. Darunter ist auch ein Pastor namens Andres Brunson. Bereits im Mai hatte US-Präsident Donald Trump von Erdogan die Freilassung Brunsons gefordert – und war damit ebenso erfolglos wie die Bundesregierung, die die Freilassung deutscher Gefangener wie den «Welt»-Korrespondenten Deniz Yücel verlangt.
Erdogan entfremdet sich vom Westen und hat schon vor einiger Zeit angekündigt, die Türkei könnte sich künftig stärker an Russland orientieren. Die für militärtechnische Zusammenarbeit zuständige russische Behörde FSWTS bestätigte die Unterzeichnung des Vertrages – und betonte zugleich, dass der Verkauf der S-400 den geopolitischen Interessen Moskaus entspreche.
Russland nutzt das mobile S-400-Raketensystem unter anderem zur Sicherung der Grenzen und zum Schutz der Truppen auf einem Luftwaffenstützpunkt in Syrien. Für die russische Rüstungsindustrie ist das System S-400 «Triumph» ein wichtiges Export-Produkt – das bislang allerdings kein Nato-Staat einsetzt.
Für die Nato hat derzeit Spanien ein US-Raketenabwehrsystem vom Typ Patriot in der Türkei stationiert, das mögliche Angriffe aus dem Bürgerkriegsland Syrien abwehren soll. Auch Deutschland beteiligte sich durch Entsendung von Patriot-Raketen am Schutz des Bündnispartners, als die Beziehungen mit Ankara noch besser waren. Ende 2015 beendete die Bundeswehr den Einsatz.
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- Raketensystem S-400: dpa