von KLAUS KELLE
WASHINGTON – Während Russland in Kiew die größte Kinderklinik des Landes mit Raketen angreift und der ungarische EU-Ratspräsident Viktor Orban zur Verärgerung vieler EU-Mitgliedsstaaten erst den Kriegsverbrecher Wladimir Putin und dann dessen Hauptunterstützer Xi in Peking besucht, kommen die Regierungschefs des westlichen Verteidigungsbündnisses NATO heute in Washington zu dreitägigen Beratungen zusammen. Dabei wird über weitere militärische Hilfe für die angegriffene Ukraine verhandelt. Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte im Vorfeld, Berlin wolle weitere vier Milliarden Euro dafür bereitstellen.
Unterstützung ja, Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO aber nein
So ist der aktuelle Stand. Wie 2008, als die Ukraine erstmals den Antrag auf Aufnahme in die NATO stellte, blockieren auch heute wieder die USA und Deutschland den Aufnahmeprozess.
Damals war es besonders die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die auf Rücksichtnahme gegenüber Putin pochte.
Und auch damals waren den Machthabern in Moskau solche Friedens-Gesten schon egal. Jedenfalls verhinderte die Appeasement-Politik des Westens nicht, dass sich Russland mit militärischer Gewalt völkerrechtswidrig die Halbinsel Krim am Schwarzen Meer einverleibte.
Auch danach reagierte der Westen nur halbherzig
Zwar verurteile man die Annexion der Krim, aber damit war es schon getan.
Als Polen und die drei baltischen Staaten die NATO damals um Unterstützung für ihre Länder baten, weil sie Angst vor dem unberechenbaren und aggressiven Nachbarn Russland haben, mit dem sie so viele leidvolle Erfahrungen machen mussten, reagierte das Bündnis erneut mit äußerster Zurückhaltung. Die NATO verlegte damals in alle vier Länder multinationale Kontingente von je 1.000 Soldaten. Die Bundeswehr führte das in Litauen mit 450 Soldaten an. Nichts als eine Geste gegenüber Moskau, das vier symbolische Heereskontingente von 1.000 Mann wohl kaum als Bedrohung verstehen konnte.
Doch genau das war der kluge Plan des Westens
Ein klares Zeichen der Solidarität gegenüber den Mitgliedsländern im Osten. Gleichzeitig Vermeiden jeder konfrontativen Vorgehensweise gegenüber der Russischen Föderation.
Dieses Konzept ist grandios gescheitert. Denn Russland legt ganz offenbar die Zurückhaltung des Westens damals als unsere Schwäche aus.
Deshalb hat Putin angenommen, er könne gefahrlos weiter russische Erde einsammeln – dieses Mal in der Ukraine.
Eine grandiose Fehleinschätzung Moskaus, denn statt Kapitulation der Ukraine innerhalb von zwei Wochen, verteidigt sich das Land mit Mut und Entschlossenheit, unterstützt von westlichen Waffen seit Februar 2022 gegen den Aggressor.
Seit über einem Jahr verharrt die Front, im Donbass erobern Russen mal dieses oder jenes Dorf, wobei erobern in diesen Fällen Komplettzerstörung heißt. Aber es verändert sich auf keiner Seite etwas Gravierendes, nur dass immer mehr Menschen sterben. Mehr als eine halbe Million Ukrainer und Russen sind es bisher nach offiziellen Angaben. Und für was?
Aus dem Umfeld des französischen Präsidenten Emmanuel Macron hieß es gestern, der Aufnahmeprozess für die Ukraine in die NATO scheitere bisher am „heftigen Widerstand Deutschlands und der Vereinigten Staaten“. Das sei bereits beim NATO-Gipfel vergangenes Jahr in Vilnius so gewesen.
Die USA und Deutschland, aber auch weitere Länder wie Ungarn und die Türkei, befürchten, nach einer Einladung der Ukraine zum Beitritt werde der Ukraine-Krieg weiter eskaliert durch Russland.
Wasch mich, aber mach mich nicht nass!
So klingen derartige Überlegungen dieser Appeaser. Tatsächlich ist eine Mehrheit der NATO-Staaten aber der Überzeugung, dass man am jetzigen Punkt Russland zeigen muss, dass die Rote Linie endgültig überschritten ist. Wo man die Ukraine in einem Schnellverfahren aufnehmen könnte und dann unter den direkten Schutz des gesamten westlichen Bündnisses stellt.
Zum NATO-Spitzengespräch in Washington reist auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj als Gast an. Er wird am Donnerstag an der Sitzung des sogenannten NATO-Ukraine-Rats teilnehmen.
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