von NICOLAI HULAND
GELSENKIRCHEN- Profis auf der Flucht vor aggressiven Fans, Polizei-Ermittlungen und eine erschütterte Club-Führung: Das Ende einer Horrorsaison wurde für den abgestürzten FC Schalke 04 zu einem verstörenden Tiefpunkt.
Nach dem vorzeitig besiegelten vierten Abstieg aus der Fußball-Bundesliga muss der stolze Revierclub die Ereignisse einer bitteren Nacht verarbeiten und blickt einer höchst ungewissen Zukunft in der 2. Liga entgegen. Sportvorstand Peter Knäbel klagte am Tag danach, es sei «desaströs, wenn man sich um Leib und Leben unserer Mitarbeiter fürchten muss».
Tieftraurig war das Team am frühen Mittwochmorgen vom 0:1 in Bielefeld zurückgekehrt, an der heimischen Arena wurden die Schalker mit Wut empfangen. 500 bis 600 Menschen warteten laut Polizei auf die Mannschaft, einige Spieler seien mit «massiven Aggressionen» konfrontiert worden. Eier flogen, zwei Profis sollen getreten worden sein. «Man hat immer das Gefühl, es geht nicht noch schlimmer – und dann kommt noch was», sagte Knäbel per Video in einer E-Mail, die an die rund 160 000 Schalker Mitglieder verschickt worden war.
Durch das Einschreiten der Beamten sei eine weitere Eskalation vermieden worden, hieß es. Kurz danach seien die Fans abgezogen und Strafverfahren eingeleitet worden. Knäbel kündigte an, sich um die Geschädigten zu sorgen und verlangte eine schnelle Aufarbeitung. «Wichtig ist, wie es den Leuten geht, wie es Buyo Büskens, wie es Gerald Asamoah, wie es den Spielern geht, von denen einige im Hotel übernachten mussten», sagte Knäbel über die beiden Club-Idole Büskens und Asamoah. Sie hatten sich bereiterklärt, ihrem Herzensclub im Trainer- und Betreuerteam zu helfen, als der Abstieg kaum mehr realistisch zu verhindern gewesen war.
Der Club äußerte auch Verständnis für den Fan-Frust, verurteilte die Geschehnisse aber scharf: «Der Verein wird es niemals akzeptieren, wenn die körperliche Unversehrtheit seiner Spieler und Mitarbeiter gefährdet wird.»
Die Gewissheit, dass die Schalker nach einer Spielzeit voller Pleiten und Rückschläge das Oberhaus verlassen müssen, setzte den Königsblauen schwer zu. In Bielefeld verschwanden die Profis kommentarlos und mit gesenkten Köpfen in die Kabine. Nur Eigengewächs Timo Becker saß noch länger auf der Ersatzbank und weinte bitterlich.
Auch Team-Koordinator Asamoah wirkte mächtig angefasst. «Das Emblem von Schalke zu tragen bedeutet viel, und ob das alle Jungs verstanden haben, ist fraglich. Jeder sollte sich hinterfragen, ob er alles getan hat, um den Verein am Leben zu halten», sagte der Fan-Liebling dem TV-Sender Sky mit stockender Stimme.
Coach Dimitrios Grammozis – der fünfte glücklose Schalke-Coach in dieser Spielzeit – äußerte sich ähnlich: «Wir müssen einfach schauen, dass wir Jungs wieder gewinnen für diesen Verein, die auch das Emblem würdig tragen. Dass sie wissen, was Schalke ist. Worauf sie sich hier einlassen.» Auch in Bielefeld blieb seine Mannschaft über weite Strecken den Beweis der Bundesliga-Tauglichkeit schuldig. Immer wieder hatte der einstige Champions-League-Teilnehmer und Vizemeister von 2018 seine große Anhängerschaft in den vergangenen Monaten mit teils grotesken Darbietungen, Führungschaos und Finanzsorgen gequält.
Für tätliche Angriffe auf die Mannschaft aber sei das keine Ausrede, darin waren sich die meisten am Mittwoch einig. Der frühere Schalke-Coach Peter Neururer nannte die Vorfälle «erschreckend». «Das hat mit Schalke 04 nichts zu tun», sagte er. Dass die Mannschaft «von irgendwelchen Leuten attackiert wird», sei die «Krönung des Ganzen».
Trauer über den Absturz des Vereins, der zuletzt 30 Jahre in der Bundesliga spielte, und konstruktive Gedanken zum Projekt Wiederaufbau des Schalker Trümmerhaufens rückten so am Mittwoch in den Hintergrund. Dass sich bei dem hoch verschuldeten Club vieles wird ändern müssen, ist aber unbestritten. Die bisherige Bilanz der Königsblauen in dieser Saison ist schlicht verheerend: 30 Spiele, 2 Siege, 13 Punkte und ein Torverhältnis von 18:76.
So forderte etwa Vereinsikone Olaf Thon einen «radikalen Schnitt» in der Mannschaft. «Aus diesem Team müssen ganz viele weg, sonst kommen wir aus diesem Strudel nicht mehr heraus», sagte der Weltmeister von 1990 der dpa: «Diese Truppe ist blutleer, da ist nichts mehr rauszuholen.» Auch im gesamten Umfeld müsse der Verein «schnell eine Einheit werden, vom Aufsichtsrat und Vorstand über die Mannschaft, bis runter zum Busfahrer».
Bildquelle:
- Polizeieinsatz: dpa