von DR. STEFAN WINCKLER
Wir müssen unsere Jugend auf die Freiheit vorbereiten,
sie fähig machen, mit ihr umzugehen.
Ich ermutige zur Selbstverantwortung,
damit unsere jungen Menschen Freiheit
als Gewinn und nicht als Last empfinden.
Freiheit ist das Schwungrad für Dynamik und Veränderung.
Wenn es uns gelingt, das zu vermitteln,
haben wir den Schlüssel der Zukunft in der Hand.
Ich bin überzeugt, daß die Idee der Freiheit die Kraftquelle ist,
nach der wir suchen und die uns helfen wird,
den Modernisierungsstau zu überwinden
und unsere Wirtschaft und Gesellschaft zu dynamisieren.
Roman Herzog, „Berliner Rede“, 26.4.1997
Roman Herzog, geboren am 5. April 1934 in Landshut, schloss sein Abitur mit 1,0 ab, studierte geradezu in Rekordzeit und promovierte mit 24 Jahren. Er war in jungen Jahren am Grundgesetzkommentar Maunz-Dürig-Herzog-Scholz beteiligt. Herzog habilitierte sich bereits mit 30 Jahren im Fach Jura und übernahm 1965 einen Lehrstuhl für Staatsrecht und Politik an der Freien Universität Berlin, wo er auch zeitweise als Dekan und Prodekan fungierte.
Erhebliche Störungen des Lehrbetriebs durch Linksextremisten veranlassten ihn, einen Ruf an die Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften im weit ruhigeren Speyer anzunehmen, wo er 1971/1972 auch als Rektor wirkte. In diese Zeit fiel seine erste Begegnung mit Ministerpräsident Helmut Kohl, der ihn, mittlerweile CDU-Mitglied, zum Bevollmächtigten des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund im Rang eines Staatssekretärs berief. Die politische Laufbahn setzte Herzog in Baden-Württemberg fort, wo er der Regierung Späth nach 1978 zunächst als Kultus- und dann als Innenminister angehörte. Das Christentum in der Politik war ihm ein ernsthaftes Anliegen: So war er Vorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der CDU und Mitherausgeber des „Rheinischen Merkur – Christ und Welt“.
1983 übernahm er das Amt des Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts von Wolfgang Zeidler, 1987 war er schließlich Präsident des höchsten deutschen Gerichts. Den Zenit seiner Karriere hatte er damit jedoch nicht erreicht. Nach dem Rückzug des vorgesehenen christdemokratischen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten, Steffen Heitmann, folgte Herzog abermals einem Ruf Helmut Kohls. Seine Wahl (gegen Johannes Rau, SPD) erfolgte erst im dritten Wahlgang am 23.5.1994. Herzogs Amtsantritt fiel in eine Zeit der Verunsicherung. Die innere Einheit Deutschlands war nach 40 Jahren Teilung noch lange nicht abgeschlossen. Ausländerfeindliche Ausschreitungen, bis hin zum Mord, erschütterten das Land und sorgten auch weit außerhalb Deutschlands für Entsetzen. Die wirtschaftliche und soziale Umgestaltung der östlichen Bundesländer erwies sich als bei weitem schwieriger als erwartet, Radikalismus und Extremismus schienen dadurch begünstigt, und die Unterschiedlicheit der beiden politischen Kulturen in Deutschland war leicht zu erkennen. Des weiteren kamen auf Deutschland neue Aufgaben in der Außen- und Sicherheitspolitik hinzu, Bundeswehreinsätze außerhalb des eigenen Territoriums waren zu erwarten. Darüber hinaus hatte das neue Staatsoberhaupt eine hohe Messlatte zu überwinden: sein Vorgänger Richard von Weizsäcker (1984-94) erfreute sich einer hohen Popularität.
Doch Roman Herzog gelang es rasch, sich hohes Ansehen bei den Bürgern zu erwerben. Der leise, intelligente Humor enschleßlich einer Portion Selbstironie gehörte ebenso zu seinen Markenzeichen wie die direkte, klare Ansprache („Ich will heute Abend kein Blatt vor den Mund nehmen, sondern die Probleme beim Namen nennen“, so Herzog in seiner „Berliner Rede“ vom 26.4.1997). Im Gedächtnis ist auch seine Ehefrau Christiane geblieben, die in den späten 1990er Jahren mit Tapferkeit eine Krebserkrankung zu überstehen hatte; sie verstarb im Jahre 2000, erst 63 Jahre alt.
Wie Weizsäcker gedachte er den Verbrechen der Nationalsozialisten, indem er vor allem den 27. Januar zum Gedenktag an die Befreiung von Auschwitz einführte. Zwei Staatsbesuche führten ihn nach Israel.
Weit mehr als Weizsäcker mahnte er zur beschleunigten Modernisierung Deutschlands, um so mehr, als die beabsichtigten Reformen der CDU/CSU-FDP-Koalition auf den Widerstand der sozialdemokratischen Bundesratsmehrheit stießen (Herzog kritisierte dies unmissverständlich als „Selbstblockade politischer Institutionen“, die sich die Bundesrepublik nicht leisten könne). Deutschland drohe im Informationszeitalter unter den Vorzeichen der Globalisierung hinter Asien und den USA zurückzufallen: „Im Klartext: Der Verlust wirtschaftlicher Dynamik, die Erstarrung der Gesellschaft, eine unglaubliche mentale Depression – das sind die Stichworte der Krise. Sie bilden einen allgegenwärtigen Dreiklang, aber einen Dreiklang in Moll“. Seine Kritik galt in diesem Zusammenhang einem „Bürokratismus“, der beispielsweise den Hausbau erschwert und verteuert. „Wer Initiative zeigt, wer vor allem neue Wege gehen will, droht unter einem Wust von wohlmeinenden Vorschriften zu ersticken“. Pessimismus greife um sich, die Zukunftsgestaltung falle der Angst zum Opfer, der Ruf nach dem Staat ertöne. Schuld sei zum Teil auch die journalistische Behandlung angeblicher oder wirklicher Risiken neuartiger Projekte, wobei die Chancen verdrängt werden und schließlich die ganze Angelegenheit vertagt wird. Aussagen in diesen Debatten würden teilweise von solchen Personen erhoben, denen die Kompetenz fehle: „Scheinsachverständige mit Doktortitel äußern sich zu beliebigen Themen, Hauptsache, es wird kräftig schwarzgemalt und Angst gemacht. Wissenschaftliche und politische Scheingefechte werden so lange geführt, bis der Bürger restlos verwirrt ist; ohnehin wird die Qualität der Argumente dabei oft durch verbale Härte, durch Kampfbegriffe und ,Schlagabtausche‘ ersetzt (…). Wer bestimmt überhaupt noch den Gang der Gesellschaft: diejenigen, die die demokratische Legitimation dazu haben, oder jene, denen es gelingt, die Öffentlichkeit für ihr Thema am besten zu mobilisieren?“ Offenbar war diese Deutlichkeit in seinem Plädoyer für technisch-wirtschaftliche Erneuerung (auch wenn das Wort „Internet“ in seiner Rede fehlte) und gegen einen kontraproduktiven Lobbyismus ein Ausdruck der von Herzog in seiner Dankansprache nach der Wahl angekündigten „Unverkrampftheit“.
Der freisinnige und wertkonservative Herzog war es auch, der mit Berechtigung gegen rückwärtsgewandte und sinnentleerte Belange sprach. Beim „Tag der Heimat“ des Bundes der Vertriebenen 1996 widersprach er Gebietsansprüchen an Polen und Russland, worauf ihn ein Teilnehmer in einem Zwischenruf als „Vaterlandsverräter“ beschimpfte. Herzog erwiderte: „Das habe ich nicht nötig, mir das von Ihnen sagen zu lassen. Schämen Sie sich!“Zur Vollständigkeit an dieser Stelle gehört es, dass der Bund der Vertriebenen den Zwischenruf verurteilte und sich entschuldigte.
Herzog verzichtete frühzeitig auf eine zweite Amtszeit, da er künftige altersbedingte gesundheitliche Schäden nicht ausschloss, die ihn in der Wahrnehmung seiner Amtspflichten möglicherweise eingeschränkt hätten. Als ein „ehrlicher Kerl, der uns nichts vorgemacht hat“ (TV-Stellungnahme), wollte er in Erinnerung bleiben. Seine Aussagen zu politischen Fragen, etwa zu Verfassung und Grundrechten der Europäischen Union, hatten weiterhin Gewicht.
Roman Herzog verstarb am 10. Januar 2017 in Bad Mergentheim.
Bildquelle:
- Roman Herzog: dpa