Berlin – Auf Druck von SPD, Linken und Grünen soll der Bundestag an diesem Freitag über die sogenannte Ehe für alle entscheiden – gegen den Willen der Unionsspitze.
Die SPD und die Opposition setzten im Rechtsausschuss des Bundestages mit knapper Mehrheit durch, dass das Thema kurzfristig auf die Tagesordnung des Parlaments gesetzt werden kann. Ein solches rot-rot-grünes Votum gegen die Stimmen der Union ist ein bemerkenswerter Vorgang und bedeutet eine offene Konfrontation zwischen den Koalitionspartnern. Scharfe Kritik an den geplanten Neuregelungen kam aus der katholischen Kirche.
Kanzlerin Angela Merkel sagte der «Wirtschaftswoche»: «Jeder Abgeordnete soll seinem Gewissen folgen können, und ich wünsche mir, dass wir das gerade auch in Zukunft in großem Respekt voreinander und vor den unterschiedlichen Sichtweisen tun. Ich jedenfalls werde alles dafür tun.»
Während Spitzenleute der Union wie Fraktionschef Volker Kauder (CDU) und der Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Max Straubinger, ein Nein angekündigt haben, wollen andere Mitglieder der Unionsfraktion gemeinsam mit SPD und Opposition stimmen.
Merkel kritisierte in dem Interview erstmals öffentlich das Vorgehen des Koalitionspartners SPD. «Mir ist es fremd, wie eine solche Entscheidung genau in dem Moment, als sich die realistische Aussicht auf ein fraktionsübergreifendes Vorgehen ergab, in eine parteipolitische Auseinandersetzung gezogen wurde.» Dies sei «traurig, und es ist vor allem auch völlig unnötig». Es gehe «um eine Entscheidung, die die tiefsten Überzeugungen von Menschen und die Ehe, einen Grundpfeiler unserer Gesellschaft berührt». Jeder Abgeordnete solle deswegen in Respekt vor den unterschiedlichen Sichtweisen seinem Gewissen folgen können.
Die Kanzlerin war am Montagabend überraschend vom klaren Nein der CDU zur Ehe für alle abgerückt und hatte damit die aktuelle Entwicklung ins Rollen gebracht. Die SPD nahm ihre Äußerungen zum Anlass, eine schnelle Abstimmung gemeinsam mit Linken und Grünen durchzusetzen und die Union damit drei Monate vor der Wahl in die Enge zu treiben.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, betonte, die Ehe sei «die Lebens- und Liebesgemeinschaft von Frau und Mann als prinzipiell lebenslange Verbindung mit der grundsätzlichen Offenheit für die Weitergabe von Leben». Er kritisierte: «Wir bedauern, wenn dieser Ehebegriff aufgelöst werden soll und damit die christliche Auffassung von Ehe und das staatliche Konzept weiter auseinandergehen.»
Die Evangelische Kirche in Deutschland begrüßte die Ehe für alle. Die Bedeutung der Ehe zwischen Mann und Frau werde dadurch keineswegs geschmälert, hieß es in einer Erklärung.
Dem Parlament liegen seit längerem drei Gesetzentwürfe für die uneingeschränkte Homo-Ehe vor – von Linken, Grünen und vom Bundesrat. Eine Entscheidung wurde aber immer wieder vertagt. Über den Antrag der Länderkammer soll nun abgestimmt werden.
Die Unions-Spitze hatte sich gegen eine Abstimmung vor der Bundestagswahl gesperrt – und wirft der SPD wegen ihres Vorstoßes «Vertrauensbruch» vor. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte der «Rheinischen Post» (Donnerstag): «Die SPD ist nicht vertragstreu und paktiert mit Grünen und Linkspartei.» Die Abstimmung im Rechtsausschuss sei der Testfall für Rot-Rot-Grün im Bund.
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann kündigte an, im Bundestag eine namentliche Abstimmung zu beantragen, um offenzulegen, welche Abgeordneten hinter der Ehe für alle stehen.
Da die Union aus Ärger über das SPD-Vorgehen bei ihrem Widerstand gegen die Aufsetzung des Tagesordnungspunktes bleibt, muss der Bundestag am Freitagmorgen um acht Uhr zunächst darüber abstimmen, ob das Thema zusätzlich aufgerufen wird. Dies könnte eine knappe Entscheidung werden: SPD, Linke und Grüne haben zusammen 320 Sitze – und damit nur wenige Mandate mehr als die Unions-Fraktion.
Bei der eigentlichen inhaltlichen Abstimmung über die Ehe für alle direkt im Anschluss gilt eine Mehrheit dagegen als sicher, da neben SPD, Linken und Grünen eben auch mehrere Unions-Leute ein Ja angekündigt haben. Die CDU/CSU-Fraktion hat die Entscheidung zur Gewissensfrage erklärt. Damit entfällt der sogenannte Fraktionszwang, der Abgeordnete an eine vorgegebene Linie binden soll.
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- Kanzlerin und Fraktionschef: dpa