KARSRUHE – 13 Jahre und 11 Tage hat es gedauert – jetzt hat die Gerechtigkeit gesiegt. Die Eisschnelläuferin Claudia Pechstein, mit fünf Goldmedaillen Deutschlands erfolgreichste Olympionikin überhaupt, bekommt doch noch eine Chance, wegen ihrer zweijährigen ungerechtfertigten Dopingsperre Schmerzensgeld und Schadenersatz durchzusetzen.
Pechstein klagt gegen den Weltverband
Die fünfmalige Olympiasiegerin war im Februar 2009 von der Internationalen Eislauf-Union (ISU) wegen auffälliger Blutwerte für zwei Jahre gesperrt worden. Pechstein bestritt jegliches Doping.
Wegen der Sperre hatte sie unter anderem die Olympischen Winterspiele im kanadischen Vancouver 2010 verpasst. Intensive Untersuchungen ermittelten später eine vom Vater vererbte Blutanomalie als Grund ihrer erhöhten Werte. Seitdem klagt sie gegen den Weltverband. Große kündigte nun an, dass Pechstein dies fortsetzt. «Wir haben jetzt eine rechtsklare Situation. Der Kampf ist noch nicht vorbei. Wir werden den Weg bis zum Schluss weitergehen. Aber schon jetzt ist klar: Vom Team Pechstein hat die ISU keine Gnade zu erwarten», betonte er.
Der Internationale Sportgerichtshof CAS hatte die ISU-Strafe für Pechstein bestätigt. Dagegen hatte sich die Sportlerin zunächst erfolglos beim Schweizer Bundesgericht gewehrt. Außerdem erhob sie Schadenersatz-Klage bei den deutschen Zivilgerichten. Das Münchner Oberlandesgericht (OLG) hatte 2015 in einem Zwischenurteil entschieden, dass sie diesen Weg auch grundsätzlich beschreiten könne – eine von Pechstein unterzeichnete Schiedsvereinbarung, wonach ausschließlich der CAS zuständig ist, sei nichtig.
Es geht auch um vollständige Rehabilitierung
Dann aber der Rückschlag: Der Weltverband ging in Revision, und 2016 erklärte der Bundesgerichtshof (BGH) Pechsteins Klage insgesamt für unzulässig – es bestehe kein Anspruch auf Zugang zu den deutschen Gerichten. Jetzt bekommt sie doch noch eine Chance. Mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts ist das BGH-Urteil gegenstandslos. Der Prozess am OLG München kann weitergehen.
Auf die Entscheidung über ihre Verfassungsbeschwerde musste Pechstein, die im Februar an ihren achten Olympischen Winterspielen in Peking teilgenommen hatte, fast sechs Jahre warten. Der Schadenersatz – sie fordert mehr als vier Millionen Euro – soll die finanziellen Einbußen durch die Sperre wettmachen. Der Berlinerin geht es aber vor allem auch um vollständige Rehabilitierung. «Siegen oder sterben ist sinnbildlich mein Motto für das Verfahren», sagte sie im Januar dieses Jahres.
Die Verfassungsrichterinnen und -richter bemängeln, dass der BGH nicht berücksichtigt hatte, dass es beim CAS damals keinen Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung gab. Schiedsgerichtsverfahren müssten aber rechtsstaatlichen Mindeststandards genügen. Sonst dürfe der Staat die Entscheidungen nicht anerkennen und vollstrecken.
Linken-Politiker Gysi: «historischer Erfolg»
In genau diesem Punkt hatte 2018 auch schon der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof Pechstein Recht gegeben. Er sprach ihr 8000 Euro Entschädigung zu, weil sie keine öffentliche Verhandlung bekommen hatte, hatte aber keine grundsätzlichen Zweifel an der Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit des Sportgerichtshofs. Dieser hatte daraufhin seine Satzungen geändert.
Der CAS urteilt seit 1984 als letzte Instanz bei Streitfällen im Sport und steht seit Jahren in der Kritik. Einer der Hauptvorwürfe lautet, es handele sich nicht um ein unabhängiges Schiedsgericht, weil die Institution durch Sportverbände finanziert werde.
Der Linke-Politiker Gregor Gysi sprach von einem «historischen Erfolg». «Der Internationale Sportgerichtshof, die Sportgerichtsbarkeit insgesamt müssen ihre Allmachtsgefühle aufgeben und sich künftig ebenfalls der Rechtsprechung unterwerfen», erklärte der Jurist. Pechstein sei «über lange Zeit ihrer sportlichen Möglichkeiten beraubt» worden.
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- Claudia Pechstein: dpa